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In Chicago stören die Serben nicht

Im Durchgangslager Fort Dix sind die ersten Kosovo-Flüchtlinge eingetroffen. Wer bleiben will, darf bleiben. Die US-Armee ist besonders sensibilisiert  ■   Aus Fort Dix Peter Tautfest

„Kosova, Kosova -sova -va“. Der vielstimmige Chor ist die emphatische Antwort auf die Frage, wo sie denn am liebsten hinmöchten. Aber jetzt sind sie in New Jersey. „Irgendwie müssen etliche von unseren ,Gastflüchtlingen‘ von Philadelphia gehört haben, weiß der liebe Himmel, wie sie darauf kommen.“ Jill Morgenthaler – strohblondes kurzes Haar und leuchtendroter Lippenstift bilden einen auffallenden Kontrast zu ihrer Tarnkleidung – ist Presseoffizierin und hat bisher 925 Medienvertreter einzeln oder in Gruppen durch das „Dorf, nein, nicht Lager“ in Fort Dix geschleust.

„Nein, es ist uns egal, wo wir in Amerika hinkommen – Amerika ist ein Wunder“, so die Flüchtlinge. Hodzha Feriz ist schon seit einer Woche hier. Er hat 14 Jahre in Deutschland gearbeitet und spricht Deutsch. „Ich war in Düsseldorf und Benrath, in Hagen und Schwerte, habe als Lastwagenfahrer gearbeitet.“ Sein Gesicht hellt sich auf bei der Erinnerung an Zeiten, die gut gewesen sein müssen. 1983 ist er mit seinen vier Kindern nach Jugoslawien zurückgekehrt, sie sollten Albanisch lernen und in der Kultur seines Landes aufwachsen. Von seinen Ersparnissen hatte er sich einen kleinen Hof in Lipljan, einem Dorf unweit von Pritina, einen Traktor und zwei Kühe gekauft. „Das alles ist weg.“ Seine Familie aber konnte er retten.

Durch einen Fluß sind sie nach Makedonien gewatet, „dort wurden wir schlechter als in Serbien behandelt“. Er senkt die Stimme, eigentlich wäre er lieber nach Deutschland gegangen, aber er mußte die erste Gelegenheit ergreifen, aus Makedonien herauszukommen. Hodzas Nachbar Kadri Slamniku hat sich dazugesellt. Er ist 20 Jahre jünger. Ihm steht der Sinn nicht nach Erinnerungen. Wo denn hier in Amerika die guten Jobs wären. Er könnte einen Caterpillar fahren. Wie der Verdienst sei und was die Mieten kosteten?

„Zwei Gruppen von Kosovo-Albanern kommen nach Amerika“, erläutert Jill Morgenthaler. Jene, die Verwandte in Amerika haben, können ganz regulär wie Einwanderer gesponsert werden. Die landen mit Linienflügen in New York. Hier in Fort Dix aber werden die 20.000 Flüchtlinge durchgeschleust, die die amerikanische Regierung aufzunehmen bereit ist. „Wir werden Organisationen finden, die sie sponsern. Sie sind hier nur zeitweilig, Miloevic soll nicht glauben, daß unsere Aufnahmebereitschaft eine Kapitulation vor seiner Vertreibungsstrategie ist, aber wer bleiben will, kann bleiben.“ 450 Dollar im Monat bekommt eine dreiköpfige Familie acht Monate lang, „dann gehen wir davon aus, daß sie Arbeit gefunden haben“.

Bei der ersten Einführung werden den Flüchtlingen außer dem Militär-Imam auch ein orthodoxer Priester und ein protestantischer Pfarrer vorgestellt: „Wir wollen ihnen zeigen, daß in unserem Land alle Religionen und Ethnien friedlich zusammenleben“, so Morgenthaler. Auf die Flüchtlinge scheint das noch nicht abgefärbt zu haben: „Die Serben sind Kannibalen, sie sind es nicht wert, in Europa zu leben, wie kann die Welt diese Menschen als zivilisiert akzeptieren?“ fragt eine Friseuse aus Pritina erregt. Nie wieder wolle sie mit ihnen zusammenleben.

Ob Chicago eine gute Stadt sei, will Kadri Slamniku wissen. Ja, sehr gut, dort gibt es Jobs, aber auch viele Serben. Kadri denkt nach. In Chicago würden die Serben ihn nicht stören.

Die Armee hat ihre Soldaten einem „Sensibilitätstraining“ unterworfen: nicht fluchen, die Frauen nicht anstarren, niemanden mit der linken Hand anfassen, die Schuhsohlen nicht sehen lassen – was soviel heißt, die Füße nicht auf den Tisch zu legen. Die Soldaten scheinen über ihre Rolle in Fort Dix ganz glücklich zu sein. Sie können mal etwas machen, wofür sie geliebt werden. „Wenn ich schlechte Laune habe“, sagt Jill Morgenthaler, „brauche ich nur runter ins Dorf zu gehen und mit den Kindern zu spielen, dann blühe ich wieder auf.“

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