: Nato-Splitterbomben treffen Flüchtlinge
■ Bei Luftangriffen gegen paramilitärische Verbände im Kosovo werden nach serbischen Angaben über 100 Zivilisten getötet. Nato glaubt sich „möglicherweise“ verantwortlich. Scharping lehnt Bombenstopp weiter ab
Brüssel/Belgrad/Korisa (AFP/taz) – Die Nato hat in der Nacht zum Freitag in Jugoslawien ihre bisher größten und möglicherweise opferreichsten Luftangriffe geflogen. Staatliche jugoslawische Quellen berichteten gestern, über 100 Zivilisten seien bei der Bombardierung des Dorfes Korisa im Südwesten Kosovos ums Leben gekommen. In der Nacht hatte die Nato nach Angaben ihres Sprechers Jamie Shea 679 Einsätze geflogen, die meisten hintereinander in dem seit 52 Tagen anhaltenden Luftkrieg.
Am heftigsten waren die Luftangriffe in der Region um die Stadt Prizren im Südwesten Kosovos nahe der Grenze zu Albanien. Am Donnerstag hatten kosovo-albanische Quellen aus dieser Gegend von „massiven Bewegungen der serbischen Paramilitärs“ berichtet, die sich in kleinen Gruppen durch die Gegend bewegten – zum Teil in zivilen Fahrzeugen. Diese Truppen waren dann in der darauffolgenden Nacht Ziel der Nato. Dabei kam es offenbar zu dem blutigen Vorfall im Dorf Korisa fünf Kilometer nördlich von Prizren, wo der Abwurf von acht Splitterbomben nach jugoslawischen Angaben über 100 Menschenleben forderte. Die Nato erklärte, sie sei „möglicherweise“ für den Angriff verantwortlich.
Nach Angaben albanischer Augenzeugen hielten sich auf dem Bauernhof rund 500 Zivilisten versteckt. Sie hatten sich in das Dorf getraut, nachdem sie etwa zehn Tage in den umliegenden Wäldern auf der Flucht vor den serbischen Streitkräften zugebracht hatten. Ein AFP-Reporter, der am Mittag in Korisa eintraf, sah neun Leichen neben etwa 30 Traktoren, die in dem Bauernhof geparkt waren. Leichenteile von mindestens sieben anderen Toten lagen verstreut umher. Etwa zehn Traktorengespanne standen noch in Flammen. Viele Häuser waren offenbar durch die Wucht einer Explosion zerstört worden. Die Polizei war dabei, Leichen in Säcken abzutransportieren. Etwa 200 Verletzte sollen noch in der Nacht nach Prizren gebracht worden sein.
Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping kündigte trotz gegenteiliger Forderungen des Grünen-Parteitags vom Donnerstag an, die Nato werde ihre Angriffe unvermindert fortsetzen. Diese würden sich immer stärker auf Ziele im Kosovo konzentrieren, auch mit dem Ziel, „die Situation der Vertriebenen im Kosovo stabil zu halten“. Er werde sich nicht für eine Feuerpause einsetzen, erklärte Scharping.
Die Nato meldete zudem, daß die seit drei Wochen in Albanien stationierten US-amerikanischen Apache-Hubschrauber ab sofort einsatzbereit seien. Die Helikopter sollen im Kosovo Panzer und gepanzerte Fahrzeuge bekämpfen. Sie werden dabei von US-Bodentruppen unterstützt, die zu diesem Zweck bereits in Albanien Übungen durchführen. Vorher muß die Nato noch die Genehmigung von US-Präsident Clinton einholen.
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