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Moskau is calling

■ Russische Migrantenzeitungen boomen, doch auch sie sind zu sehr der alten Heimat verhaftet. Die wenigen Informationen über das Leben in Deutschland reichen nicht aus. Ein Überblick

Russische Migranten und Aussiedler haben ein doppeltes Informationsbedürfnis. Sie sind an Informationen aus der alten Heimat interessiert, wüßten aber auch gerne mehr über Deutschland. Beides möglichst in der eigenen Muttersprache – mangels ausreichender Deutschkenntnisse. Zwar sind an den Bahnhofskiosken von Berlin bis Freiburg über zwanzig Zeitungen in russischer Sprache erhältlich. Nur wenige bieten jedoch neben rußlandspezifischen Texten auch Orientierungshilfen für Migranten in Deutschland. Das ist insofern verständlich, als ein Großteil der Leser noch nicht lange hier lebt. Die Bezüge zur Heimat sind noch eng. Es ist aber auch bedenklich, da eine einseitige Lektüre die Integration in der neuen Heimat nicht eben erleichtert.

Der Markt der deutsch-russischen Zeitungen boomt seit 1996 durch die Leselust der über 2 Millionen rußlanddeutschen Aussiedler. Die Qualität mancher der rund zwanzig Blätter läßt allerdings zu wünschen übrig. Blickt man in die zweiwöchentlich in Hannover erstellte Kontakt oder den Berliner Caravan, fühlt man sich an Erzeugnisse aus sozialistischer Zeit erinnert. Mit einem Unterschied: Politik spielt hier eine eher nachrangige Rolle. Dies unterscheidet die russischen auch deutlich von den kroatischen, serbischen und albanischen Zeitungen. Die Überschriften sind oft einfallslos, das Layout und die Fotos sind von eher schlechter Qualität und meist langweilig.

Banal erscheinend, aber für Migranten durchaus wichtig ist der Inhalt: Tips für den Behördengang, Informationen über Versicherungen, Berichte über Tanzveranstaltungen, Rätselseiten, russisches TV-Programm und Kontakt-Kleinanzeigen. Viele Kontakt-Seiten dienen der Werbung von Reisebüros, Übersetzern oder Fachbuchhandlungen. Ähnliche Inhalte hat die Monatszeitschrift Ost-West-Kurs, die in Rodenbach/Pfalz für russischstämmige Aussiedler produziert wird. Auch das Magazin Ost-Express ist selten aktuell, aber immerhin zweisprachig.

Unter dem gleichen deutschen Untertitel Ost-Express erscheint die russischsprachige Wochenzeitung Wostotschni Express in einer Auflage von 35.000 Exemplaren. Die in Ahlen erstellte Zeitung bietet seriöse Informationen aus Rußland und Deutschland und einen umfangreichen Anzeigenteil. Produziert wird auch die einzeln verkaufte Beilage Ost-Express-TV mit einem detaillierten Fernsehprogramm. Ab und zu wird auch einmal ein Text in Deutsch veröffentlicht, so im Februar 1999 ein Interview mit dem Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung. Da hat die seit 1997 monatlich erscheinende Deutsch-Russische Zeitung schon einen anderen Anspruch: „Wir machen Zweisprachigkeit zum Prinzip“, sagt Herausgeber Waldemar Weber. Die in München produzierte Zeitung soll „für die dasein, die sich integrieren und nicht auf einer Kulturinsel leben wollen“. Auch der Eurasiatische Kurier ist eine zweisprachige russisch-deutsche Monatszeitung für aktuelle Gegenwartsfragen, Geschichte und Unterhaltung.

Die in Hamburg produzierte Zeitung erscheint mit der Beilage „Heimat – Aktuell“. Berichte aus den Landsmannschaften und lange Texte zur Geschichte der Rußlanddeutschen prägen die Zeitung.

Die schon 1996 etablierte Berliner Wochenzeitung Russkaja Germanija hat nicht nur viel Werbung anzubieten, sondern auch einige Texte aus Deutschland. Allerdings nur in Russisch. Gut sind auch die Wochenzeitung Express aus Frankfurt und die 1992 in Berlin gegründete, 14tägig erscheinende EZ, die seriöse und gut aufgemachte Informationen bieten. Die Wochenzeitung Wedomosti erscheint seit 1996 in Dortmund. Sie bringt viele Berichte aus Deutschland, eine ganze Leserbriefseite, Schönheitstips und eine Fernsehseite.

Seit 1995 erscheint in Berlin der Serkalo Sagadok (“Spiegel der Rätsel“), ein Magazin für Kultur und Politik. Wichtigstes Thema des in einer Auflage von tausend Exemplaren verbreiteten Blattes ist die jüdisch-russische Emigration. Ähnliches gilt für das seit 1996 in Hannover produzierte Blatt Nascha Gaseta (“Unsere Zeitung“). Herausgeber ist der Verein der Juden aus der GUS in Deutschland e.V. In Köln produziert wird die Monatszeitung Kpyr (“Der Kreis“), die sich vor allem an jüdische Zuwanderer aus dem Kölner Raum wendet.

An christlich-religiöse Migranten wenden sich zwei Zeitungen. Zum einen das zwölfseitige Blatt Kristiansaja Gazeta (“Christliche Zeitung“), das seit 1998 in Idar-Oberstein erstellt wird. Zum anderen die Informations- und Anzeigenzeitung Rein Info. Die Monatszeitung mit einer Auflage von 10.000 Exemplaren besteht vor allem aus Nachdrucken deutscher Zeitungsartikel. Sehr praktisch ist der Fortsetzungs-Deutschkurs. Leider werden jedoch manche Vokabeln falsch „gesrieben“.

Praxisrelevanz hat sich die alle zwei Monate erscheinende Zeitung Woprosi i Otweti (“Fragen und Antworten“) zum Programm gemacht. Auf 24 Seiten bietet sie Tips und Erklärungen zum Leben in Deutschland. Erläutert werden etwa Bau-, Miet- und Aussiedlerrechtsfragen, Überstundenregelungen, Verkehrsregeln und Unfallrecht, und es gibt Tips zu Steuererklärungen. Ferner werden Leserfragen beantwortet, zum Beispiel was man wissen muß, wenn man Parkscheiben preußisch-korrekt einstellen will. Die Tageszeitung Argumenti i Fakti wird zwar in Neu-Isenburg gedruckt, jedoch in Rußland erstellt. Weitere für den deutschen Markt produzierte Blätter sind Nowaja Berlinskaja, Russkij Berlin, Russkaja Ewropa, Neues Rußland sowie der deutsch-russische Sputnik, der schon zu DDR-Zeiten bekannt war.

Fazit: Zuviel „Moskau is calling“. Für die meisten Publikationen ist der Weg zur echten Migrantenzeitung noch weit. Offenbar müssen sich Aussiedler und russische Migranten trotz der beschriebenen Vielfalt noch etwas gedulden, bis sich das Zeitungsangebot ihrem spezifischen binationalen Informationsbedürfnis angepaßt hat. Ekkehart Schmidt

Russische Migranten müssen sich noch gedulden, bis ihr Informationsbedürfnis befriedigt wird

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