piwik no script img

Urbaner Cyberfolk

Das Afro Celt Sound System verbindet afrikanische und irische Roots mit der Rave-Kultur der Gegenwart  ■ Von Daniel Bax

„No Blacks No Irish No Dogs“. So stand es in England noch in den sechziger Jahren an mancher Kneipe. Vor dem britischen Rassismus waren Rothaarige und Dunkelhäutige gleich. Auch in den USA wurden beide Minderheiten, die keineswegs harmonisch miteinander auskamen, miteinander assoziiert und mit ähnlichen Klischees belegt. Und eine der Lieblingsfragen der US-Ethnizitätsforschung ist es herauszufinden, „wie die Iren weiß wurden“, so der Titel eines entsprechenden Werks. Vor diesem Hintergrund muß auch das Phänomen der Keltentümelei betrachtet werden, das europäische Äquivalent zum Afrozentrismus. Von der hegemonialen Kultur mit dem Stempel des Obskuren versehen, dient die so gezeichnete Vergangenheit als identitätsstiftende Blaupause.

Das Afro Celt Sound System verlötet beide Symbolwelten erstmals zur transkontinentalen Allianz. Mastermind des Unternehmens ist Simon Emmerson, selbst weder Ire noch Afrikaner. Ursprünglich entstammt er der Londoner Punkszene, später spielte er bei der Retro-Jazzband Working Week – „die einzigen, die sich an die Gruppe erinnern, sind deutsche Journalisten“, amüsiert er sich. Zuletzt trat Emmerson als Produzent afrikanischer Musiker in Aktion. Als er mit Senegals Sängerstar Baaba Maal an dessen Album arbeitete, kam ihm die Idee zu seinem Projekt. „Baaba Maal sang dieses unglaublich beeindruckende Stück, Daande Lenol, und ich hatte die Eingebung, daß es mich an ein irisches Klagelied erinnerte. Und als ich die Aufnahme später einem Freund, dem Dudelsackspieler Davy Spillane, vorspielte, da konnte er auf Anhieb eine Melodie unterlegen“, rekapituliert Simon Emmerson die Entstehungsgeschichte des Afro-Celt-Gedankens, eine futuristische Symbiose aus afrikanischen und irischen Traditionen in die Wege zu leiten.

Mit einer Gruppe Gleichgesinnter werkelte Emmerson an diesem Projekt, und im Sommer 1995 traute sich die Crew aus profilierten westafrikanischen, irischen und britischen Musikern zum ersten Mal, das Konzept auf die Bühne zu bringen. Die Resonanz war gut, und so verbarrikadierte man sich anschließend auf Peter Gabriels exklusivem Real-World-Studioareal, wo die Kopfgeburt konkrete Formen annahm. Ein Jahr darauf erschien das Afro-Celt-Debüt „Sound Magic“. Wider Erwarten überzeugte es die Gralshüter des Folk wie die Weltmusikfraktion und verkaufte sich über 200.000mal. Das Folgealbum „Release“, kürzlich erschienen, knüpft nahtlos an den Vorgänger an und findet sich bereits in den Höhen der irischen Charts.

Scheinbar mühelos verschmelzen in den Arragements des Afro Celt Sound Systems die Klänge der westafrikanischen Koraharfe mit irischen Flöten, gälischer Gesang mit afrikanischer Percussion und alles zusammen mit dem, was Simon Emmerson „die urbane Volksmusik von heute“ nennt, mit Dub und Drum 'n' Bass, Techno und Trance. Das Ganze ergibt mehr als die Summe seiner Teile, verbindet Roots und Rave zum interkulturellen Cyberfolk – wobei sich einwenden läßt, daß das Ergebnis in seichteren Momenten gar nicht so weit von jener kommerziellen, reklamefreundlichen Weltmusik-Mixtur à la Deep Forest entfernt ist, von der man sich gern absetzen möchte.

Mit ihren Live-Auftritten, die sie nun erstmals auch nach Deutschland führen, bemüht sich die Band jedoch, dem Eindruck zu begegnen, ein gesichtsloses Studiokonstrukt zu sein. „Wir sind eine Band, die es liebt, live zu spielen“, betont Simon Emmerson. Und: „Wir wollen Teil der Pop-Szene sein“, weswegen man gern neben Rockbands wie Skunk Anansie oder Donosaur Jr. auftritt, um deren Hörerschaft zu überrumpeln. „Wir sind eine der aufregendsten Gruppen im Moment“, ist Emmerson überzeugt. „Die Leute langweilen sich doch, immer nur ein paar Typen mit Gitarre auf einer Bühne zu sehen.“

Das typische Afro-Celt-Konzertpublikum bestehe zu „je einem Drittel aus Technoheads, aus Folkfans und aus Liebhabern von Dritte-Welt-Musik“, meint Emmerson, und das sei gut so. Auf keinen Fall will man lediglich den Soundteppich ausbreiten für ein paar tanzwütige Hippies, die in Keltenmythik schwelgen. Die dürften sich freilich durchaus angesprochen fühlen durch das Cover-Logo, das nicht mit Eso-Symbolismus geizt. Verantwortlich für das Afro-Celt-Artwork ist Jamie Reid, dessen Werdegang symptomatisch ist: Früher trieb er als Sex-Pistols-Hausgrafiker der Queen eine Sicherheitsnadel durch die Nase, heute ist der Multimediakünstler ein Anhänger der Theorie, daß die Ursprünge der Kelten irgendwo in Westafrika liegen – womit sich der ideelle Kreis wieder schließt.

Das Afro Celt Sound System steht nicht allein auf grüner Flur, ihr eklektizistischer Ansatz ist nur der augenfälligste Ausdruck eines Trends zum Crossover mit keltischer Musik. Ob nun die Chieftains, eine der dienstältesten Folkkapellen, mit Rockbands wie den Rolling Stones kooperieren oder der bretonische Harfenguru Alan Stivell den senegalesischen Sänger Youssou N' Dour ins Studio einlädt, alles scheint derzeit möglich im Zeichen des „Celtic Craze“. Oft wirkt das nach bemühtem Auffrischen. Das Afro Celt Sound System setzt dagegen auf die Energie moderner Elektronik, wie einst die Pogues die irische Volksmusik mit Punk wiederbelebten. Über die Pogues sagte Elvis Costello einmal voller Anerkennung, sie hätten den irischen Folk vor den Folkfans gerettet. Das gleiche läßt sich vielleicht auch einmal über das Afro Celt Sound System sagen.

Tour: 17. 5. Berlin, 18. 5. Mainz, 19. 5. München, 21. 5. Hamburg

Mühelos verschmelzen die Klänge der west- afrikanischen Koraharfe mit irischen Flöten

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen