Unterwegs im Chossovo (1)

■ Beim Jupiter, wenn das mal mit rechten Dingen zugeht ...

Für einen Flüchtlingselendsreporter ist es nicht leicht, in den oder das Kosovo (Chossovo) zu gelangen: zu viele Straßensperren, zu viele gesprengte Brücken, zu gute serbische Heckenschützen, die mit Vorliebe auf deutsche Faschisten anlegen, zu schlechte Geographiekenntnisse.

„Chossovo? Jo, is'n des nit in Kroatien?“ duzt mich eine Bozener Marktfrau, bei der ich mich nach dem Weg in die furchtbaren Lager erkundige. – „A na, hier bei uns is' Tirol, gell. Berge, Ski, Gemsen, die ,Heidi'...“ Erst nach weiteren acht Tagen erreiche ich das albanische Skhoder, eine kleine Stadt im Norden des gebeutelten Balkan. Es ist viertel sieben Ortszeit. Blau liegt ein kühler Morgen über der riesigen Zeltstadt, eine Sternschnuppe bahnt sich ihren Weg durch Herden von Schafswölkchen. Über 4.000 Flüchtlinge leben hier in beengten Verhältnissen, teilweise sind Frauen und Kinder darunter.

Trotzdem springe ich unwillkürlich zurück, als direkt neben mir der Reißverschluß eines Flüchtlingszelts aufgeht. Ein junger Mann tritt heraus. Gähnend reckt er die Arme, zupft, als er mich sieht, seinen Pyjama zurecht und reicht mir die Hand: „Herry Lenz, Tach! Wollnse 'n Kaffee?“ Als ich verneine, ist er fast froh, rollt eine Beachmatte aus, setzt sich darauf, verknotet Arme und Beine und guckt in die Wölkchen. „Yoga?“ frage ich. „Präziso“, knurrt der knapp Zwanzigjährige, „Sonnengruß. Fünf Minnütkes vorm Frühstück, und der Tach kann beginnen!“

„Für einen Albaner sprechen Sie aber gut Westfälisch“, beginne ich eine längere Konversation. „Bin aus Unna, woll. Hoch- und Tiefbau.“ „Und was tun Sie hier?“ recherchiere ich und stecke ihm mein Mikrophon in den Hals. „Ja nu, Flüchtling. Oppa war Sudetendeutscher. Getz' kann auch ich mal so Erfahrungen machen.“

Auf mindestens 100.000 schätzt Rupert Neudeck, Kassierer des Vereins für seltene Völker, die Zahl der ins Chossovo gepilgerten Sudeten der siebten und achten Generation. „Es ist eine humanitäre Katastrophe!“ strahlt der gerbhäutige Tausendsassa und bietet mir einen Satz Südseepostkarten an – barbusige Weiber beim Ritentanz, zehn Stück zweifuffzig. „Diese jungen Menschen“, kommt er dann leider auf „die Arschgeigen“ zurück, „beheben ein Identitätsdefizit, ein biographisches. Per Vertriebensein-Watching! Kann man machen. Immerhin“, brummt er plötzlich leise und stiert mir auf die Jesuslatschen. „immerhin sind bei uns keine Neger. Die sind alle bei den Schweizern, in Kukes.“

Mehr als zwanzig Kilometer trennen mich am nächsten Tag vom Rummelplatz der Schweizer Hilfsmissionen, und doch höre ich bereits das Dröhnen der Kongas und Bongos. Thomas Reuter, Balkan-Verantwortlicher des Malteser-Auslandsdienstes, empfängt mich mit baumdicken Tränen in den Augen. „Das ist das reinste Hula-Hoop“, weint er wie ein Kind und führt mich auf einen weiträumigen Sandplatz: „Hier stand früher unsere Sanitärstation. Aber sehen Sie selbst.“

„O je. Aber na ja, so sind sie halt“, kommentiere ich die Umwidmung des Platzes in ein prachtvolles Basketballstadion mit VIP-Tribüne, hochbezahlten Vereinsmanagern und angeschlossener Wigwam-Schneiderei für rund 10.000 Hutus und Tutsis.

„Chossovaner sehen in der Tat anders aus“, äußere ich eine schreckliche Vermutung. „Verlangen Sie denn keine Pässe?“ „Selbstverständlich. Aber der Neger ist doch nicht doof. Wenn man ihn fragt, sagt er einfach, die Serben hätten ihm alle Papiere abgenommen. Beweisen Sie da mal das Gegenteil!“

„Warum ich?“ kontere ich pikiert. Ich weiß ja schließlich auch nicht weiter! Beim Jupiter, Zustände sind das! Freilich zeigt der Malteser Reuter Verständnis: „Hier werden sie als Verfolgte anerkannt, werden sie global 1A beheult, im Fernsehn interviewt und so weiter. Und dann schön ausgeflogen – Asyl auf dem Rücken des Krieges!“

Du liebe Scheiße. Aber nun muß ich weiterziehen. Denn die Franzosen, verrät mir der gutherzige Schweizer, haben gestern „80.000 neue Albaner gekriegt. ,Albaner', jawohl, verstehen Sie, hahaha – und alle heißen komischerweise irgendwie mit – Öcalan.“

„Na na!“ sage ich und knittere meine Stirn in tiefe Sorgenfurchen. „Wenn das mal mit rechten Dingen zugeht.“ Dann heißt es Abschied nehmen! Thomas Gsella

„Und was machen Sie hier?“ recherchiere ich. – „Ja nu, Flüchtling“, antwortet Herry Lenz (20) aus Unna.