Eine geschlossene Gesellschaft

In Paris steht der französische Söldner Robert Denard wegen der Ermordung des Staatschefs der Komoren vor Gericht. Eine Justizfarce am Ende einer Karriere  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Sie nannten ihn „Bob“, „Papa Oberst“ oder „alter Weiser“. Auf dem südostafrikanischen Inselarchipel der Komoren machte er „den Regen und das schöne Wetter“ und nebenbei gute Geschäfte. Die komorischen Kinder lernten seinen Namen lange vor der Einschulung kennen und fürchten. Am Unabhängigkeitstag rollte er im offenen Wagen durch die mit Kokospalmen bepflanzten Straßen der Hauptstadt Moroni. Er kontrollierte Militär, Polizei und den Außenhandel. Er machte und entmachtete Präsidenten, wie es seinen Auftraggebern beliebte. Und er sorgte dafür, daß keine Opposition stark wurde.

Daß es dabei Tote gab, Zerstörungen und immer neue Krisen, hat seinem Ansehen nicht geschadet. Im Gegenteil: Bei einem Söldnerchef gehören solche Dinge zum Handwerk. Jetzt hat die Realpolitik den Franzosen Robert Denard eingeholt. Mit 70 sitzt der Mann, der sein Berufsleben in militärischen Phantasieuniformen verbracht hat, in einem sandfarbenen Anzug auf der Anklagebank des Pariser Schwurgerichts. Zum ersten Mal in seinem Leben muß er sich wegen Mordes verantworten. Wegen eines einzigen nur. Aber nach 40 Jahren, während derer er als Söldner weltweit in jenen Konflikten kämpfte, in denen Frankreich offiziell nicht eingriff, ist das eine neue Qualität.

Denard wird vorgeworfen, in der Nacht zum 27. November 1989 den komorischen Staatschef Abdallah ermordet zu haben. Zusammen mit zwei anderen französischen Söldnern, die damals in der von Denard aufgebauten komorischen Präsidentengarde dienten und von denen heute einer auf der Flucht ist und der andere neben Denard auf der Anklagebank sitzt, soll er drei Kugeln in das Herz des Präsidenten plaziert haben.

Wenige Wochen vor jener Nacht in den Tropen war die Berliner Mauer gefallen. In Südafrika diskutierte man über eine Einstellung der Finanzierung von Denards komorischer Präsidentengarde, die auch die Import-Export-Geschäfte des Apartheidregimes gesichert hatte. Und in Paris begann der langjährige afrikanische Staatschef Abdallah, der seinen französischen Paß bis in den Tod behielt, lästig zu werden.

In dem holzgetäfelten Saal „S“ des Pariser Schwurgerichts, in dem auch über den anderen internationalen Terroristen „Carlos“ geurteilt wurde, ist das Gewicht der zu verhandelnden Ereignisse nicht zu spüren. Dieses Mal ist die Atmosphäre entspannt, der Angeklagte freundlich. Er bezeichnet sich als „französischer Patriot“. Einer seiner Anwälte, Jean-Marc Varaut, der schon den französischen Kollaborateur Papon verteidigt hat, ist ein bekannter Vertreter des „alten Frankreich“.

Wenn ein früherer Mitkämpfer Denards vom Zeugenstand aus vor dem „Oberst“ militärisch salutiert, greift niemand ein. Auch nicht, wenn ein Zeuge dem Angeklagten aufmunternd zuzwinkert. Und wenn der Vorsitzende Richter Yves Corneloup den Angeklagten genüßlich fragt, ob er ihn als „homme à femmes“ – als Frauenmann – bezeichnen dürfe, grinst Denard stolz und schmunzelt der Saal.

Im Publikum sitzt der Denard-Clan. Darunter eine der sechs Ex-Gattinen, die aus Zaire, genauer: Belgisch-Kongo, stammt, sowie die aktuelle Madame Denard, die auf den Komoren zur Welt kam und ein winziges lilafarbenes Hosenröckchen über glänzenden Nylonstrümpfen trägt. Die abwesenden Madame Denards loben schriftlich einen „liebevollen Gatten“, einen „fürsorglichen Vater“ und einen „Ehrenmann, der alles, was er tat, für Frankreich tat“.

In den ersten Tagen des Prozesses, der am 4. Mai begann und in dieser Woche zu Ende gehen soll, saßen auch vier Kinder von Präsident Abdallah im Gerichtssaal. Kurz nach der Ermordung ihres Vaters hatten sie Klage gegen Denard erstattet. 1996 zogen sie sie zurück. Warum sie das taten, erklärt Salim, der älteste Sohn des Ermordeten, mit einer „Empfehlung“ aus dem französischen Kooperationsministerium. An den Namen jenes ratgebenden Beamten kann Salim Abdallah sich vor Gericht „nicht erinnern“. Sehr wohl aber an den Zusammenhang: Seine beiden Zwillingsbrüder waren auf den Komoren wegen eines Putschversuchs zum Tode verurteilt worden, und er ersuchte im Elysée-Palast und im Kooperationsministerium in Paris um Hilfe. Dort bekam er die Auskunft, nur eine „militärische Lösung“ könne die Zwillinge retten. Er solle „Denard fragen“. Der Kooperationsbeamte soll vorsorglich hinzugefügt haben: „Man muß Denard gnädig stimmen.“

Der älteste Abdallah-Sohn versteht. Er klopft bei dem Söldner an, gegen den seine Familie wegen Mordes klagt, und erhält dort nach zwei Bedenktagen die Antwort: „Ich habe eine moralische Schuld gegenüber Ihrem Vater. Ich mache mir das zur Ehrensache.“ Im September 1995 landet Denard, der damals bereits unter juristischer Überwachung in Frankreich steht, erneut auf den Komoren. Die Gefängnistüren stehen sperrangelweit offen. Nachdem die Abdallah-Zwillinge in die Freiheit spaziert sind, holen französische Fallschirmjäger in einem „Einsatz zur Wiederherstellung der demokratischen Verhältnisse“ den Söldner nach Frankreich zurück. Die Komorer bekommen wieder einmal einen neuen Präsidenten. Und Denard erhält eine Kopie des Schreibens, in dem die Abdallah-Kinder ihre Klage zurückziehen.

In Saal „S“ gibt es wegen des Rückziehers der Abdallah-Kinder keine kontroverse Debatte. Die beiden afrikanischen Anwälte, die die komorische Regierung als Nebenklägerin vertreten, verhalten sich so diskret, daß ihre Anwesenheit über lange Strecken in Vergessenheit gerät. Der neuerliche Putsch auf den Komoren, der 18. seit der „Dekolonisierung“ von Frankreich im Jahr 1975, hat sie diskreditiert. Der Putsch fand vier Tage vor Prozeßbeginn statt und führte dazu, daß die Verteidigung Denards den Rückzug der Anwälte verlangte, da es „keine Regierung auf den Komoren“ gebe. Erst nach mehreren Verhandlungstagen trifft in Paris ein Fax des Putschistenoberst ein. Er bestätigt den Arbeitsauftrag an die beiden Anwälte.

Die wenigen aus den Komoren angereisten Zeugen sprechen kaum Französisch. Nachdem der offizielle Übersetzer der Komorischen Botschaft als befangen abgelehnt wird, müssen sie aussagen, ohne zu verstehen, was um sie herum passiert. Der Gerichtssaal wird zum Kolonialkontor. „Ich weiß, daß in Afrika die Zeit keine Rolle spielt“, sagt der Vorstizende Richter, „aber wann war es?“ Vor ihm steht ein alter Mann in einer viel zu weiten verknitterten Anzugjacke und einer bestickten Kopfbedeckung. „Oui, Chef“, antwortet er. Der Vorsitzende Richter hat „keine weiteren Fragen“.

Statt des Komorers, der kein Französisch kann, sprechen sich Dutzende von französischen und belgischen Söldnern, französischen Militärs und Geheimdienstlern im Zeugenstand aus. Ein Gendarmerieoffizier im Ruhestand spricht von seiner „Bewunderung für den extrem aufrechten Mann, der immer wieder sein Leben riskiert hat“. Ein Politologe, der den Angeklagten wenige Tage vor dem Mord traf, weil „man Denard einfach treffen muß, wenn man sich für das südliche Afrika interessiert“, will beobachtet haben, daß der Söldner „in Harmonie mit dem Präsidenten Abdallah“ war.

Der langjährige Spitzenmitarbeiter der französischen Konterspionage SDECE und spätere Kooperationsminister Michel Roussin kommt zwar nicht persönlich, schickt aber ein Empfehlungsschreiben über den Angeklagten: „Er war ein zuverlässiger und ehrlicher Mitarbeiter.“ General Jeannou Lacaze spricht von einem „nicht bezahltem Agenten der französischen Geheimdienste“.

Denard selbst ist diskret, wie es sein Ruf verlangt. Was er sagen wollte, hat er ohnehin längst auf Pressekonferenzen, auf zahlenden Dinnerparties und in seiner im vergangenen Jahr veröffentlichten 431seitigen Autobiographie (] als Abenteuergeschichten verbreitet. Da beschrieb er die „Operationen“ gegen „Terroristen“ im Marokko der 50er Jahre, die nichts anderes als Oppositionellenmorde waren. Das gescheiterte Attentat gegen den linken französischen Premierminister Mendès-France. Seine Kämpfe in den Diensten von und gegen Mobutu. Seine „Einsätze“ in Biafra, Nigeria, Kurdistan, Guinea-Konakry, Libyen, Angola, Benin und dem Tschad.

In dem Pariser Prozeß kann sich der Angeklagte bei Detailfragen plötzlich „nicht erinnern“. „In Biafra“, sagt er, „war alles von den (französischen) Diensten bezahlt.“ Bei anderen „Operationen“ seien die „Dienste bloß informiert“ gewesen. Aber „nie“ habe er gegen französische Interessen verstoßen. „Die Ampel in Paris war weder rot noch grün“, so der Söldner, „sie war gelb.“

Nach ein paar Verhandlungstagen ist klar, daß Denard bloß einmal ernsthaft gegen die Spielregeln von Paris verstoßen hat: beim Mord von Präsident Abdallah. Aber auch da hielten ihm die „Dienste“ die Treue. Der französische General Aussaresse berichtet als Zeuge, daß es die „Überlegung gab, Denard anschließend nach Südamerika zu exfiltrieren“. Obwohl der Tod von Abdallah, „keine Auftragsarbeit“ gewesen sei.

Den wohlhabenden Reishändler Abdallah, den Denard zweimal (1975 und 1978) gewaltsam an die Macht gebracht und zwischendurch einmal, ebenfalls bewaffnet, davon entfernt hat, bezeichnet der Angeklagte als seinen „Freund“. Die Verantwortung für die Tat bestreitet er komplett. Statt dessen liefert er dem Gericht die Geschichte von einem „Scheinangriff“ auf das Palais in Moroni, den er in jener Nacht zum 27. November 1989 inszeniert haben will, um im Schutz der Schüsse die reguläre Armee zu entwaffnen. Denn Denard plante, seine Präsidialgarde zur offiziellen Truppe des Landes zu machen.

Während des „Scheinangriffs“ draußen kam es zwischen dem Präsidenten und seinem Söldner drinnen zu einem lautstarken Wortwechsel. Dabei habe, so behauptet der Angeklagte, der präsidiale Leibwächter Jaffar die Nerven verloren und auf ihn, Denard, gezielt. Da er in Deckung gegangen sei, hätten Jaffars Kugeln eben das Herz des Präsidenten getroffen. Dreimal: „Ein Unfall.“

Daß anschließend ein Söldner Denards Jaffar erschossen habe – der heute flüchtige dritte Angeklagte, versteht sich –, ist für das Gericht ohne Bedeutung. Jaffars Tod war weder in Moroni noch in Paris je Gegenstand eines Verfahrens. Außerdem haben nur die drei Angeklagten die Szene im Palais von Moroni überlebt. Und die haben vor ihrem späteren Rückzug nach Südafrika ohnehin sämtliche Spuren beseitigt.

Die Komoren, wo begann, was Denard vor dieses Gericht brachte, sind in Saal „S“ wieder so französisch wie vor ihrer Unabhängigkeit. Als ein paar komorische Jugendliche im Publikum – Mitglieder oppositioneller Organisationen und Studenten in Paris – laut aufraunen, während ein belgischer Söldner ihr Land „erklärt“, verliert der Vorsitzende Richter ausnahmsweise seine Jovialität. „Dies ist ein Gerichtssaal, kein Theater“, herrscht er sie an.

#obert Denard: „Corsaire de la Republique“. Paris 1998

Denard beteuert, er habe nie gegen französische Interessen verstoßen: „Die Ampel in Paris war weder rot noch grün, sie war gelb.“