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Revolution Power Rangers

Sie sind plump, plakativ, Pop. Sie wollen immer noch das Schweinesystem stürzen. Atari Teenage Riot sind die letzten Parolenschmiede des elektronischen Politgrobianismus – und deshalb ein Stachel im Fleisch der Feingeister und Helden der neuen Mitte  ■   Von Tobias Rapp

Es ist ein Bild für die Götter. Berlin-Kreuzberg und „Revolutionärer 1. Mai“. Frühling herrscht in der Stadt, der Himmel ist blau und die Oranienstraße voll wild entschlossener Demonstranten. Und über all dem thront Alec Empire, von Kopf bis Fuß in Schwarz, reckt die Faust in die Höhe und ruft: „Deutschland has gotta die!“ Die Maifestspiele sind eröffnet.

Eine halbe Stunde später und einige hundert Meter weiter beginnt dann die Straßenschlacht. Alles ist wie immer, und doch ist alles anders. Nach Jahren der Suche hat der 1. Mai wieder zu sich selbst gefunden.

Denn obwohl immer noch das ganze Jahr über von verschiedensten Brandmauern der Stadt zurRevolution aufgerufen wird, steckte die große Westberliner Tradition des Dem-Schweinesystem-seine-Grenzen-Aufzeigens in der Krise. Sie wurde in den Osten verlegt, traf aber im Prenzlauer Berg auf wenig Gegenliebe.

Jetzt hat die Generation Star Wars die kulturelle Hegemonie übernommen. Nicht nur vom Plakat wies ein Lichtschwert den Weg gegen die Mächte der Finsternis; wo sonst liebevoll „Lauti“ genannte VW-Busse mit Lautsprechern auf dem Dach die Route heruntergeschoben wurden, fährt diesmal ein Truck, dessen Ladefläche meterhoch mit Boxen vollgestapelt ist. Power Rangern gleich schicken Atari Teenage Riot von dort Breakbeatblitze und Parolen gegen dasSystem. „Destroy 2000 Years Of Culture!“ In der Nähe des Hermannplatzes holt die Polizei sie schließlich vom Wagen – wegen Aufrufs zur Gewalt, wie zu Nic Endo, Krachprogrammiererin der Band, gesagt wird. Einbehalten wird aber niemand, soweit eskaliert die Revolution heute noch nicht.

„Da haben Polizisten mit Steinen auf uns geworfen“, sagt Alec Empire wie zum Beleg seiner These„Riot sounds produce Riots“. Es ist noch immer Frühling, vor dem Studiofenster zwitschern die Vögel, während außer einer gewissen Unordnung sowie Boxen mit durchgebrannten Hochtönern eigentlich nichts davon zeugt, daß hier die Sounds ausgeheckt werden, die den Untergang der westlichen Welt beschwören.

Letzte Vertreter klarer Feindbilder

Atari Teenage Riot nämlich sind zwar die bandgewordene Stadtguerilla, entsprechen aber auch verblüffend genau dem Bild der neuen urbanen Gründer, der „Generation Berlin“, wie sie im selben Gebäude, bloß einen Flaschenwurf entfernt, in den Büros von Marc Wohlrabe hockt, dem Chef des Partymagazins Flyer. Wohlrabe wie Empire sind jung, Unternehmer, kreativ, flexibel und erschließen Märkte im Ausland. Empires Label Digital Hardcore Recordings etwa operiert von London aus, allerdings auch, weil der Betreiber sich der Musterung entzieht. Und hier beginnen die Unterschiede.

Ob man Atari Teenage Riot mag oder nicht, sie sind der einzige erfolgreiche Berliner Popkulturexport der Neunziger, der nicht zur Hauptstadtwerbung taugt. Es ist auch nicht abzusehen, daß sie das Schicksal ihrer 80er-Jahre-Krachmusik-Vorgänger von den Einstürzenden Neubauten teilen, irgendwann als Schatten ihrer ehemaligen Feinde durch staatliche Theater zu schleichen. Dann doch lieber 1. Mai, vor allem, wenn Deutschland im Krieg ist. Da gibt es kein Irgendwie-gegen-Bombardierungen-aber-auch-gegen-ethnische Säuberungen-sein, wie bei den Nachbarn vom Flyer. Dagegen ist dagegen.

Genau deshalb sind ATR auch auf der Demonstration aufgetreten – und nicht etwa, um ihre neue Platte „60 Seconds Wipe Out“ anzupreisen: „Wenn ein Autonomer Nike-Turnschuhe trägt, läuft der ja auch keine Werbung.“ Das ist zwar nur bedingt logisch, doch eines zumindest klar: Atari Teenage Riot sind Überzeugungstäter. Wenn sie eines von der neuen Kulturmitte unterschiedet, dann ist es Haltung. Wo sonst bastelbiographisch und situationsabhängig die verschiedensten Attitudes eingesetzt werden, sind Atari Teenage Riot die letzten Vertreter klarer Feindbilder.

Erinnerung an radikalere Zeiten

Genau an dem Punkt hat die politisierte Restboheme zwischen Mainstream und Underground, Ironie und Anpassung irgendwann einmal ein Problem bekommen. So albern sich die ATR-Parolen manchmal anhören, sie treffen einen wunden Punkt. Denn das Pop/Politik-Feld Deutschland 99 ist nicht nur vermintes Gelände, es ist auch so gut wie verlassen. Wo Anfang der Neunziger über sogenannte Wohlfahrtsausschüsse und HipHop noch versucht wurde, Brücken zu bauen, tun sich heute nicht einmal mehr Gräben auf.

Atari Teenage Riot sind die bandgewordene Erinnerung an radikalere Zeiten, an die die meisten lieber nicht erinnert werden wollen. „Der schlimmste Alptraum ist wahr geworden. Die Technoszene hat versagt“, sagt Empire. Und diese Szene war irgendwann einmal auch seine. Es waren die gleichen Parties und die gleichen Clubs, das gleiche Gefühl von Machbarkeit angesichts des leerstehenden urbanen Raums in Berlin-Mitte, das zum Konzept von Atari Teenage Riot führte – und zur Dienstleistungsbranche Nachtleben in der Hauptstadt. Wahrscheinlich erzählen sich auch die Organisatoren der Love Parade heute noch am Kaminfeuer mit leuchtenden Augen von der Energie, mit der Underground Resistance 1991 den Tresor bespielten. Nur daß Alec Empire darauf besteht, dies sei „revolutionäre Energie“ gewesen.

Kaum verwunderlich bei einer solchen Frontlage, daß sie bisher nur ein Zehntel ihrer Platten in Deutschland verkauft haben, ein Bruchteil von dem, was in den USA oder Japan über die Verkaufstheke geht. Sophistication und Geschmack buchstabieren sich anders. Atari Teenage Riot sind plump, plakativ und Pop. Alles, was in den letzten dreißig Jahren an Diskursen durch die Linke kursiert ist, wird zu einem stahlstempelartigen Slogan gegossen, den niemand mißverstehen können soll. Wenn „Deutschland has gotta die!“ in den USA als antinationalistisches Statement ankommt, hat es geklappt, wenn holländische Gabba-Hooligans Deutschland sterben sehen wollen, stimmt immerhin die Richtung. Bomberpiloten werden sich auf jeden Fall nicht zu der Parole „Get ready to fight!“ in ihr Cockpit setzen, da ist Alec Empire sich sicher. Und das liegt vor allem am Sound.

Während es im restlichen Digital Hardcore-Universum im vergangenen Jahr um Diversifizierung ging und der Krachklang mit Acts wie Fever in Richtung Hiphop und mit Cobra Killer in Richtung Garagepunk erweitert wurde, handelt „60 Seconds Wipe Out“ eher von Konsolidierung. Mit Andy Wallace wurde der Produzent der Metalgruppe Helmet hinzugezogen, und so hört sich das dann auch an: Breitband-Krach in Perfektion.

„The Future Of War“, die letzte ATR-Platte, war vor allem auf die klanglichen Mitten hin produziert. Das war nicht nur nur in der Titelgebung eine Kriegserklärung, das klang auch so: Ein Wall of noise sägte sich in die Gehörgänge. „60 Seconds Wipe Out“ ist anders: Krach in Cinemascope, der mit einer solchen Wucht aus den Lautsprechern knallt, daß tatsächlich der Klangstrom zu beben beginnt, wie es Alec Empires Ex-Label Mille Plateaux eine Weile lang von seinen Produktionen behauptet. Dieser Krach hört sich eben nicht an wie irgendeine Geräusch-meets-Kunstgalerie-Ambient-Platte. Der Krach hört sich an wie ATR-Sängerin Hanin Elias, wenn sie schreit: „Action!“. Und diesen Krach kann man nicht mißverstehen, zumal er in einigen Stücken sogar so etwas wie Hitqualität entwickelt.

„Es gibt musikalische Gesetzmäßigkeiten, die antifaschistisch sind. Man kann es nur schlecht beweisen“, sagt Alec Empire. Bis zum Beweis des Gegenteils mag ausreichen, daß die Musik auch so funktioniert. Denn anders als bei Rammstein, als deren Gegenstück sie vor allem in den USA gehandelt werden, wird kein Nazi jemals eine Atari Teenage Riot Platte kaufen. Und das ist weniger eine Frage der Haltung, sondern eine Frage des Sounds. Wenn es von Public Enemy hieß, man müsse die Texte nicht verstehen, um zu kapieren, wovon sie handeln, gilt für Atari Teenage Riot das gleiche. Atari Teenage Riot hören sich an wie ihr eigenes Klischee: aggressiv, verzerrt, dreckig und wild. Dies ist der Sound, der Rednecks in den Südstaaten der USA dazu bringt, die Band lynchen zu wollen, oder glatzköpfige Ordner aus Dessau im Haus der Kulturen der Welt zu der Steckdose treibt, um die Stromzufuhr zu kappen.

So teilen sie zwar das romantisch-vergebliche Schicksal aller Gruppen von den Clash bis zu Public Enemy, die via Pop das Großkapital aus den Angeln heben wollten: daß es nämlich wahrscheinlich wieder nichts wird mit der Weltrevolution. Doch bis auf weiteres haben sie nicht nur die bisher letzte Ausgabe von Utopisches-Moment-trifft-die-nötige-Vereinfachung, vor allem haben sie den geilen Krach. Und der hat immer recht.

Atari Teenage Riot: „60 Seconds Wipe Out“ (Digital Hardcore Recordings)

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