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Todesurteil für Öcalans früheren Feldherren

Ein Militärgericht beschließt: Semdin Sakik und sein Bruder gehören hingerichtet. Dabei haben sie sich längst von dem inhaftierten PKK-Chef abgewendet und wollen im Prozeß gegen ihn aussagen  ■   Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Abdullah Öcalans ehemals zweiter Mann, Semdin Sakik, ist gestern in erster Instanz zum Tode verurteilt worden. Das Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir verurteilte ihn zusammen mit seinem Bruder Arif Sakik wegen Hochverrats und versuchter Spaltung des Landes, also Separatismus.

Semdin Sakik wurde in dem Prozeß der Tod von 248 Menschen zur Last gelegt. Nach Auffassung des Richters war die Beweislage ausreichend.

Semdin Sakik bestritt die Vorwürfe im Einzelnen, wenn er auch zugab, als langjähriger Feldkommandant der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) für den Tod vieler Soldaten mitverantwortlich gewesen zu sein. Allerdings habe er jeweils auf Befehl seines Vorsitzenden Abdullah Öcalan gehandelt.

Sakik war lange Jahre der oberste PKK-Kommandant innerhalb der Türkei. Arif Sakik war ebenfalls Kommandant in der PKK, stand aber immer im Schatten seines Bruders. Semdin Sakik war vor drei Jahren nach heftigen Meinungsverschiedenheiten mit Öcalan bei der PKK ausgestiegen und hatte sich im Nordirak in den Schutz der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) von Massud Barsani begeben. Angeblich hatte Öcalan ihn vor einem Revolutionsgericht zum Tode verurteilen lassen. Im Nordirak wurde er, unter immer noch ungeklärten Umständen, von einem Kommando der türkischen Armee verschleppt. Danach sickerten Informationen über umfangreiche Aussagen Sakiks in die türkische Presse, in denen er Öcalan schwer beschuldigte. Man nahm an, Sakik habe die Seiten gewechselt und schon seine Verschleppung aus dem Nordirak sei ein abgekartetes Spiel gewesen. Während der ersten öffentlichen Verhandlung widerrief Sakik jedoch einen großen Teil seiner angeblichen Aussagen. Das Gericht verweigerte ihm daraufhin einen Status als Kronzeuge, wodurch sich auch das Todesurteil erklärt.

Sakik hat dennoch angeboten, im bevorstehenden Prozeß gegen Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali auszusagen. Dabei wird es vor allem um einen Vorfall gehen, der für die Verteidigung Öcalans entscheidend ist. Als die PKK 1993 zum ersten Mal einen einseitigen Waffenstillstand verkündet hatte und einen politischen Dialog forderte, griff ein PKK-Kommando einen Reisebus im Südosten in der Nähe von Bitlis an, und tötete 29 unbewaffnete Rekruten, die nach einem Kurzurlaub auf dem Weg zurück zu ihren Einheiten waren. Der Vorfall sorgte für enorme Empörung und machte Verhandlungen praktisch unmöglich. Bis heute behauptet Öcalan, Sakik habe diesen Überfall eigenmächtig angeordnet, während Sakik genau das Gegenteil sagt: Öcalan hätte den Befehl zu dem Massaker an der Hierarchie vorbei direkt den Leuten vor Ort erteilt. Er habe erst davon erfahren, als alles passiert war. Da Öcalan seine Verteidigung im wesentlichen darauf aufbauen will, daß er sich bereits seit 1993 für eine politische Lösung und die Einstellung der militärischen Auseinandersetzungen eingesetzt habe, wird der Vorfall in seinem Prozeß eine wichtige Rolle spielen.

Die beiden Sakik Brüder haben angekündigt, in Berufung zu gehen. Um eine Umwandlung des Todesurteils in eine lebenslängliche Haftstrafe zu erreichen, dürften die Aussagen im Öcalan-Prozeß besonders wichtig sein. Sollten die Sakik-Brüder endgültig zum Tode verurteilt werden, muß, wie in allen anderen Fällen auch, das Parlament und letztinstanzlich der Staatspräsident über den Vollzug der Todesstrafe entscheiden. Seit 1984 ist in der Türkei niemand mehr hingerichtet worden.

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