Wohin des Wegs?

■ Das taz-Streitgespräch zur Spaltung der GAL: Norbert Hackbusch und Martin Schmidt über Profile, Programme und Perspektiven

taz: Herr Hackbusch, sind Sie nach Ihrem Austritt ein aufrechter Heimatloser geworden, der den grünen Gral hütet?

Norbert Hackbusch: Nein, meine vier KollegInnen und ich haben schon am Mittwoch in der Bürgerschaft gezeigt, daß wir nicht auf Fundamentalopposition aus sind. Wir werden aber selbstverständlich Kritik an der GAL und an Rot-Grün in dieser Stadt üben, wo sie erforderlich ist.

Martin Schmidt: Das ist eine bemerkenswert unernste Angelegenheit, die ihr da produziert. Ihr seid hochemotionalisiert wegen des Bielefelder Beschlusses; andererseits wißt auch ihr, daß das nicht ausreicht als Basis für eine politische Arbeit. Ihr habt ja noch nicht einmal einen Namen. Ihr müßt euch künftig von der GAL mächtig absetzen, wenn ihr eine Zukunft haben wollt.

Dazu müßt ihr aber eine Politik entwickeln, und da wirst Du, Hacki, nicht über die Rolle hinauskommen, die Du bisher in der GAL gehabt hast: mal Diskussionsanstöße geben und mal kritische Fragen stellen. Das reicht nicht aus für die Existenz einer unabhängigen Partei.

Hackbusch: Du stellst unsere Ernsthaftigkeit in Frage, Martin...

Schmidt: Die ist nur subjektiv, Hacki, das reicht doch nicht...

Hackbusch: Wir fünf, die wir Partei und Bürgerschaftsfraktion verlassen haben, und die vielen in den Bezirken, die ebenfalls ausgetreten sind oder jetzt austreten, sind doch nicht Leute, die seit langem unernsthaft Politik machen. Das sind alles Leute, die eine gemeinsame politische Geschichte haben, sich kennen und auch einen gewissen politischen Faktor in dieser Stadt darstellen.

Was ich aber zugebe ist, daß wir noch kein geschlossenes politisches Konzept haben.

Schmidt: Ihr wißt überhaupt nicht, wo das hinführen soll.

Hackbusch: In der Geschichte der GAL und der Grünen Partei überhaupt gab es immer wieder Phasen ohne eine fertige Strategie. Wir haben jetzt eine lange Phase hinter uns, in der die Idee Rot-Grün alles dominierte und politische Inhalte gegenüber diesem alleinseligmachenden Ziel immer mehr an Bedeutung verloren. Nun müssen wir einen Schritt vorangehen, indem wir auch GALische Traditionen wieder aufnehmen und Kritikmomente stärker betonen.

Schmidt: Stimmt, lange Zeit war das Ziel der gesamten Partei, auch Deines, die rot-grüne Koalition. Jetzt haben wir sie, und es stellt sich heraus, da ist plötzlich eine gewisse Leere. Man fragt sich, war's das schon?, und denkt, das kann's noch nicht gewesen sein. Wir haben die Rolle nicht gefunden, die wir in einer rot-grünen Koalition haben sollten, und müssen versuchen, neue Räume für uns zu entdecken. Aber Dein Weg, Hacki, geht schief, denn er ist die Rücckehr zum Alten.

Hackbusch: Die Besinnung auf alte Politikinhalte kann zu einer neuen, zu einer modernen Politik führen. Deshalb werden wir hier in Hamburg in der nächsten Zeit die Zusammenarbeit wieder organisieren mit den Strömungen, die es in dieser Stadt gibt, mit der Sozialpolitischen Opposition, mit Flüchtlings- oder Anti-AKW-Inis, mit gewerkschaftlichen Gruppen, mit den Jusos. Und auch Du wirst sehen, Martin, daß das mehr sein wird als die ach so unernsthaften Ideen von fünf angeblichen Abweichlern.

taz: Etwa die der wahren und echten Grünen, die aus der Opposition heraus die GAL mit ihren ursprünglichen Aussagen konfrontiert und vorführt?

Hackbusch: Nehmen wir doch mal den Atomausstieg. Da ist noch nichts erreicht worden. Und wenn die nächsten Castoren nach Gorleben rollen, wird Martin Schmidt dann einer von denen sein, die diese Transporte für richtig halten? Das ist doch eine entscheidende Frage für Grüne.

Schmidt: Das ist ein dickes Problem, aber zweitrangig. Wichtiger ist, wie der Ausstieg tatsächlich organisiert wird, mit klaren Fristen.

Hackbusch: Was Du immer vergißt, Martin, und vor allem in der letzten Zeit, ist, daß Politik weniger vorangebracht wurde und wird durch kluge Ideen im Parlament. Der Motor von Entwicklung ist eher, daß Menschen für ihre Anliegen auf die Straße gehen.

Schmidt: Mit einem Castor-Transport ist nicht alles vorbei. Wir müssen den Ausstieg festschreiben, und dieses Ziel müssen wir nachhaltig und standhaft verfolgen. Das bewirkt mehr als dieser alte grüne Sofortismus des ,Entweder jetzt oder nie'.

Hackbusch: Wenn ich Dir so zuhöre, glaube ich, daß ,nie' wahrscheinlicher ist als ,vielleicht irgendwann'. Das klingt nach dem Abschied von einem weiteren ur-grünen Essential, dem Atomausstieg.

Schmidt: Nein. Die Grünen sind die Partei der Ökologie und das müssen sie bleiben, wenn sie eine Berechtigung haben sollen. Das wird zwar nicht leichter, da ja inzwischen alle behaupten, die Umwelt zu lieben. Aber für uns ist das spezifisch und damit unverzichtbar. Wenn die Grünen beschließen sollten, daß ihnen der Atomausstieg egal ist, dann wäre ich nicht mehr dabei.

taz : Für manche liegt die Schmerzgrenze offenbar woanders.

Schmidt: Ich habe ja ein gewisses Verständnis dafür, daß Bürgerschaftsabgeordnete aus der Partei austreten, wenn sie meinen, die sei auf dem falschen Weg. Wenn sie ihre Mandate mitnehmen, so wie Hacki, ist das aber ein Regelverstoß. Wenn Du als Bürgerschaftsabgeordneter meinst, Dein Mandat behalten zu dürfen, weil Du der Bewahrer der echten GAL zu sein glaubst, dann akzeptiere ich das. Ob Du objektiv Recht hast, wirst Du erst noch beweisen müssen.

Aber auf Bezirksebene finde ich das fast lächerlich. Da geht es nicht um so eminente politische Fragen, daß man eine Abspaltung mit einem Symbol wie Bielefeld rechtfertigen könnte. In dem einen oder anderen Bezirk wird es wohl zwei Fraktionen geben, die sich aber praktisch-politisch kaum unterscheiden und auch noch dieselben Anträge formulieren. Das sind doch nur alte GALlische Spielchen, die da getrieben werden.

Hackbusch: Bezirksabgeordnete oder Kreisvorständler wie auch einfache Mitglieder sind ebenfalls Repräsentanten der Grünen und damit in der Verantwortung für diese Partei. Da kannst Du ihnen doch nicht das Recht auf eine eigene Meinung absprechen, die nicht die der Mehrheit ist.

Schmidt: Nein, aber dann müssen sie zurücktreten und ihre Mandate abgeben.

Hackbusch: Du solltest langsam mal begreifen, daß es nicht um ein paar wildgewordene Linke geht, sondern um die Spaltung der GAL: in der Bürgerschaft, in den Bezirken, bei den Mitgliedern insgesamt.

taz : Was bedeutet der Begriff ,Spaltung' und welche Folgen hat er? Gibt es künftig die von Linken weitgehend entsorgte GAL des Ober-Realos Schmidt, die ihre Wählerstimmen in der politischen Mitte und bei der SPD sucht? Und gibt es andererseits die Hackbusch-Linken, die ohne Programm und Parteistruktur völlig losgelöst im Hier und Jetzt schweben und spätestens nach der nächsten Bürgerschaftswahl in gut zwei Jahren eine Fußnote der grünen Geschichte sein werden?

Schmidt: Es wird nun nicht alles besser, weil ein paar Linke raus sind. Ich hab's dann bequemer, weil ich mich nicht mehr so oft mit Hacki streiten muß, obwohl das für mich nie ein Problem war. Aber die wirklichen Schwierigkeiten, vor denen die Grünen stehen, sind damit nicht gelöst.

Hackbusch: Da hast Du mal recht.

Schmidt: Die Grünen sind in einer Krise, das zeigen auch die Wahlergebnisse. Die letzte erfolgreiche Wahl war in Hamburg 1997; seitdem gab es – ob im Bund, ob in Hessen – nur Niederlagen. Die Grünen müssen in der Tat ihre Rolle neu definieren. Sie haben es in langen Oppositionsjahren nicht gelernt, Politik so zu betreiben, wie man es in der Regierung machen muß.

Ich halte aber dieses Wort von der politischen Mitte für nicht geeignet. Wir müssen mit unseren Inhalten mehrheitsfähig werden oder zumindest mehr Wähler als bisher überzeugen. Parteien brauchen nun mal Stimmen.

taz : Dazu wäre wohl ein Profil jenseits der SPD hilfreich.

Schmidt: Von der könnten wir uns zwar täglich in jeder Einzelfrage leicht abgrenzen. Das Problem einer Regierung mit der SPD aber ist, daß wir weniger durchsetzen können als die.

Hackbusch: Deshalb werden, so meine Prognose, auf die GAL auch noch einige existentielle Krisen zukommen.

Unsere Situation ist derzeit völlig offen. Für uns ist es entscheidend, einen Neuanfang zu wagen, eine Entwicklung anzustoßen, die zu einem neuen und kräftigen politischen Faktor führt. Im Moment, das muß ich zugeben, sind wir das noch nicht. Aber wir hatten, persönlich und subjektiv, den Eindruck, ein Aufbruchsignal geben zu müssen. Was daraus wird, muß sich zeigen.

Schmidt: Der reine Existentialismus. Deine Gruppe, denke ich, wird spätestens bei der nächsten Bürgerschaftswahl das Schicksal der Statt Partei ereilen und untergehen. Es sei denn, euch gelingt es, euch als radikale Opposition zur GAL zu etablieren. Eine Stadt wie Hamburg könnte euch da ein bißchen Futter geben, aber selbst hier wird das wohl nicht nicht reichen.

taz : Wird die Europawahl in drei Wochen ein Stimmungsbarometer sein? Was passiert, wenn die GAL stabil bleibt, und was, wenn sie aus den gewohnten zweistelligen Gefilden in Richtung Fünf-Prozent-Hürde purzelt?

Schmidt: Europawahlen haben keine spezifischen Aussagen für lokale Entwicklungen.

Hackbusch: Das denke ich auch. Obwohl ich von einigen unserer Unterstützer weiß, daß die noch unschlüssig sind, ob sie jetzt die Grünen wählen sollen oder lieber mal PDS oder gar nicht.

taz : Was wählen Sie denn, Herr Hackbusch?

Hackbusch: Das ist ein echtes Dilemma für mich. Grün kann ich nicht wählen, PDS kommt überhaupt nicht in Frage. Gute Gründe, schleunigst dafür zu sorgen, daß es eine neue und überzeugende linke Kraft gibt.

Moderation: Sven-Michael Veit

Fotos: Markus Scholz