: Niederlage für Waffenlobby in den USA
■ Das Grundrecht auf den Besitz von Waffen wurde noch nicht angetastet, doch die Sicherheitsüberprüfungen werden ausgedehnt
Washington (taz) – Auf den Tag genau einen Monat nach der bisher blutigsten Schießerei in einer Schule in Littleton, Colorado, bei dem vierzehn Schüler und ein Lehrer getötet worden waren, und am Tag, an dem in einem Vorort von Atlanta wieder ein Jugendlicher zur Waffe griff und sechs Schulkameraden verletzte, verabschiedete der Senat eine Novelle zum Jugendstrafrecht, die Einschränkungen des Waffenbesitzes vorsieht. Das Abstimmungsergebnis von 75 zu 23 Stimmen für die Vorlage gilt als Sensation, weil damit eine Abstimmung von vor einer Woche umgekehrt wird, bei der die republikanische Senatsmehrheit zunächst gegen weitergehende Auflagen im Handel mit Waffen gestimmt hatte.
Zum ersten Mal in vier Jahren erlitten damit Amerikas mächtige Waffenlobby und ihre Vertreter auf Bundesebene eine Niederlage. Vorigen Monat hatten sie bei einer Volksabstimmung im Bundesstaat Missouri ebenfalls eine Niederlage einstecken müssen: Die Bürger stimmten gegen ein Gesetz, das es erlaubt hätte, Waffen verborgen am Körper zu tragen. Die Dynamik der Diskussion, den freien Zugang zu Waffen einzuschränken, hat sich deutlich umgekehrt. Galt bisher jeder Versuch, das in der Verfassung verankerte Grundrecht auf Waffenbesitz auszuhebeln oder auch nur zu modifizieren, als aussichtslos, hat sich die Stimmung im Lande seit Littleton deutlich geändert. Der Senat bekam den heißen Atem der Empörung zu spüren, als er vor einer Woche alle Versuche, Lehren aus den Schulmassakern der letzten Zeit zu ziehen, niederstimmte. Eine Woche lang wurden nun jene Teile des Gesetzes diskutiert, die sich mit Waffenbesitz beschäftigten und die entsprechenden Passagen wurden nur mit der hauchfeinen Mehrheit von 51 zu 50 Stimmen verabschiedet. Die ausschlaggebende eine Stimme kam vom Präsidenten des Senats – ein Amt, das Vizepräsident Al Gore ausübt.
Das Ergebnis: Waffen müssenkünftig vor dem Verkauf mit Sicherheitsschlössern ausgestattet werden oder dürfen nur zusammen mit abschließbaren Aufbewahrungscontainern verkauft werden. Bisher schon beim Waffenkauf vorgeschriebene Sicherheitsüberprüfungen werden jetzt auch auf den Handel mit Waffen auf Flohmärkten, bei Waffenmessen und bei Pfandleihern ausgedehnt. Käufer müssen sich künftig ausweisen und auch registrieren lassen.
Unerwähnt bleibt bei der Euphorie über den legislativen Erfolg allerdings, daß er nur durch einem Kompromiß zustande kam, der weitergehende Bestimmungen strich. Ursprünglich sollten Waffenbesitzer wie zum Beispiel Eltern für den Schaden haftbar gemacht werden, der mit ihren Waffen angerichtet wird. Überdies sollte die Zahl der Waffen, die ein Bürger kaufen kann, erheblich eingeschränkt werden. Auch der eigentliche Skandal dieses Gesetzes erhielt wenig Publicity. Es sieht vor, daß Jugendliche vor Bundesgerichten bei bestimmten Verbrechen schon ab dem Alter von 14 Jahren nach dem Strafrecht für Erwachsene statt nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden können. Noch ist auch die Novelle nicht geltendes Recht, sie muß erst vom Repräsentantenhaus verabschiedet werden.
Das Umschlagen der Stimmung im Lande hat nicht nur mit den jüngsten Schießereien an Schulen zu tun, sondern auch damit, daß Amerika sich im rasenden Tempo suburbanisiert. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt inzwischen in riesigen vorstädtischen Siedlungen. Deren Bürger sind in den meisten Fällen zuvor aus den Innenstädten geflohen, wo Jugendgangs und Drogendealer mit bewaffneten Territorialkämpfen Angst und Schrecken verbreiteten. Amerikas wilder Westen hat sich heute längst in ausgedehnte Vorstädte verwandelt, in der die Romantik des freien Waffenbesitzes keinen Anklang mehr findet. Peter Tautfest
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