Tach auch: Du Horst!
■ Die neue kleine sowie erbauliche Montagskolumne der taz / 28. Versuch
Rotzlöffel überall. Nicht wahr, meine sehr verehrten Damen, meine sehr geehrten Herren? Wer von den Rotzlöffeln, die uns allerorten umringen, weiß denn noch, wen er zu ehren und wen zu verehren hat? Es gibt mittlerweile Neunjährige, die ihren Vater „du Horst“ schimpfen, wobei sie das du so aussprechen, daß man die ostentative Kleinschreibung zu hören meint und eigentlich von Kleinsprechung reden müßte. (Ein Phänomen am Rande ist, daß sich im Mund von Neunjährigen ein respektabler und von anständigen Menschen ertragener Vorname in eine Beleidigung verwandelt.) Im Wirtshaus raunzen uns flegelhafte Kellner von der Seite an: Kann ich abkassieren? Hab' Feierabend. Möchte man beim Weizenbier über den Feierabend eines flegelhaften Kellners nachdenken müssen? Und zeugt nicht die unüberlegte Verwendung des Terminus' abkassieren, der sich in der Assoziationskette abschlachten, abmurksen, abstechen, abtanzen, ablachen, absagen, absahnen, abbrühen, abklatschen, abschirmen, absondern, abseiern, abgreifen sehr wohl fühlen würde, von verrohter Sprache und destruktivem Denken? Leider ist in diesem Zusammenhang auch über die Frauen nichts Gutes zu berichten. Seit ein, zwei Jahren treten sie einem im Gedränge auf die Schuhe, ohne sich zu entschuldigen. Und immer öfter geschieht es dem passionierten Autofahrer, daß er von einer rasenden Hamburger Galeriebesitzerin im Audi A 8 von der Überholspur gescheucht wird. Sollen wir also verzweifeln?
Nicht doch! Solange man noch am Telefon von einem Menschen, der gerade mal eine Strafakte oder einen Mahnbescheid oder einen kompromittierenden Brief suchen will, die zauberhafte Floskel zu hören bekommt: Ich lege mal eben den Hörer weg – so lange hat das Gute in der Welt noch nicht verloren. Burkhard Straßmann
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