piwik no script img

Erst Sozialhilfeempfängerin, jetzt Postbotin

■ Arbeitsvermittlungsagentur „bava“ brachte in fünf Monaten 38 Langzeitarbeitslose in Arbeit / Insgesamt sind 300 Verträge geplant / Agentur denkt über „Verfeinerung“ nach

Eigentlich ist Köchin der Traumberuf von Martina Deich. Aber irgendwie ging die Lehre schief – „weil sich mir beim Aussprechen französischer Gerichte immer die Zunge verknotet hat“, erzählt die Frau mit Hauptschulabschluß, die niemals Französisch in der Schule hatte. „Ich bin eben anders begabt“, sagt die 32jährige Ungelernte – nach etlichen Jahren, die sie mit Kellnern, in Drückerkolonnen und mit 500 Mark Sozialhilfe im Monat verbrachte. Seit zwei Wochen hat sie jetzt einen festen Arbeitsvertrag – und kurvt als Briefzustellerin für die neue Post-Konkurrenz „Pro Mail“ durch die Stadt.

Den neuen Job verdankt sie der Bremer Arbeitsvermittlungsagentur „bava“: Die vermittelt seit Januar im Auftrag des Arbeitsamtes sowie Arbeits- und Sozialressorts SozialhilfeempfängerInnen und Langzeitarbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt. Die Bilanz nach fünf Monaten Vermittlungsarbeit: 38 Menschen sind wieder in Arbeit. Dank „Pro Mail“ kamen Anfang Mai 23 Briefzusteller-Verträge zustande. Bis Ende April hatte die „bava“ erst 15 Verträge für Lagerhelfer, Schrottsortierer und Gastronomie-Aushilfen vorzuweisen.

„Schwindlig“, müßte bava-Geschäftsführerin Hannelore Stöver deshalb werden. Schließlich sind bis Jahresende ganze 300 Verträge per Vertrag vereinbart. Ein „sehr hohes Ziel“, findet Stöver mittlerweile – und auch die „Maatwerk“-Agentur aus Holland. Die private Agentur vermittelt bereits in 25 Städten und in ähnlich großen Kommunen rund 200 Menschen pro Jahr. „Maatwerk“ blitzte aber vor einem Jahr bei der Bremer Agenturausschreibung ab – weil die stadteigene Werkstatt Bremen, die staatliche Beschäftigung organisiert, nur 3.000 statt 6.000 Mark Vermittlungsprämie pro Kopf verlangt hatte.

Wegen der hohen Vermittlungserfolge sollte die „Maatwerk“-Methode trotzdem für die Bremer Agentur Pate stehen: Auch die bava sollte sich zunächst in Beratungsgesprächen ein detailliertes Bild von den Jobsuchenden und deren Kenntnissen machen – und erst danach in Firmen paßgenaue Jobs auftun. Bei den Briefzustellern jedoch lief es genau anders herum: Die 32jährige Martina Deich war noch gar nicht bei der „bava“, da kam vom Sozialamt schon das „Angebot: Briefzustellerin“ ins Haus geflattert. Sofort zugesagt habe sie, und: „Glück gehabt. Das hat gleich supertoll zu mir gepaßt“.

„Schnell gehen“ mußte es, sagt zu diesem Vorgehen bava-Projektleiterin Elfi Dieke. Die neue Firma „Pro Mail“ hätte sich plötzlich an die Agentur gewandt. Und die bava hätte dann sofort auch bei Sozialämtern durchgeklingelt – „da kannte ein Sachbearbeiter die Bewerberin schon viele Jahre und wußte, daß das paßt“, erklärt sie. Grundsätzlich hänge die bava alle offenen Stellen regelmäßig in den Sozialämtern aus.

Verstärkt nachfrageorientiert scheint die bava also zu arbeiten. So akquirierten acht bava-Vermittler vorher als ehemalige Zeitarbeits-Mitarbeiter nur Stellen. Über 100 offene Jobs hätte man schon im Angebot, bestätigt auch die Projektleiterin. Doch diese Stellen seien wiederum zu qualifiziert für die rund 600 BewerberInnen, die bereits beraten wurden. „Viele davon sind schlicht nicht vermittelbar“, sagt Geschäftsführerin Hannelore Stöver: Wer schwer verschuldet oder suchtkrank sei, werde deshalb sofort an andere helfende Stellen weiter verwiesen – oder in andere Beschäftigungsmaßnahmen vermittelt.

Nur ein kleiner Teil könnte in neuen Firmen wie „Pro Mail“ Fuß fassen, erklärt sie die bisher niedrige Vermittlungsquote. „Unsere Leute haben den Schuß gehört“, sagt zum Beispiel „Pro Mail“-Chef Thomas Marsen. Eine „Chance geben“ wolle man Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfängern, sagt er – und sie in einer „durchaus anspruchsvollen und verantwortungsbewußten Tätigkeit zum netten Pro Mail Boten machen“. Die festen Arbeitsverträge gehörten zur neuen Dienstleistungsphilosophie: „Die Boten sind schließlich unser Kapital und sollen sich identifizieren mit unserer Firma“.

Allerdings macht sich das auch ein bißchen bezahlt: Für die meisten ehemaligen Langzeitarbeitslosen gibt es zwischen 30 und 60 Prozent Lohnzuschüsse als Eingliederungshilfe vom Arbeitsamt. Und somit steht die „bava“ wieder ganz gut da – denn mit den traditionellen Lohnkostenzuschüssen darf sie nicht auf Jobsuche gehen. Und die ist deshalb schwierig genug: Laut Vertrag sind nämlich außerdem ganze 1.500 Mark netto zu erreichen: „Und Call Center zahlen zum Teil einen Lohn, der knapp darunter liegt“, klagt Projektleiterin Dieke.

„Vielleicht müssen wir künftig neue geschützte Beschäftigungsformen schaffen“, zieht Geschäftsführerin Stöver deshalb vorsichtig Zwischenbilanz. Außerdem müsse man am Jahresende darüber nachdenken, „ob man das nicht alles etwas verkleinert“, spricht sie die hohe Vermittlungszahl von 300 Verträgen an. Und überlegen, ob man die Vermittlungsarbeit nicht etwas „verfeinert, differenziert und überdenkt“, läßt sie zaghaft erste Selbstkritik durchscheinen. kat

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen