: Belcanto am See
Rossini auf Landpartie: Das Neustrelitzer Landestheater zeigt den „Barbier von Sevilla“ als lobenswert grelle Klamotte ■ Von Ralph Bollmann
Die Brandenburger wollen uns nicht mehr. Längst hatten wir uns daran gewöhnt, daß sie die verhaßten Hauptstädter als „Buletten“ schmähen und nach Gutdünken vermöbeln. Jetzt aber verschwinden auch die letzten Kulturinseln aus der Ödnis des Berliner Umlands. Besonders für Opernfreunde sieht es düster aus: Der Potsdamer Spielplan ist längst auf ein paar Alibi-Aufführungen im Schloßtheater eingedampft, das Frankfurter Musiktheater geschlossen, der Theatertod in Brandenburg angekündigt. Allein in Cottbus, 130 Kilometer von Berlin entfernt, reichen die Mittel noch für einen achtbaren „Tannhäuser“ oder „Figaro“ im prachtvollen Jugendstil-Staatstheater.
Auf nach Mecklenburg also! Zwischen den Wäldern und Seen des Müritz-Nationalparks hält dort, nur 100 Kilometer nördlich von Berlin, das Neustrelitzer Landestheater das Opernfähnlein hoch. Auch wenn die Provinzstadt mit ihren 25.000 Einwohnern für die Theaterleute gewiß kein Paradies ist. Im nördlichen Bundesland sind die öffentlichen Kassen ebenfalls leer. Vor Jahren schon mußte die traditionsreiche Neustrelitzer Staatskapelle weichen, für sie ist die Philharmonie aus dem benachbarten Neubrandenburg eingesprungen. Inzwischen aber sind die Sparpotentiale bei einem Jahresetat von nur noch 13,1 Millionen Mark weitgehend ausgeschöpft, im Kampf um die Haushaltstöpfe von Land und Kommunen geht es alljährlich um die blanke Existenz. Während Berliner Opernintendanten die Aufführungen getrost per Standleitung im heimischen Wohnzimmer verfolgen können, muß ihr Neustrelitzer Kollege Urs Leicht im Foyer allabendlich den Small talk mit den lokalen Honoratioren suchen.
Um so erfreulicher, daß dem Haus am vergangenen Wochenende mit der Premiere von Rossinis „Barbier von Sevilla“ ein schöner Erfolg gelungen ist. Ein erstaunlicher zumal, denn das italienische Belcanto-Repertoire bereitet in Deutschland auch größeren Häusern Probleme. Schließlich verpufft die Wirkung völlig, wenn die Sänger angesichts der technisch anspruchsvollen Arien die nötige Leichtigkeit vermissen lassen. Und bei Buffo-Opern wie dem „Barbier“ läuft die Inszenierung stets Gefahr, entweder einen tieferen Sinn zu suchen, wo keiner ist – oder ins Peinliche abzurutschen.
Doch diese Klippe umschifft der Regisseur Urs Häberli in Neustrelitz virtuos, gerade weil er die Oper von Anfang an als grelle Klamotte inszeniert – im krassen Gegensatz zu der nicht minder reizvollen Kammerspiel-Ästhetik der 30 Jahre alten Berghaus-Inszenierung an der Berliner Staatsoper.
Gerhard Zieglers stilsicheres Bühnenbild in kräftigen Farben erinnert ein wenig an die Spanien-Ästhetik von Carlos und Antonio Sauras berühmter Stuttgarter „Carmen“-Inszenierung aus den achtziger Jahren. Kein Zufall: Ziegler war damals in der Schwabenmetropole Bühnenbildassistent.
Wunderbar auch der warme Mezzosopran Annette Pfeifers, die in der Premiere die Rosina sang. In der heimlichen Hauptrolle des Grafen Almaviva freilich schlugen die tenoralen Nöte der deutschen Provinztheater wieder voll zu: Reinhart Ginzel mogelte sich mehr durch die heiklen Koloraturpartien, als daß er sie wirklich sang. Bei manchmal allerdings sehr zurückgenommenen Tempi zeigte die Neubrandenburger Philharmonie, daß sie sich allmählich in ihre Rolle als Opernorchester hineinfindet. Alles in allem ein großer Sommerspaß, für den sich der Weg aus Berlin gewiß lohnt – allerdings nur mit Auto oder Übernachtung, denn der letzte Zug fährt bereits vor Ende der Vorstellung.
Der Spielplan der kommenden Saison zeigt, daß sich das 500-Plätze-Haus durch die geringe Publikumsresonanz bei Gounods Faust-Oper „Margarethe“ im vergangenen Winter nicht von ambitionierten Projekten abhalten läßt. Mit der mecklenburgischen Erstaufführung von Alban Bergs „Wozzeck“ will Intendant Leicht den Sprung in die Moderne wagen und mit Puccinis „Madame Butterfly“ die Möglichkeiten des kleinen Hauses ausschöpfen. Nächste Vorstellungen: 5. und 18. Juni, jeweils 19.30 Uhr.
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