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Verbrecheralbum  ■  Von Fanny Müller

Zum Fischmarkt gehe ich ganz selten und nur, wenn ich Besuch habe, wie am letzten Wochenende von Steffi aus Dithmarschen. Auf dem Fischmarkt ist immer ein furchtbares Gedränge, und überall flitzen Kleinejungsbanden herum, die einem das Portemonnaie klauen. Genau das passierte natürlich. Und nicht etwa Steffi, sondern mir. Perso, 80 Mark, Kreditkarten. Super! – Auf zur Davidwache.

Man glaubt es ja nicht, was da am frühen Morgen schon los ist. Vor uns ein schwer Angeheiterter, der berichtet, daß Kuddel aus der Paul-Roosen-Straße die letzten fünf Tage nicht mehr bei „Mama Uschi“ gesehen worden sei. Sein Fahrrad habe aber die ganze Zeit vor diesem Etablissement gestanden, und beim Türken habe er auch keine Zigaretten mehr gekauft ... bei Uschi hatte man vermutet, daß er im Lotto gewonnen hätte. Bis Rosi, die Hausmeisterin, der Gestank stutzig gemacht habe. Sie hätten dann alle zusammen die Tür aufgebrochen und ihn auf dem Sofa sitzen sehen, schon ziemlich aufgebläht, weil „er die Heizung volle Kapelle zu laufen hatte“, und danach sei bei Uschi erstmal 'ne Runde Korn dran gewesen.

Wir sind immer noch nicht dran, denn jetzt zückt ein älterer Herr sein Notizbuch; er möchte eine Anzeige erstatten. Und zwar wäre ein weißer Mercedes, Kennzeichen soundso, vorhin bei Gelb noch über die Ampel Reeperbahn Ecke Talstraße gefahren und ob er jetzt mal das Verbrecheralbum einsehen könne.

„Sie haben hier ja wohl immer viel Spaß“, sage ich zum Diensttuenden, als ich endlich drankomme. – „Geht so.“

Ich erzähle meine Geschichte und werde gefragt, ob ich die Jungs wiedererkennen würde. Steffi und ich sagen gleichzeitig Ja und Nein. Sie tritt mir auf den Fuß. Alles klar, wann hat man in Dithmarschen schon mal Gelegenheit, ins Verbrecheralbum zu gucken? – Morgen soll ich wieder anrufen. Das tue ich auch, und siehe da, das Portemonnaie ist gefunden worden. Außer dem Zaster sei alles drin. Und dafür hat man nun die Bank mit Sperrung und so derartig verrückt gemacht, daß mich schon drei Filialen angerufen haben, ob ich wirklich ALLES sperren wolle. Die kriegen wahrscheinlich für jede Sperrung zehn Mark, was sie auf Nachfrage aber abstreiten.

Also wieder zur Davidwache. Das Portemonnaie ist nicht mehr da. Es ist „mit der Stafette“ zur Wache Lerchenstraße transportiert worden. Mit der Stafette?? Alle hundert Meter ein Bulle, der sich schon warmläuft, um seinem Vorläufer meine Börse zu entreißen? Und was kriegt der Gewinner? Darf der mein Portemonnaie behalten? – Eine Erklärung bleibt aus, dafür wird aber in der Lerchenstraße angerufen, ob „die Stafette zum Nachteil Frau Müller“ schon angekommen sei. Ist sie. Ich erkläre, daß ich gleich vorbeikommen werde. Das darf ich aber nicht, weil gerade ein Verhör stattfindet. „Das macht nichts“, sage ich großzügig, „ich hör' einfach nicht hin.“ Darf ich auch nicht. Ich soll Dienstag kommen und was mitbringen, um mich auszuweisen. Sehr komisch! Alle Ausweise sind schließlich im Portemonnaie. Am besten nehme ich mein Poesiealbum mit. Oder mein Tagebuch? Den Gedanken, daß man mich nach dem Perso-Foto erkennen könnte, habe ich gleich verworfen. Das stammt nämlich auch direkt aus dem Verbrecheralbum.

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