Sonia Gandhi kehrt zurück

Die zurückgetretene Vorsitzende der indischen Kongreßpartei stellt sich wieder an die Parteispitze  ■   Aus Neu-Delhi Bernard Imhasly

Sonia Gandhi ist wieder im Amt. Am Vorabend der gestrigen Delegiertenversammlung der Kongreßpartei nahm sie ihren Rücktritt vom Amt der Parteipräsidentin aus der vergangenen Woche wieder zurück. Sie hätte den Zeitpunkt nicht besser wählen können. In der geladenen Atmosphäre am Ende einer Woche voll hysterischer Szenen vor ihrer Residenz hätte es keiner der 1.500 Delegierten gewagt, einen Ersatz für sie vorzuschlagen. Denn dann wäre die Versammlung wohl mit noch größerer Konfusion und ohne Führung auseinandergegangen.

Nun hat Sonia Gandhi ihre Bittsteller erhört. In einer emotionalen Rede vor dem Parteitag erklärte die Frau, die wegen der Kritik an ihrer italienischen Abstammung zurückgetreten war, daß Indien ihre Heimat sei. Hierher sei sie vor 31 Jahren als Schwiegertochter der Nehru-Gandhi-Familie gekommen, hier sei sie „Gattin, Mutter und Witwe“ geworden. Sie sprach vom Verrat einer Handvoll Politiker, die ihre Motive in Frage stellten. Doch die vielen Anhänger hätten ihr mit Hungerstreiks, Trauergesängen und Selbstverbrennungsdrohungen gezeigt, wie das Volk fühle.

Mit der Bemerkung, nun werde dieses Volk entscheiden, ob sie Ausländerin oder Inderin sei, läutete Gandhi den Wahlkampf ein. Sie entschärfte zugleich das Argument ihrer Gegner, als sie sagte, die Entscheidung über die Kandidatur für das Amt des Premiers werde erst nach der Wahl und dann durch die gewählten Kongreß-Abgeordneten getroffen.

Der dramatische Rücktritt, die inszenierten Bittgesänge und der ebenso klug gewählte Zeitpunkt der Rückkehr haben ihre Position in der Partei unangreifbar gemacht. Gandhi ließ durchblicken, daß sie diese Stellung ausnützen wird. In einer Resolution, die ihre Handschrift trug, wurde die Cliquenwirtschaft im Parteivorstand gegeißelt – ein Hinweis, daß es mit dem Rauswurf der drei Dissidenten noch nicht getan sei.

Der frenetische Applaus der Delegierten ist aber noch kein Beweis für Gandhis Durchschlagskraft im Wahlkampf. Zweifellos hat sie den Parteioberen vorgeführt, daß der Kongreß nicht den Mut hat, ohne sie in den Wahlkampf zu ziehen. Und den Gegnern machte sie klar, daß die Zugehörigkeit zur „Familie“ für viele Wähler relevanter ist als ihre Geburt in einem fremden Land.

Aber selbst wenn das Thema ihrer italienischen Herkunft nun vom Tisch sein sollte, wird ihre Person ein Wahlkampfthema bleiben. Denn die Frage um ihre Abstammung artikulierte nicht nur fremdenfeindliche Vorurteile. Dahinter verbarg sich auch die Einschätzung, daß der publikumsscheuen Sonia die Volksnähe fehle, die es in der körperbetonten und lärmigen indischen Demokratie braucht, um sich an der Urne durchzusetzen.

Mit ihrem Coup stahl Gandhi ihrem parteiinternen Herausforderer Sharad Pawar vorerst die Schau. Aber dieser ist ein geduldiger Politiker, dessen Stärken hinter den Kulissen liegen. In den nächsten Wochen wird sich zeigen, ob es der Nehru-Erbin gelingt, die emotionale Anziehungskraft dynastischer Symbole aufrechtzuerhalten. Pawar hat inzwischen die Bildung einer neuen „säkularen“ Partei angekündigt und gab sich nach allen Seiten offen. Selbst bei der Frage nach einer möglichen Koalition mit der hindunationalistischen BJP ließ er sich nicht auf eine eindeutige Distanzierung festlegen.

Mit ihrem Coup verdarb Gandhi auch der BJP den Beginn des Wahlkampfes. Deren Sprecher reagierte gereizt auf die Rückkehr der Herausforderin und sprach von einer „inszenierten Show“. Er gab sich zuversichtlich, daß sich Gandhis emotionaler Appell in der weiten politischen Landschaft Indiens verlieren wird. Bereits in den nächsten Tagen wird sie in Goa, wo der Landtag neu bestellt wird, Wahlkampfreden halten. Die Resultate werden erste Urteile über den Kurswert der neuen und alten, indischen und italienischen Parteichefin erlauben.