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„Ein unheilbarer Haß mit tiefen Wurzeln“

■  Der albanische Schriftsteller Ismail Kadaré plädiert für Umerziehung des serbischen Volkes und fordert, das Kosovo unter Protektorat zu stellen

taz: Sie sprechen von einer Kollektivverantwortung der Serben an der Vertreibung und Ermordung der Kosovo-Albaner. Wie begründen sie das?

Ismail Kadaré: In Serbien gibt es keine Stimmen gegen diese Verbrechen, die seit zehn Jahren begangen werden. Die öffentliche Meinung in Serbien ist damit einverstanden. Westliche Journalisten, die in Belgrad akkreditiert sind, wissen, wie man sich dort freut, wenn über Deportationen und Massaker berichtet wird. Auf diese sogenannten „Siege der serbischen Polizei über die Albaner“ trinken die Leute Champagner. Ich glaube, daß man angesichts einer so unmenschlichen Haltung eines großen Teils der serbischen Bevölkerung von einer kollektiven Verantwortung sprechen kann.

Wo sehen Sie die Wurzeln der Verbrechen, die gegenwärtig im Kosovo begangen werden?

Dies ist ein unheilbarer Haß, dessen Wurzeln tief reichen. Ein solcher Haß ist nicht Ergebnis einer bestimmten Politik, einer Staatsräson. Die Gründe dieses krankhaften Hasses muß man in der dunklen Geschichte des Balkans suchen, in den fünf, sechs Jahrhunderten der ottomanischen Okkupation.

Die verschiedenen Völker lebten damals jedes für sich in einer vergleichbaren Abgeschiedenheit. Gleichzeitig gab es aber eine leidenschaftliche Eifersucht untereinander: Das Unglück des albanischen Volkes bestand darin, daß es bestimmte Vorzüge genoß: Wichtige Positionen, etwa die eines Gouverneurs, Generals oder Ministers wurden mit Albanern, Griechen oder Juden besetzt.

Und es gab Völker, denen diese Bevorzugung nicht zuteil wurde, darunter waren die Serben. Die Serben wurden stärker als alle anderen erniedrigt. In Jahrhunderten wuchs die Verbitterung darüber. Ein Verlangen nach Rache hat sich da aufgestaut, das sich aber nicht gegen das Reich entladen konnte, da sich dieses längst auf dem Rückzug befand. Sie haben andere gefunden: die Albaner, die Kroaten, die Bosnier. Für die Serben waren die Albaner sozusagen die Herren des Balkans, was natürlich so nicht stimmt. Diese Rachsucht wurde auf kriminelle Art und Weise durch eine jahrzehntelange Propaganda in Serbien kultiviert.

Können Sie Beispiele für solche Propaganda nennen?

Historiker, Akademie-Mitglieder und Politiker haben ganz offen beschrieben, wie man die Albaner auslöschen soll, und zwar nicht nur die Menschen im Kosovo, sondern auch in Albanien. Zum Beispiel der Präsident der serbischen Akademie der Wissenschaften, Cubrilovic: Er hat 1937 eine 40 Seiten lange Rede mit dem Titel ausgearbeitet: „Wie man die Albaner vertreiben muß“. Er hat detailliert beschrieben, wie man die Polizei und die Armee einsetzt, wie man die Häuser niederbrennt und Massaker durchführt, wie man Identitätspapiere verschwinden läßt – alles das, was jetzt passiert! Das heutige Regime greift auf alte Doktrinen und Theorien zurück.

Der amerikanische Historiker Daniel Goldhagen meint, man müsse Serbien, wie einst Hitler-Deutschland, militärisch besiegen, besetzen und umerziehen. Stimmen Sie dem zu?

Auf jeden Fall bedarf ein Teil des Balkans einer Umerziehung. Die Serben haben etwas gemacht, was selbst in diesem Jahrhundert nicht oft vorgekommen ist. Deportationen, Massaker, Kinder wurden vor den Augen ihrer Eltern umgebracht. Frauen und Mädchen wurden vor den Augen der Familien vergewaltigt. Das wiegt unendlich schwer. Die Menschen auf dem Balkan werden das in den nächsten 1.000 Jahren nicht vergessen. Stellen Sie sich das vor: Vergewaltigung von 17jährigen Mädchen, von 25 Jahre alten Frauen direkt vor ihren Ehemännern, Menschen werden die Augen ausgestochen, sie werden ermordet – selbst in unserem Jahrhundert ist das doch kaum zu fassen. So etwas kann man nicht vergessen.

Deshalb muß man das serbische Volk, das dagegen nicht protestiert hat, umerziehen. Die Serben haben von diesen Verbrechen gehört, und sie haben bei diesem Blutbad mitgemacht. Schlimmer noch: Es gab eine Art Ekstase, die sie nicht einmal verborgen haben.

Man spricht viel von den Verbrechen des Faschismus: auf dem Balkan gab es zweierlei, den italienischen und den deutschen. Ich spreche jetzt nur für den Balkan, nicht für das, was im übrigen Europa geschehen ist: Auf dem Balkan gab es selbst unter der faschistischen Besetzung selten solche Verbrechen.

Kann man den Frieden im Kosovo wiederherstellen, solange das Kosovo zu Jugoslawien gehört?

Nein. Ich denke, man macht sich Illusionen, wenn man meint, daß sich die Kosovo-Albaner nach diesen entsetzlichen Erlebnissen von ihren Henkern und Folterern wieder regieren lassen würden. Das wäre eine Beleidigung der universellen Moral. Außerdem: Wieso sollte man dieses große Geschenk Serbien machen, das sich doch als unwürdig erwiesen hat, diese Bevölkerung zu regieren. Man muß eine andere Lösung finden.

Das Beste wäre ein internationales Protektorat im Kosovo für etwa fünf Jahre. Danach wird sich vieles fügen: Die Menschen auf dem Balkan haben die Unklarheiten satt. Sie wollen, daß sich die Dinge ändern. Vieles von dem, was jetzt noch sehr schwierig erscheint, wird in vier oder fünf Jahren sehr viel leichter zu lösen sein. Wir alle werden dann über mehr Gelassenheit verfügen, um eine rationale Lösung finden zu können. Das Interview führte Christoph Heinemann für den Deutschlandfunk

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