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Belgrad tappt im Dunkeln

Kein Licht, kein Wasser, keine Musik, kein Fernsehen, kein Internet. Die Belgrader müssen sich nach den jüngsten Nato-Bombardierungen von den letzten Überresten des Alltags verabschieden. Krankenhäuser nehmen nur noch akute Notfälle auf  ■ Aus Belgrad Andrej Ivanji

Es gibt kein Licht, kein Fernsehen, kein Internet. Belgrad tappt im Dunkeln. Es gibt kein Wasser, kein Brot. Man kann nicht kochen. Restaurants, Banken, die Post sind geschlossen. Die Straßenbahn steht still. Wenn der Strom ausfällt, fällt das Leben in einer Großstadt auseinander. Selbst die Überreste eines normalen Lebens, das die Menschen in der serbischen Hauptstadt nach zwei Monaten Krieg führten, gehören nach den jüngsten Nato-Bombardierungen der Vergangenheit an.

Seit Tagen attackiert die Nato das Stromnetz in Serbien, die Elektrizitätsversorgung im ganzen Land ist zusammengebrochen. „Es heißt, sie wollten militärische Kommandozentralen lahmlegen. So ein Quatsch! Unser Leben haben sie lahmgelegt. Die jugoslawische Armee und die serbische Polizei sind doch nicht auf die zivile Stromversorgung angewiesen“, empört sich der 80jährige Rentner Radolav Jovanovic.

Er wohnt allein mit seiner Frau im elften Stockwerk eines Hochhauses im Zentrum der Stadt. Um sechs Uhr früh ist er am Dienstag aufgestanden und hat stundenlang auf Brot gewartet. Vergeblich. Am schlimmsten war es für ihn, mit leeren Händen die elf Stockwerke zu Fuß zu gehen. „Lange halte ich das nicht durch. Seit drei Tagen haben wir nicht einmal Wasser.“

Frau Jovanovic hat zwar einen Gasherd, doch die alten Leute konnten keinen Gaskanister besorgen. Trotzdem bietet sie Kaffee und etwas Süßes an, „wie es sich in Serbien gehört“, sagt die alte Dame. Sie gießt dann reinen Alkohol in einen kleinen Topf, legt etwas Watte hinein und zwei Stricknadeln darüber, zündet das improvisierte Kochgerät an und setzt eine Kaffeekanne darauf. „So habe ich es auch im Zweiten Weltkrieg gemacht. Ich habe es den jüngeren Frauen hier in der Nachbarschaft beigebracht. Sie waren begeistert“, sagt Frau Jovanovic . Sie bete nur, daß sie und ihr Mann gesund bleiben, denn „uns alte Leute wird kein Krankenhaus aufnehmen“.

Die Situation in serbischen Krankenhäusern ist katastrophal. Das gesamte soziale Versorgungsnetz ist zusammengebrochen. Es gibt nicht genügend Medikamente, Patienten bekommen eine dürftige, ihren medizinischen Problemen nicht angepaßteKost. Und wer es sich leisten kann, versorgt deshalb sich selbst.

Wegen Strom und Wasserausfall mußten Operationen verlegt, Patienten vorzeitig entlassen werden. Seit Tagen werden nur noch akute Notfälle in Krankenhäusern aufgenommen.

„Es ist zum Heulen“, sagt Ana, eine junge Frau, die wegen einiger Komplikationen mindestens drei Monate in einer Entbindungsanstalt liegen muß. „Wir liegen hier im Dunkeln und können uns nicht einmal waschen.“ Ana hat wenigstens ein Mobiltelefon, ohne das sie „sterben würde“.

Seit die Nato vor wenigen Tagen das Krankenhaus „Dragie Mivica“ in Belgrad getroffen hat, gehen die meisten schwangeren Frauen, wenn die Sirenen aufheulen, in den Luftschutzbunker. Ana muß liegenbleiben und hat Angst.

Angst hat auch die verarmte Bevölkerung in Serbien. Ohne Strom verderben die mühsam zusammengehäuften Kriegsvorräte in den Tiefkühltruhen. Bei jüngeren Menschen löst der Stromausfall sichtliche Anzeichen der Depression aus. „Ich werde verrückt, wenn das so weitergeht. Ich kann ohne Musik, ohne Licht, ohne Fernsehen und Internet diese Bombardements nicht aushalten“, sagt eine bekannter Belgrader DJ.

Auch am Dienstag früh hat die Nato die Luftangriffe auf das Stromsystem in Serbien fortgesetzt. Experten behaupten, daß das Stromnetz nur noch wenige Schläge aushalten kann und vor einem endgültigen Kollaps steht. Dann, heißt es, würde man Monate brauchen, um es wieder aufzubauen.

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