piwik no script img

Der Klassiker und seine Frau

Neues aus dem Privatleben großer Dichter: „Die Braut“ von Egon Günther ist nun schon der dritte Film, der sich um Weimarer Klassikergeschichten dreht – freilich mit feinem Gespür für gut gewählte Motive und sanfte Dekonstruktion  ■ Von Cristina Nord

„Geben Sie / Gedankenfreiheit.“ Mit dieser Bitte tritt der Marquis von Posa im dritten Akt von Schillers Trauerspiel „Don Carlos“ an König Philipp II. heran. Beseelt ist der junge Mann von dem naiven Glauben, der Herrscher sei willens und imstande, das Ende seiner Herrschaft einzuläuten: ein Paradox, mit dem Schiller einiges über die Obrigkeitshörigkeit aufgeklärter Gemüter zu sagen verstand. Einen leisen, umgekehrten Nachhall findet es in Egon Günthers neuem Film „Die Braut“: „Knie nicht. Knien ist abgeschafft“, heißt es da mehrfach. Der Herr Geheimrat Goethe redet so, und seine Geliebte Christiane Vulpius ahmt ihn nach. Naiv wie Posa sind sie beide: Wer wollte schon glauben, daß die Herrschaft befehlen könnte, nicht länger als Herrschaft behandelt zu werden? Dazu paßt, daß Goethe nie mit Namen, statt dessen mit „Herr Geheimrat“ angesprochen wird – als sei er ein Gott, dessen Namen zu äußern ein Tabu verletzte.

Nach Hölderlin (“Feuerreiter“) und Brentano (“Requiem für eine romantische Frau“) trifft es nun also Goethe. Als wäre ein 250. Geburtstag Grund genug, Geschichten aus Weimar en vogue zu finden und das Märchen vom Klassiker und seiner Frau zu erzählen, ist „Die Braut“ der dritte Film innerhalb eines halben Jahres, der sich dem Privatleben eines Dichters widmet. Johann Wolfgang von Goethe und Christiane Vulpius lernten sich 1788 kennen, 28 Jahre, bis zum Tod der Vulpius, sollte ihre Verbindung dauern. Ein unehelicher Sohn kam zur Welt, die Ehe wurde erst nach 18 Jahren geschlossen. Das Ganze galt als Mesalliance, provozierte den Klatsch der Weimarer Gesellschaft und – so man Egon Günther (“Lotte in Weimar“, „Die Leiden des jungen Werther“) glauben mag – auch die Intrigantin Charlotte von Stein. Keine Frage, „Die Braut“ kämpft mit den Problemen, die die Verfilmung von Dichters Privatleben mit sich bringt: Kapriziert man sich auf die Liebesgeschichte, wird es zu trivial. Das gleiche gilt, will man das Werk mit Hilfe der Biographie erhellen. Stellt man Bezüge zur Gegenwart her, fallen die meist plump aus; tut man es nicht, droht Erschöpfung im Zeitkolorit. Diesen Risiken zum Trotz beweist Günther ein recht feines Gespür – etwa für gut gewählte Motive und sanfte Dekonstruktionen. Und er weiß, was man besser unterläßt. Genieposen oder Erklärungsversuche für Goethes Schreiben fehlen; anders als in Dagmar Knöpfels „Requiem für eine romantische Frau“ sieht man den Dichter dankenswerterweise nie beim Dichten. Dafür zerfranst der Film in seinem letzten Drittel. Die Biographien der historischen Figuren überlagern dann die Inszenierung, willkürlich sind die Einstellungen aneinandermontiert. Ähnlich unklar bleibt, warum Goethe, von Herbert Knaup verkörpert, sichtbar altert, die Vulpius (Veronica Ferres) aber noch auf dem Totenbett wie 25 aussieht. Absichtliches Ausscheren aus dem Illusionsapparat oder peinlicher Fehler?

Doch bevor der Film ins Leere läuft, hat er seine guten Momente. Etwa wenn Christoph Martin Wieland (Friedrich Wilhelm Junge), der der Vulpius als einziger im Kreis der Gelehrten, Literaten und Hofleute zugetan ist, zu Goethes Gartenhaus eilt, die junge Frau zu warnen. Die Geliebte des Geheimrats solle das Feld räumen, eine Nachmittagsgesellschaft treffe gleich ein. Christiane folgt der Aufforderung, die Wieland, umgeben von einer Schafherde, äußert: ein unaufdringlicher, zugleich sehr klarer Kommentar zur Weimarer Hautevolee. Geschickt auch die Rahmungen, die Günther seinen Bildern verleiht. Einen unverstellten Blick auf die Szenerie hat man selten, Fensterkreuze, Türrahmen , einmal sogar Baumstämme stellen sich der Kamera und den Zuschauern in den Weg: Um Distanz geht es hier, nicht um Anteilnahme, um Abstand, nicht um Mitleid oder Furcht.

Oder die Szene, in der die Vulpius ihre Schwangerschaft bemerkt und Wieland um Rat fragt. Darin scheint auf, wie man mit Goethes Texten auf der Leinwand verfahren kann. „Ich krieg' ein Kind“, sagt Christiane, und: „Kann ich jetzt umgebracht werden?“ Günther inszeniert dies als zartes Echo auf den Gretchen-Stoff. Für einen Augenblick weht ein Hauch vom Drama der verführten Unschuld durch den Film, mag man sich die Vulpius schon als Kindsmörderin imaginieren, ganz die gefallene Tugend, wie sie die zeitgenössische Phantasie so sehr beflügelte. Doch Günther dreht weder bürgerliches Trauerspiel noch Faust-Tragödie. Also behält die Vulpius die Nerven und bekommt den Sohn. Dazu paßt denn auch, daß die Intrigantin, treibende Kraft und Handlungsmotor in jedem Trauerspiel, so glücklos ist. Was immer Charlotte von Stein (Sibylle Canonica) an Ränkespielen anzettelt, Günther läßt es ins Leere laufen. Es sind dies die starken Momente von „Die Braut“ – wenn Logik und Poetik des Trauerspiels so sanft außer Kraft gesetzt werden.

„Die Braut“. Buch & Regie: Egon Günther. Mit Veronica Ferres, Herbert Knaup, Sibylle Canonica u. a., D 1999, 112 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen