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Talking about my generation

■ Ein literarisches Triptychon als Holocaustdenkmal: Peter Roos sieht sich als Enkel Adolf Hitlers und läßt die alte Eva Braun erzählen

Kann man „Hitler lieben“? Peter Roos' „Roman einer Krankheit“ ist eine provokative Bestandsaufnahme in drei eigenständigen Kapiteln: „Der Mitläufer und Ich“, „Die Gestapo-Akte und Ich“, „Eva Braun und Ich“. Das Ich ist „unser aller“ Ich, und Peter Roos schreibt unser aller längst fälliges Holocaustdenkmal.

„Eben. Von verstrickten Eltern stamme ich ab, die das Kind in ihre Fesseln verstricken und Hitler leben lassen. Hitler war mein Spielkamerad.“ Nächste Seite: „Die Boxen platzen, die Stereoanlage der Eltern aufgedreht bis zum Anschlag. Ich und ,Tommy‘ von The Who: ,Talkin' 'bout my generation!‘ “ Peter Roos bringt „alles aufs Tapet“. „Ist unsere Schuld getilgt? Sind wir entnazifiziert? Keine Mitläufer? Resistent, immun gegenüber Totalitarismus, Gewalt, Vernichtungswillen?“ Darum geht es, in einer kräftigen, spielerischen Sprache. Roos setzt ein Stammeln als Stilmittel ein, das wirksamer und verstörender ist, als stammelte er tatsächlich.

Kapitel eins: Marktheidenfeld in Unterfranken, wo der Autor 1950 geboren wurde. Vater, Mutter, Kinder. Heile deutsche Nachkriegsfamilie. „Vater schwieg, Mutter stumm. Hitler. Ich.“ Und auch Hermann Gradl wurde dort geboren, Hitlers Landschaftsmaler, heute noch Ehrenbürger der Stadt. Er ist der Mitläufer, der profitierte und nach 1945 von nichts gewußt hat. Er ist ein Wiedergänger, ein Untoter, dessen bislang unsterblicher Ruhm darin besteht, daß seine Landschaftsbilder Hitler gefielen.

Kapitel zwei: Staatsarchiv Würzburg. Hier lagern 18.892 Gestapo-Akten. Die Musikstudentin Ilse Sonja Totzke, von der Gestapo überwacht und schließlich nach Ravensbrück verschleppt, wo sich ihre Spur verliert, wird nachhaltig dem Vergessen entrissen. Peter Roos stellt sich die unbekannte Widerstandskämpferin, deren Akten er liest, als Frau vor, ihre Brüste, ihre Neigungen, ihre Leidenschaften. Er begehrt sie und gibt so dem Antifaschismus ein Geschlecht.

Im ersten Kapitel fragt Peter Roos: „Was hat das Schweigen aus mir gemacht?“ und entdeckt beim Studium in den USA, daß er zum Antisemitismus erzogen wurde. Im zweiten Kapitel zwingt er sich hinzusehen. „Scham Scheu Grauen Angst Tabu Terror des Anblicks. Wo, in welchem Duden dieser Welt, fände sich welches Wort für diese Wirklichkeit.“

Kapitel drei: Nürnberg und München 1995. „Eva Braun und Ich.“ Dieser Teil stellt auf wunderbar sinnliche und subversive Weise die Liebe der Deutschen zu Hitler vom Kopf auf die Füße, indem Peter Roos Frau Hitler weiterleben läßt. Jetzt ist sie eine alte Frau, die seit fünfzig Jahren zu begreifen versucht, was geschah. Niemand will ihr zuhören, dieser Verrückten, die Eva Braun sein will, die Witwe Adolf Hitlers. Nur ein Analytiker läßt sich schließlich auf ihren Nationalsozialismus ein, stellt ihre Identität nicht in Frage. Wer interessiert sich für Eva Braun? „Lieber hat man jemanden, der sechs Millionen Juden vergast, als man jemanden hat, der jemanden liebt, der sechs Millionen Juden vergast hat“, läßt Peter Roos die Witwe sagen. Und so zeigt dieses Kapitel die Verstrickung, die Selbstverleugnung, den Selbsthaß und die mörderische Leidenschaft. Hitler liebte die Deutschen, und die Deutschen liebten ihn. Die Liebe wurde enttäuscht, das Leben geht weiter. Am Ende des Monologs übergibt Eva Braun das historische Erbe. „Nur mit Kraft kannst du diese Geschichte bestehen. Immun wirst du nicht, immun wird nie jemand, so sehr er es sich auch wünschen mag – aber du kriegst Stand!“ sagt sie. Keine Absolution, aber der klare Blick: Das Böse, die Unmenschlichkeit wird durch einen Schlußstrich nicht abgeschafft. Peter Roos sieht sich als Hitlers Enkel, aber schon lange nicht mehr ist er der gute Sohn. Und so ist „Hitler Lieben. Roman einer Krankheit“ sehr viel mehr als eine literarische und sehr poetisch erzählte Krankheitsgeschichte. Gesine Strempel

Peter Roos: „Hitler Lieben. Roman einer Krankheit“. Mit einem Nachwort von Egon Schwarz. Klöpfer und Meyer, Tübingen, 382 Seiten, 44 DM

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