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Abschiedsbesuch in Kurdistan

Am Montag beginnt der Prozeß gegen PKK-Chef Öcalan. Drei Tage später muß der schwerkranke türkische Menschenrechtler Akin Birdal ins Gefängnis. Er hatte zur Lösung der kurdischen Frage aufgerufen  ■   Aus Diyarbakir Jürgen Gottschlich

Der kleine Mann steht kerzengerade vor der Holzschranke, nur ein Arm hängt etwas eigentümlich herab. „Name, Adresse, Beruf?“ Mit ruhiger Stimme antwortet der 50jährige, sorgfältig gekleidete Mann auf die Fragen des Vorsitzenden Richters. Gelassen schildert er seine Sicht der Dinge. Auch der Richter ist ruhig und höflich, es fällt kaum ein lautes Wort. Einer der beiden Beisitzer schläft fast, nur der Staatsanwalt blättert ab und an hektisch in seinen Akten. Vor dem Richtertisch sitzt der Gerichtsschreiber und hämmert auf eine altertümliche Schreibmaschine ein.

Der gedämpfte Ton, die unaufgeregete Atmosphäre, das alles erinnert an einen Verwaltungsgerichtsprozeß in erster Instanz. Wenn da nicht die Tür links hinter dem Richtertisch wäre, die sich immer wieder mal kurz öffnet und den Blick auf den dahinterliegenden Gang freigibt. Hinter der Tür steht, dicht gedrängt, ein ganzer Trupp schwerbewaffneter Jandarma. Ab und zu schaut der Leutnant in den Gerichtssaal, um sich zu vergewissern, daß alles ruhig bleibt. Im Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir, der größten, überwiegend von Kurden bewohnten Stadt im Südosten der Türkei, ist das Militär immer präsent.

Akin Birdal, der bekannteste Menschenrechtler der Türkei, steht nicht zum ersten Mal vor Gericht. Im Oktober letzten Jahres bestätigte das Kassationsgericht, die oberste Revisionsinstanz, endgültig eine einjährige Haftstrafe für ihn. Im April dieses Jahres waren in einem weiteren Fall alle Rechtsmittel ausgeschöpft, und Akin Birdal wurde erneut zu einem Jahr Haft verurteilt. Die jetzige Verhandlung in Diyarbakir ist das dritte derzeit anhängige Verfahren gegen ihn. Die Vorwürfe lauten in allen Fällen fast gleich: „Anstachelung des Volkes zu Haß und Feindseligkeit, durch Diskriminierung von Klasse, Rasse oder Religion“, ein Straftatbestand, der nach § 312 des Strafgesetzbuches geahndet wird. In allen Fällen hatte Birdal in öffentlichen Reden eine „Lösung der kurdischen Frage“ gefordert.

Birdal ist nicht der einzige, den § 312 trifft. Doch das Besondere an seinem Fall ist die Gnadenlosigkeit, die die Justiz an den Tag legt.

Vor einem Jahr, im Mai 1998, wurde Akin Birdal das Opfer eines Anschlages. Zwei Männer baten um Einlaß im Büro des Menschenrechtsvereins in Ankara, dessen Vorsitzender Birdal ist. Arglos ließ man sie herein. Als Birdal die Tür zu seinem Zimmer öffnete, eröffneten beide das Feuer. Birdal überlebte das Attentat nur knapp. Genesungswünsche aus aller Welt trafen bei ihm ein, selbst der US-Botschafter bemühte sich persönlich an sein Krankenbett, um Grüße von Bill Clinton zu übermitteln. Birdals linker Arm und die Hand sind noch teilweise gelähmt. Der Menschenrechtler benötigt eine intensive medizinische Behandlung, die, wenn sie Erfolg haben soll, noch eineinhalb bis zwei Jahre dauern wird. Die Justiz hat das nicht beeindruckt.

Am Vorabend seines Auftrittes vor dem Staatssicherheitsgericht trifft Birdal sich mit Mitgliedern und Sympathisanten des Menschenrechtsvereins (IHD) in Diyarbakir. Die Versammlung findet in einem Hotel statt, weil die Räume des IHD in der kurdischen Metropole seit zwei Jahren geschlossen sind. Der Vorsitzende aus Ankara ist nicht nur wegen des Prozesses gekommen, er will sich auch von seinen Mitstreitern verabschieden, ihnen aber zugleich Mut machen.

„Wir freuen uns sehr, Sie hier begrüßen zu können“, sagt Osman Baydemir, der Sprecher des Vereins in Diyarbakir, „wir hätten uns nur einen anderen Anlaß für den Besuch gewünscht.“ Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, muß Akin Birdal seine erste Haftstrafe am 3. Juni antreten. Man hatte ihm einen Monat Aufschub gewährt, aber nachdem in einem offiziellen Gutachten seine Haftfähigkeit festgestellt wurde, wird nun wohl kein Weg mehr am Gefängnis vorbeiführen.

Doch Birdal läßt sich seine persönliche Betroffenheit nicht anmerken. Seine etwa vierzig Freunde, die zu dem Treffen in das Hotel gekommen sind, wirken wesentlich bedrückter als er. Statt für sich persönlich auf Solidaritätstour zu gehen, hat Birdal eine Kampagne für die Abschaffung des § 312 initiiert. „Freie Meinungsaüßerung ist für jede Demokratie lebensnotwendig“, beschwört er seine Freunde. „Wir müssen uns mit allen solidarisieren, die wegen des § 312 verfolgt werden.“

Vor Ausbruch des Krieges 1984 war Diyarbakir ein regionales Zentrum, in dem vielleicht eine halbe Million Menschen lebten. Heute sind hier offiziell 1,2 Millionen Einwohner registriert, tatsächlich dürften es mindestens eineinhalb Millionen sein. Aus Hunderten von Dörfern, die das Militär im Laufe der Jahre zerstört hat, um „der PKK das Wasser abzugraben“, sind viele Flüchtlinge in Diyarbakir gelandet. Hier leben die Bauern und Hirten in ausgedehnten Slumgebieten, außerhalb der alten Stadtmauern. Das einzige, was es hier gibt, ist eine Unmenge an Kindern, von denen die meisten weder zur Schule gehen noch sonst eine Ausbildung bekommen. Die dörfliche Kultur ist zerstört, eine Alternative nicht in Sicht. Auch dem Zentrum der Stadt sieht man an, daß dieser Ort völlig überlastet ist. Selbst Gebäude, die erst vor wenigen Jahren gebaut wurden, wirken bereits völlig heruntergekommen. Ganz anders dagegen die Neustadt. Gepflegte Alleen vermitteln das Gefühl, im Westen der Türkei zu sein. „Dort“, behauptet ein Händler auf dem Markt an der Stadtmauer, „leben die Besatzer.“

Tatsächlich liegen die Kasernen, Truppenübungsplätze und auch die Wohnanlagen der Militärs alle im Westen der Stadt. Hier ist die Drehscheibe für den Krieg in Kurdistan, den Kampf gegen den Terrorismus, wie es offiziell heißt. Hier werden die sogenannten Operationen geplant, von hier aus wird der Nachschub an Material und Soldaten in die kleineren kurdischen Städte gebracht.

„Seit der Festnahme Abdullah Öcalans“, erzählt ein Mitglied des Menschenrechtsvereins, „sind hier pausenlos Soldaten angekommen und weiterverlegt worden.“ Innerhalb der Stadtmauern tritt das Militär jedoch weniger in Erscheinung. Hier herrscht die Polizei. Überall patrouillieren uniformierte Streifen. Dazu kommt ein ganzes Heer an Zivilpolizei.

Nach seiner Verhandlung vor dem Staatssicherheitsgericht will Akin Birdal sich mit einigen Freunden in der Stadt treffen. Diyarbakir hat, entlang seiner alten Stadtmauer, ausgedehnte, schöne Teegärten. Treffen mit Freunden und Bekannten finden in der Regel hier, im Schatten alter Bäume, statt. Als Birdal eintrifft, haben sich seine Bewacher bereits in großer Zahl versammelt. Das geschieht nicht etwa konspirativ oder wenigstens diskret – man setzt sich einfach mit an den Tisch. Jeder weiß Bescheid, entsprechend privat sind die Gespräche.

Einen Höhepunkt erreicht die fürsorgliche Belagerung durch „die Freunde“ bei dem anschließenden Höflichkeitsbesuch Birdals in der Stadtverwaltung. Seit der Wahl am 18. April, die die prokurdische Hadep hier mit 62,5 Prozent der Stimmen gewann, ist Feridun Celik neuer Bürgermeister der Metropole im Südosten. Von der Polizei wird der Bürgermeister genauso mißtrauisch beäugt wie der Menschenrechtler. Beide gelten als potentielle Sympathisanten der PKK. Die Fahrt vom Teegarten zum Rathaus, einem häßlichen Betonklotz direkt neben dem Staatssicherheitsgericht, gerät zu einem kleinen Autokorso. Im Rathaus, im Vorzimmer des Bürgermeisters, gibt es einen regelrechten Stau der Sicherheitskräfte. So wird das Treffen zu einem Austausch diplomatischer Floskeln, niemand überblickt, wer eigentlich alles im Saal ist.

Erst später, im kleinen Kreis, berichtet Bürgermeister Feridun Bay etwas detaillierter über seinen neuen Job. Als Hadep-Bürgermeister in einer Stadt mitten im Aufstandsgebiet, in dem seit Jahren der Ausnahmezustand herrscht und ein sogenannter „Super-Vali“ aus Ankara, der übergeordnete Gouverneur für das gesamte Kriegsrechtsgebiet, in enger Abstimmung mit den Militärs die eigentlichen Entscheidungen trifft, ist sein politischer Gestaltungsspielraum eng begrenzt. Vor allem die kommenden Monate bereiten ihm große Sorgen. Wenige Tage bevor Akin Birdal ins Gefägnis muß, wird am 31. Mai der Prozeß gegen den prominentesten Gefangenen des Landes, PKK-Chef Abdullah Öcalan, beginnen. „Wenn Öcalan gehenkt werden sollte, wird es hier ganz, ganz schwer“, befürchtet Feridun Celik. Der Friedensprozeß, den er gerne mit initiieren würde, er würde in weite Ferne rücken.

Dabei gab es in diesen Tagen durchaus auch Signale, die Anlaß zu Optimismus boten. Einen Tag nach Akin Birdal stand der gesamte regionale Vorstand des Menschenrechtsvereins vor den Schranken desselben Staatssicherheitsgerichts in Diyarbakir. Der Vorwurf lautete ganz ähnlich wie am Tag zuvor gegen Birdal. Der Verein, so behauptete die Staatsanwaltschaft, habe seine Publikationen zur Propaganda für die PKK mißbraucht. Außer den allesamt öffentlich vertriebenen Broschüren des Vereins präsentierte die Staatsanwaltschaft als Beweismittel noch das Archiv der Menschenrechtler. Man habe subversive Zeitungen ausgewertet. Zehn Angeklagte mit ihren Anwälten drängelten sich im kleinen Gerichtssaal, als der Vorsitzende Richter nach nur zwei Stunden Verhandlung das Urteil verkündete: Freispruch für alle.

Da strahlte auch der gepflegte kleine Mann mit dem gelähmten Arm. In diesem einen Moment durfte Akin Birdal hoffen, daß die Justiz vielleicht auch in seinem Fall und vielleicht ja selbst im Falle Öcalans demnächst die schlimmsten Zumutungen der herrschenden Mächte zurückweisen könnte.

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