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„Mach doch, was du wirklich willst“

Frauke Hehl ist eine Aktivistin der „Neuen Arbeit“, sucht nach selbstbestimmten Jobs und berät frustrierte Gutverdiener – obwohl sie wenig zu bieten hat. Nur drei Mark in der Tasche zu haben ist „ein komisches Gefühl“  ■   Von Hannes Koch

Von wieviel Geld kann man leben? Reichen 600 Mark, braucht man 700? Die 30jährige Frauke Hehl hat es ein paar Monate im Selbstexperiment ausprobiert – freiwillig. „Denn ich will keine Arbeit machen, die mir nicht sinnvoll erscheint“, sagt die „abgebrochene“ Architekturstudentin. Da verzichtet sie lieber auf die materielle Bequemlichkeit.

Andererseits hat sie die Nase voll vom kärglichen Dasein. Existenzangst war in letzter Zeit ihr Begleiter: Nur noch 3 Mark in der Tasche, nicht einkaufen können, von der Miete gar nicht zu reden – „ein komisches Gefühl“, hat Hehl erfahren. Doch dieses Experiment geht allmählich zu Ende. Gestern hielt sie einen Vortrag im Rahmen der Projektwerkstatt „Neue Arbeit“, für den sie 300 Mark Honorar kassierte. Die Früchte ihrer Askese beginnen zu reifen.

Hehl war eine Organisatorin der Projektwerkstatt, bei der sich Initiativen aus dem ganzen Bundesgebiet in Berlin trafen, um alternative Möglichkeiten des Arbeitens zu diskutieren. Ein selbstverwalteter Betrieb aus Köln war ebenso dabei wie eine Gruppe aus Kassel, die ein Projekt gemeinnütziger Dienstleistungen aufbauen will.

Frauke Hehl ist eine der agilsten AktivistInnen dieser „Neue Arbeit“-Szene in Berlin. Das Anliegen der Projekte liegt darin, sinnvolle Arbeitsplätze zu schaffen, die sich in erster Linie am Gemeinwohl orientieren – und weniger am bloßen Profitinteresse.

Wenn es um neue, gemeinützige Jobs geht, hat Frauke Hehl ihre Finger im Spiel – beim jüngsten Kongreß des Netzwerks Berlin zu alternativer Ökonomie ebenso wie bei der demnächst beginnenden Revitalisierung alter Reichsbahngebäude an der Warschauer Brükke, wo an die 30 Initiativen ein Domizil finden werden.

Eigentlich aber betätigt sich Hehl im Verein „Workstation“ als Lebensberaterin. Die Ausrüstung des kargen Büros in Kreuzberg ist größtenteils zusammengeschnorrt – man kann auch sagen „gesponsert“. Die Computer schenkte eine private Firma, den Raum stellt eine Institution zur Verfügung, und einen Teil ihres Lebensunterhaltes bestreitet Hehl mit den milden Gaben einer Bank, deren Mitarbeiter an die Aktivistin glauben.

Hehl überzeugt. Warum sonst sollten gutverdienende, aber frustrierte Mittdreißiger in ihre Selbsthilfepraxis kommen, um sich Ratschläge zu holen?

Eigentlich hat Hehl nicht viel zu bieten: keine Beratungsausbildung, keine Karriere. Trotzdem wollen Menschen, die an einer Kreuzung des Lebens stehen, von ihr hören, welchen Weg sie einschlagen sollen. „Ich mache nur Sachen, die mich hundertfünfzigprozentig interessieren“, sagt die Beraterin in den schwarzen Klamotten dann und weiß, daß das nicht ganz stimmt. Auch sie schiebt Auftragsstunden am Computer, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen – Selbstverwirklichung allein nährt nicht. Das Geheimnis des kleinen Beratungsbetriebes liegt in der spezifischen Dienstleistung. Hehl vermittelt den Mut zum Bruch, nimmt die Angst vor dem Aussteigen, wenn die BesucherInnen von ihrem Job abgenervt sind und sich auch durch regelmäßige 7.000 Mark brutto nicht mehr darüber hinwegtrösten können. Dann sagt Hehl: „Mach doch das, was du wirklich willst.“

Was soll das sein? Jedenfalls eine Tätigkeit, bei der das Geld nicht die erste Geige spielt. Und da hat die Inline-Skaterin („Die Bewegungen sind so harmonisch“) durchaus Erfahrung. In Mailand studierte sie Architektur, widmete sich dem Breitenstudium inklusive Mathematik, Statistik und Philosophie, fuhr sehr gute Noten ein – und brach das Studium trotzdem ab.

Für die Zukunft schließt Hehl nicht aus, daß sie neben Einzelpersonen auch große Unternehmen berät. Für den Augenblick allerdings gilt, was für viele Gruppen und Pläne der „Neue Arbeit“-Szene zutrifft: Es herrscht ein Überdruß am althergebrachten Arbeitssystem und der von ihm produzierten Erwerbslosigkeit – das Neue freilich bleibt bislang Experiment. Über den Versuchsaufbau ist Frauke Hehl noch nicht hinausgekommen. Frauke Hehl, Workstation-Ideenwerkstatt e. V., Tel. 61 65 99 07, E-Mail: work.stationberlin.de

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