: „Wie vor den Kopf geschlagen“
■ Nathalie Morawietz war das jüngste Mitglied der Bundesversammlung. Von den Frustrationen einer 18jährigen, die von ihrer Partei unter Druck gesetzt wurde, weil sie Rau nicht wählen wollte
taz: Sie bezeichnen sich als Pazifistin und hatten starke Bedenken gegen den SPD-Kandidaten Rau wegen seiner Haltung zum Kosovo-Krieg. Warum haben Sie ihn schließlich doch gewählt?
Nathalie Morawietz: Wieso doch gewählt? Ich habe meine Wahl bis heute geheimgehalten. Ich weiß nicht, wie die Zeitungen dazu kommen zu schreiben, daß ich für Rau gestimmt habe. Das ist voll der Schwachsinn.
Haben Sie Lust, jetzt darüber zu reden, wen Sie ... ?
Nee, danke. Das ist wirklich meine Angelegenheit.
Nachdem Sie Ihre Bedenken gegenüber Rau im Radio kundgaben, sollen sich prominente Politiker um Sie bemüht haben.
Ja, ich habe auch ein paar Probleme mit der SPD gekriegt. Weil die meinten, ich müsse eigentlich Johannes Rau wählen.
Welche Probleme?
Na ja, die haben bei mir angerufen und mit mir geredet.
Um Sie mit sanften Tönen umzustimmen?
Wenn es so gewesen wäre, hätte ich es ja noch verstanden. Aber das war schon ziemlich heftig. Ich kam mir vor, wie vor den Kopf geschlagen, weil ich dachte, hey, ich habe doch Gewissensfreiheit. Das steht überall drin. Ich habe ja auch Unterlagen bekommen, die genau erklären, wie die Wahl abläuft – geheim, nach freiem Gewissen.
Wer hat denn angerufen?
Also da möchte ich keine Namen nennen.
Was denken Sie heute über diese Anrufe?
Ich finde, wenn man in einer Partei ist, dann übernimmt man auch Verantwortung. Darunter verstehe ich, daß es meine Pflicht ist, zu überlegen, ob ich es mit mir vereinbaren kann, für Rau zu stimmen. Kurz vor der Wahl hat mir Rau angeboten, noch mal mit ihm zu sprechen. Erst danach habe ich mich endgültig entschieden.
Was haben Sie denn mit Herrn Rau besprochen?
Na ja, was den Krieg betrifft, da ist er natürlich derselben Meinung wie die Bundesregierung. Und so kurz vor der Wahl, da ging es drunter und drüber, weil so viele Leute noch was von ihm wollten, da gab es dann nicht mehr soviel Gelegenheiten, Fragen zu stellen.
Welche anderen SPD-Funktionäre sind noch auf Sie zugekommen?
Renate Schmidt, die SPD-Landesvorsitzende von Bayern, hat mich am Vortag der Wahl angesprochen. Sie sagte, sie fände es ganz toll, daß ich mir so viele Gedanken mache. Sie hat auch nichts wegen Johannes Rau gesagt. Da war ich sehr verwundert. Ich hatte da schon ganz anderes erwartet.
Auch der Bundeskanzler wollte mit Ihnen sprechen.
Nein, der hat mir nur die Hand geschüttelt.
Ist das beeindruckend, wenn man gerade 18 geworden ist?
Die Bundesversammlung und die Wahl waren sehr beeindrukkend. Berlin war schon ein Erlebnis fürs Leben. Schröder selbst fand ich eher unsympathisch. Der konnte nicht lächeln bei unserer Begrüßung.
Wissen Sie noch von anderen, die bedrängt worden sind, für Rau zu stimmen?
Ich denke, es ist eben nur bei mir richtig rausgekommen, daß ich Bedenken habe, weil ich die Jüngste war, die wählen konnte. Deshalb hat sich die Presse für mich besonders interessiert und gefragt, wen ich denn wählen würde. Da konnte ich doch nicht lügen. Daraufhin entstand dieser ganze Wirbel.
Kannten Sie diese Art von Politik schon?
Zum Teil schon. Aber daß es so kraß sein kann, das hätte ich nicht gedacht. Das waren schon deutliche Beeinflussungsversuche.
Sie sind Juso-Vorsitzende im bayerischen Weißenburg. Könnten Sie sich vorstellen, Berufspolitikerin zu werden?
Ich mache Politik gerne und will auch für meine Ideale kämpfen. Aber als Beruf, wenn ich dann total vereinnahmt werde – eher nicht. Dann würde ich wohl doch zu oft frustriert werden.
Hat die Erfahrung mit der Bundesversammlung zu dieser Meinung beigetragen?
Nein, schon vorher war mir klar, daß ich keine Politikerin werden will. Aber der ganze Zirkus war natürlich ein Grund mehr, festzustellen, nein, das will ich nicht. Interview: Yvonne Wieden
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