Und Ralph Siegel weinte leise

Dana International hat den Grand Prix nach Jerusalem geholt. Doch gelitten ist sie dort nicht. Bei der Preisverleihung an die Siegerin kommt sie ins Straucheln  ■   Aus Jerusalem Jan Feddersen

Nur einmal lächelte Aharon Goldfinger-Eldar an diesem Abend. Der Mann, der seit einem Jahr den Eurovision Song Contest in Jerusalem leitend für Israels Fernsehgesellschaft IBA vorbereitet, blieb professionell kühl bis zur allerletzten Punktevergabe und Estlands zwölf Punkten für die spätere Siegerin Charlotte Nilsson aus Schweden. Dann kam Dana International auf die Bühne, wie Tage zuvor versprochen in einem glamourösen Abendkleid, wie ihr Siegerfummel des vorigen Jahres designt von Jean-Paul Gaultier.

Und in diesem textilen Gewölk aus seidigem Tüll und zehntausend Federn am Saum stöckelte sie zum Moderator Jigal Ravid, um von ihm den Siegespokal entgegenzunehmen. Dana Internationals Job war also eher schlichter Art. Sie sollte der Schwedin dieses elegante Monstrum aus Edelstahl überreichen. Doch die in jedem ultraorthodoxen Haushalt Jerusalems verpönte, am Strand von Tel Aviv freilich hoch verehrte Popsängerin, sackte plötzlich zusammen. Offenkundig wußte sie nicht, wie schwer diese Trophäe ist. Und Goldfinger, wie gesagt, lächelte fein: Das kommt davon, wenn man die ganze Woche über die Proben ignoriert und alles zu leicht nimmt. Die Gestrauchelte rettete die Situation, wenn auch ein wenig säuerlich, indem sie wie die Peggy Bundy davonstakste – und bei der anschließenden Party nicht mehr gesehen wurde.

Sie hatte ihren Part gespielt, was hätte sie auch sonst in Jerusalem aufhalten sollen? In einer Stadt, deren meist strengreligiöse Einwohner sie nicht mögen, der sie nicht zu Füßen liegen wie in Tel Aviv, in Amsterdam, London oder Malta? Nein, ein nationales Symbol wolle sie auf gar keinen Fall sein. Und ein politisches schon gar nicht. „Wir wollten nach Jerusalem, das hatten wir gesagt, jetzt sind wir hier, das sagt alles“, erklärte sie am Ende der Eurovisionswoche.

Und eben dies hatte schon voriges Jahr viele jüdische Einwohner Jerusalems auf die Palme gebracht. Was Chaim Miller, Vizebürgermeister Jerusalems und Mitglied der „Partei Judentum und Thora“, vorige Woche im Kreise einiger schläfenlockiger Jünger im Rathaus bestätigte: „Ihr ganzes Wesen ist gegen das Reinheitsgebot und gegen die Thora.“ Das finden auch andere Menschen, vor allem diejenigen, die in Meah Schearim leben, einem Viertel, in dem sich vorwiegend amerikanische Juden niedergelassen haben, darum kämpfend, daß Jerusalem nie palästinensisch wird und Juden nicht nach weltlichen Gesetzen, sondern nach religiösen leben.

„Sie ist ein Er“, sagt einer, „sie ist keine richtige Jüdin“, ein anderer. Die Frauen antworten überhaupt nicht, eine meint knapp: „Ich muß jetzt einkaufen und habe keine Zeit für solche Fragen.“ Ein wenig ist die Argumentationsnot zu spüren, schließlich hat Dana International immer gesagt, sie singe für ihr Land, zu dessen 50. Geburtstag. Allerdings hat sie sich auch nicht verkniffen zu betonen, daß sie ihren Triumph allen Schwulen und Lesben widme, vor allem aber jenen, die die religiösen Privilegien der Ultraorthodoxen abschaffen wollen. Aber was ist aus den versprochenen Protesten geworden? Der Eurovision Song Contest werde auf gar keinen Fall in Jerusalem stattfinden, Demonstrationen würden dies verhindern. Nichts. Womöglich hat die Wahl Ehud Baraks vor fast zwei Wochen die religiösen Parteien wie Schas etwas milder gestimmt. Auf Politiker, die die Thora für ein politisches Programm halten, ist Baraks Arbeitspartei nicht mehr zwingend angewiesen. Proteste von Fundamentalisten hätten die Chancen der Schas-Partei nur kraß aufs Spiel gesetzt, weiterhin Teil des politischen Establishments zu bleiben.

So blieb es denn vorgestern abend bei einem Demonstratiönchen von arabischen Israelis, die gegen Jerusalem als Eurovisionsort sprachen – weil Jerusalem doch nicht die Hauptstadt Israels sein dürfe. Gabi Butbul, ein kämpferischer Mann der Schas-Partei, der Jerusalem als rein jüdische Stadt erhalten will, rang den Organisatoren immerhin die Konzession ab, am Nachmittag – noch während des Sabbats – zur Generalprobe keine israelische Öffentlichkeit zuzulassen.

Das war das einzige, was die Ultraorthodoxen erreichen konnten. Sonst haben die Säkularen keinen Sieg ausgelassen, den zu erringen möglich war. Mit dem selbstbewußten Auftritt von Dana International voriges Jahr in Birmingham begann, das glaubt nicht nur Regisseur Goldfinger-Eldar, Ehud Baraks Wahlsieg – ohne die transsexuelle Chanteuse wären die Nichtreligiösen wohl länger noch politisch depressiv geblieben. So sollte der Song Contest ja unbedingt in Jerusalem ausgerichtet werden, „in der Höhle des Löwen“, wie es James Schneider Montag abend beim Empfang des rechten Bürgermeisters Ehud Olmert formulierte, der Direktor des Israel-Museums, selbst kein Freund strenger Glaubenstreue.

Gegen diesen Plan hatte selbst Ehud Olmert nichts zu melden. Es war kaum mehr als höflich, als er beim Empfang für die Delegationen sie nur willkommen hieß „im Namen des israelischen Fernsehens“, auf daß sie sich wohlfühlen mögen in dieser „schönen Heiligen Stadt“. Nicht gerade eine Verbeugung vor der Sängerin – wo sonst parteiübergreifend alles bejubelt wird, wenn irgendein Israeli in der Welt etwas gewinnt. Aber Olmert konnte wohl nicht aus seiner Haut. Feinsinniger jedenfalls läßt sich ein „Kulturkampf“ (James Schneider) wohl nicht austragen.

Nur Dana International mag mit Politik nichts mehr zu tun haben. So sagte sie mit treuem Augenaufschlag, alles, wofür sie ein Symbol sei, störe sie. „Wir sind jetzt hier in Jerusalem, aber ich mag Tel Aviv mehr.“ Ein stiller Groll wird gegen sie bleiben, selbst bei religiösen Israelis, die insgeheim ihre Karriere mit Sympathie verfolgen. „Sie ist ein wenig hochnäsig und tut so, als seien die Gefühle von Thoraschülern schlecht“, sagt der jüdische Journalist Sam Cohen auf der Pressekonferenz, zu der die Sängerin trotz Temperaturen um 40 Grad in hautengen Lederhosen erscheint. „Sie sagt nie etwas, was Ultraorthodoxe freundlicher stimmen könnte.“

Das wäre auch ganz untypisch für diesen Flecken Erde. Immer hat man den Eindruck, selbst mit harmlosesten Fragen ein nervös geladenes Energiefeld zu provozieren. Der Stadt ist anzumerken, daß in ihr zänkische Einwohner leben, Menschen, die vor keiner Beleidigung des Nachbarn zurückschrecken, schon gar nicht, wenn er einem anderen Milieu angehört, einem religiösen zumal.

Im arabischen Teil Jerusalems, wo der Sabbat ein gewöhnlicher Sonnabend ist und kein Ruhetag, wird alles gemocht, was Juden mit gußeiserner Thora-Anhänglichkeit mißbehagt – also auch Dana International. Rabea Rabea, ein Taxifahrer, Palästinenser mit israelischem Paß, meinte nur: „Die Eurovision hilft uns, daß diese Verbote aufhören – du darfst nicht lachen, nicht rauchen und nicht lieben, wenn die Ultraorthodoxen das Ruder in die Hand bekommen. Fuck it!“

Alles schien politisch zu sein während dieser Popwoche. Selbst die belgische Sängerin Vanessa Chitinor sah sich am Donnerstag genötigt, per Pressemitteilung ihren Song „Like The Wind“ als Fortsetzung von „Winds Of Change“ der Scorpions hochzufönen. Daß die Deutschen mit politischem Anspruch nach Israel reisten, war freilich schon am Tag der Ankunft in Jerusalem nicht mehr zu verhindern. Als das israelische Fernsehen den NDR fragte, ob „Sürpriz“ in Jad Vashem einen Kranz niederlegen werde, gab es keine Wahl mehr. „Hätten wir etwa nein sagen sollen?“ fragte NDR-Delegationsleiter Jürgen Meier-Beier.

So erledigten die sechs Mitglieder von „Sürpriz“ ihre Aufgabe mit Anstand. Israels Fernsehen lobte sie später, wissend, daß die Kinder türkischer Einwanderer schlecht mit dem Holocaust in Verbindung gebracht werden können: „Sie empfanden den Schmerz von Solingen und Mölln, als sie durch die Erinnerungsstätte gingen.“ Ralph Siegel weinte leise, als seine Schützlinge das Gebinde mit schwarzrotgoldener Schleife niederlegten. „Mich berührt das sehr“, sagt er zehn Minuten darauf. Nickt auch heftig, als Uschi Engel, israelische Begleiterin des deutschen Trosses in der Gedenkstätte, sagt: „Ihr müßt euch um Flüchtlinge kümmern, das muß eure Lehre aus dem Besuch hier sein. Uns hat damals fast niemand geholfen. Zeigt eure Verantwortung für die Menschen im Kosovo.“

Siegel ist wirklich aufgewühlt. Und sagt dann, er wüßte nicht, ob er persönlich sich nun schuldig fühlen solle. Aber er weiß, wovon er spricht. Als Dreizehnjähriger sei er im Schweizer Internat als „Nazijunge“ gehänselt worden. „Ein Holocaust darf nie wieder geschehen.“ Dabei sei er „ebenso betroffen, wenn vor meinen Augen ein Kind bei einem Unfall stirbt“. Vielleicht weiß er nicht, daß jedes andere Bekenntnis nur hohl geklungen hätte: So zeigt er nichts als Mitgefühl – und gewinnt soviel Kredit in Israel wie wenige andere Deutsche seiner Generation.

Einer bekannte offen, von Politik die Schnauze voll zu haben – dabei hätte ihm niemand übelgenommen, wenn er sein Lied als politische Botschaft verkauft hätte: Dino Dervischalidovic aus Bosnien, erfolgreich als Liedermacher schon Jahre vor der jugoslawischen Sezession. Nein, „Putnici“ („Reisende“), gesungen mit seiner französischen Partnerin Beatrice Poulot, sei nicht politisch. Froh, in Jerusalem zu sein, am Ende wohl erstaunt über den siebten Platz, stand dieser stille Mann, am Rande der slowenischen Party im Hotel Notre Dame, trank viele Gläser Wein und wehrte alles ab, was ihm ein Bekenntnis gegen den Krieg im Kosovo abgenötigt hätte: „Was für ein schöner Abend ...“

So sagt er, selbst die Zeile „Alles ist so unwirklich, alles ist so wirklich“ möge als Poesie gelesen werden, nicht als Klage, geschweige denn Propaganda. Vor sechs Jahren komponierte er für die erste bosnische Eurovisionsteilnahme den Song „Sva bol svijeta“ („Das Leid der Welt“), ein bizarres, verstörendes Antikriegslied. Nichts mehr davon, bitte nichts mehr: „Wissen Sie, wir hatten so viele Jahre Krieg. Wir wollen in Ruhe gelassen werden. Und versuchen, ein normales Land zu werden. Da mag ich jetzt nichts mehr über Politik hören. Heute abend nicht, am besten gar nicht. Ich bitte um Verständnis.“