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Schöne verseuchte Welt

Der Hintergrund von Fotos ist nicht der Himmel, sondern das Wissen. Das Poesiealbum „Hamburg in den 30er Jahren“ ignoriert diese Weisheit  ■ Von Kees Wartburg

Ach“, seufzt das ums romantische Innenstadtleben betrogene Herz, „war es vor diesem lausigen Krieg nicht so viel schöner in Hamburg?“ Engste Gassen aus schiefen Fachwerkhäuschen zogen sich um die damals noch nicht zugeschütteten Fleete, alte Damen mit Hut verkauften das Fremdenblatt mit der Schlagzeile „Kommunistische Geheimorganisation“, „niedliche Jungs mit Bürstenschnitt und kurzen Hosen staunten in den Eiswagen, als hätte Erich Kästner die Welt der Streiche und Lausbubengeschichten nicht beschrieben, sondern erfunden.

Und Altona erst: nicht diese zugige Denunzierung von Lebenswelt, die die Nachkriegsmoderne an dieser Stelle hinterlassen hat, nein, eine fulmi-nante Stadterscheinung, zusammengepuzzelt aus drei Jahrhunderten, überwuchert mit putzig marktschreierischen Schildern und bevölkert von glücklichen Durchschnittsmenschen. Und auch die Neustadt tritt auf wie ein Märchen von Urbanität und seliger Geschäftigkeit.

Doch halt. Was lugt denn da ins Bild hinein? Vorne, an diesem Auto, dieser kleine Wimpel. Das ist ja ein Hakenkreuz. Ja, wo sind wir denn hier? Auf dem Gänsemarkt, 1940. Da kriegt die Idylle ja einen Riß. Dann ist diese ganze, im schönsten Sonnenlicht fotografierte, verlorene Welt ja schon verseucht von Rassenhaß und Völkermord. Und das niedliche Pferdefuhrwerk in der Kirchenstraße, die nur deswegen in so gleißendem Licht freundlich lächelt, weil man sie ihrer Enge wegen im gewöhnlichen Tageslicht mit der damaligen Fototechnik überhaupt nicht hätte ablichten können, ist im Juli 1943 auch eher eine Kulisse des Verschwindens. Hier, in den alten Gängevierteln, wo einst Kommunisten und Sozialdemokraten um die Lehrmeinung proletarischer Gerechtigkeit die Fäuste fliegen ließen, hat die faschistische Säuberung nur duckmäuserische Stille und Schilder für „Troll“, den „sparsamen Hausbrand“ hinterlassen.

Kein Platz für romantisches Vergangenheitsweh – das Fotobuch Hamburg in den 30er Jahren kann man ohne Geschichtswissen nicht lesen. Es versammelt wunderbare Aufnahmen einer sonnigen Stadt, intakt, verwinkelt, mit Charakter und großen Erzählungen geschmückt, festgehalten von den besten Fotografen der damaligen Zeit: Germin, Willi Beutler, die Brüder Hamann, Erich Andres. Alles Namen, die bereits mehrere Fotobücher über Hamburg schmückten und deren Fundus – das beweist dieses Buch allemal – noch längst nicht erschöpft ist. Aber die Zeitspane, die hier um die Erinnerung gelegt ist, muß die Sicht auf diese Heimat verändern. Der Verlust historischer Bausubstanz relativiert sich durch die Verbundenheit mit Ereignissen, die Vernichtung predigten.

Die fröhlich lachenden Bierkutscher von 1937 sind die Überblendung gefolterter und getöteter Arbeiter mit dem falschen Parteibuch. Der Zigarrendreher von 1935 verwandelt sich vor dem inneren Auge in den Fließbandarbeiter der Bombenproduktion und die Menschenmasse, die 1939 dem KDF-Schiff „Robert Ley“ beim Auslaufen zujubelt, besteht aus denselben Menschen, die tatenlos dem Abtransport ihrer jüdischen Nachbarn zusehen.

Leider rückt der Bildband diese Momentaufnahmen nie in ihren historischen Kontext, sondern behandelt sie als Hamburgensien. So lügen diese schönen Abbilder in dem Maße, wie der Herausgeber – die Landesmedienzentrale Hamburg – sich der ältersten Weisheit der Fotografie verweigert: daß der Hintergrund des Fotos nicht der Himmel, sondern das Wissen um seinen Entstehungszusammenhang ist. Statt einer kritischen, historischen Ausgabe veröffentlicht der Kunstverlag Weingarten ein nazifreies Poesiealbum der Stadt.

„Hamburg in den 30er Jahren“, hrsg. vom Landesmedienzentrum Hamburg, Kunstverlag Weingarten, Weingarten 1999, 94 S.

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