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Die Bildschirmschoner

Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) feiert ihren fünften Geburtstag. Ein jugendfreier Prüfbericht  ■ Von Ania Mauruschat

Maccaroni hat keine andere Wahl. Nur geschützt von einem um die Hüften geschwungenen Handtuch und seiner Knarre steht er seinem ärgsten Feind gegenüber. Den rechten Hoden hat das Biest ihm schon abgebissen, nun versteckt es sich in einer Krokohandtasche. Fünf Schüsse jagt der New Yorker Cop durch das Täschchen. Stille. Doch dann: Es lebt! Raketenartig katapultiert sich das Kondom des Grauens aus den Taschentrümmern, und ein gellender Schrei durchdringt das Fernsehzimmer der Berliner Altbauwohnung. Irritiert blicken die drei Prüfer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) vom Bildschirm auf ihre Besucherin von der taz.Einer von ihnen, ein Absolvent der Filmhochschule Babelsberg, grinst mich an: „Wenn wir den jetzt nicht ab 12 für 20 Uhr freigeben, dann ist das Ihre Schuld.“ (Sorry.) Drei Ausnahmeanträge stehen an diesem Tag auf dem Programm des Prüfungsausschusses der FSF. Dabei handelt es sich um Filme, die von der „großen Stiefschwester“, der Freiwilligen Selbstkontrolle Kino (FSK ), ab 16 oder 18 Jahren freigegeben wurden. Für die Fernsehsender bedeutet das, daß sie die Filme aus Jugendschutzgründen nicht vor 22 bzw. 23 Uhr ausstrahlen dürfen. Weil „Das Kondom des Grauens“ aber um 20 Uhr ein hübscheres Werbesümmchen einspielen würde, schnippeln die Privatsender in solchen Fällen die schönsten Stellen raus, um bei der Prüfung durch die von ihnen selbst installierte Kontrollanstalt FSF vorab jugendschutzmäßig das Okay zu bekommen und anschließend einen Ausnahmeantrag bei der zuständigen Landesmedienanstalt zu stellen.

Im Falle des Killerpräsers hat Pro 7 laut des den Prüfern vorliegenden Schnittplans die „makaberen Szenen (Blutspritzer, Schreie)“ reduziert und den Angriff des Kondoms auf den Präsidentschaftskandidaten gekürzt. Aber ob das den FSF-Prüfern reicht, ist nicht gesagt. Vielleicht muß noch nachgebessert werden. Über 2.870 Sendungen wurden von der FSF geprüft, seit sie im April 1994 ihre Arbeit aufnahm, 990 davon wurden in der vorgelegten Fassung abgelehnt. Heute, wenn die FSF ihren fünften Geburtstag feiert, werden sich Geschäftsführer Joachim von Gottberg und die Vertreter der bundesweiten Privatsender (die außer den Musiksendern alle Mitglieder der FSF e.V. sind) zufrieden auf die Schultern klopfen können. Schließlich wird dieser Institution der Selbstkontrolle sogar von ihren Konkurrenten – also den staatlichen Jugendschützern – gute Arbeit attestiert.

Ganz im Gegenteil beispielsweise zum Presserat, der immer noch als „Tiger ohne Zähne“ belächelt wird. „Wir haben schon ein bißchen zur Fernsehkultur beigetragen“, überspielt von Gottberg lässig seinen Stolz. „Wenn es die FSF nicht gegeben hätte, sähe das wesentlich schlimmer aus.“

Die FSF wird auch von ihren Konkurrenten gut bewertet

Ein „begnadeter Darsteller des Jugendschutzes“, kommentiert der Direktor einer Landesmedienanstalt von Gottbergs Wirken. Begnadet vor allem, weil der großgewachsene Rheinländer nicht zu den Amokläufern unter den Jugendschützern gehört. Seiner Nähe zu den Privatsendern durchaus verpflichtet, versucht der FSF-Chef immer, das Thema betont locker darzustellen.

Seinen „coolen Job“ hat sich von Gottberg Anfang der 90er quasi selbst geschaffen, indem er die Gründung der FSF mitinitiierte. Es hatte ein paar Jahre gedauert, bis die neuen Privatsender in ihrer ungezügelten Sendeeuphorie bemerkten, daß trotz freien Marktes der Spaß für deutsche Behörden eine unumstößliche Grenze kennt: den Jugendschutz. Mit keinem anderem Thema läßt sich politisch so schön Stimmung machen. (Und kein anderes Thema ist von seinem Gehalt her so fragwürdig.) Gesetzlich ist der Jugendschutz darum gleich mehrfach festgeschrieben: im Grundgesetz, im Strafgesetzbuch, im Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften, im Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit und im Rundfunkstaatsvertrag. Zuständig sind also die Staatsanwaltschaften, die Bundesprüfstelle, die Landesmedienanstalten, die FSK , die FSF ... Die Gesundheitsreform ist ein Witz dagegen.

Jugendschutz ist den Sendern nicht nur wichtig fürs Image, sondern auch finanziell relevant. Wenn nämlich ein Sender einen Film zur falschen Sendezeit programmiert hat, wie Sat.1 einmal den als kriegverherrlichend bewerteten Film „Top Gun“, muß er womöglich überstürzt das Programm geändert werden – was etliche Werbeeinnahmen kostet.

Falsche Programmierungen kosten Geld und Image

Vor den Zeiten der FSF waren die Jugendschützer der Medienanstalten relativ machtlos. Die Ausstrahlung einer Vielzahl von indizierten Filmen wie „Rambo II“ oder echte Pornostreifen konnten sie nicht verhindern, weil deren Indizierung nur für den Videomarkt galt und Vorzensur nach Art. 5 des Grundgesetzes verboten ist. Also hätten die Landesmedienanstalten immer fleißig alle Programme gucken müssen, um danach zu ahnden. Jetzt wählen die Jugendschützer der Sender bedenkliche Sendungen vorab aus und legen sie der FSF zur Prüfung vor. Im Vorstand der FSF sitzen zwar nur Sendervertreter, die neben den fünf eigenen Leuten aber auch zehn Wissenschaftler ins Kuratorium berufen, von denen Susanne Grams, Jugendschutzbeauftragte der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, sagt, daß sie keineswege nur „Abnicker“ seien. Diese unabhängigen Kuratoriumsmitglieder wiederum berufen die 70 PrüferInnen, die senderunabhängig und jugendschutzerfahren sein müssen, wie die Journalistin, der Filmhochschulabsolvent und der Kinobetreiber, die bei Kaffee und Keksen „Das Kondom des Grauens“ begutachten.

Ausnahmeanträge wie an diesem Tag machen den größten Teil der Prüfungen aus. Der delikateste aber sind jene indizierten Filme, die bisher allein von der FSF abgesegnet wurden. Aber genau diese Entscheidungen könnten nächstes Jahr bei der Änderung des Rundfunkstaatsvertrages auf Drängen der „bayerischen Landfrauen und somit der bayerischen Landesregierung“ (von Gottberg) wieder zurück an die Landesmedienanstalten fallen, was Joachim von Gottberg natürlich ärgert: „Wenn die Entscheidungen der FSF künftig mit einem Federstrich von den Landesmedienanstalten kaputtgemacht werden können, dann nehmen mich die Sender doch gar nicht mehr ernst.“ Ein Problem, das von Gottberg auch heute schon haben dürfte, ist er doch einerseits abhängig von den Sendern, die er moderierend und moderat läutern soll, andererseits muß er sich nach außen permanent gegen den Verdacht wehren, er wasche nur die schlimmen Privatsender rein, wie seit neuestem mit dem FSF-Sonderauftrag der Talkshow-Beobachtung. Zurück zum „Kondom des Grauens“: Auch wenn die Prüferin und ihre zwei Kollegen reichlich kichern mußten: „Ganz so bedenkenlos wie den heute zuerst geprüften, langweiligen Thriller hätten wir das ,Kondom des Grauens' sicherlich nicht freigegeben“, spekuliert die Prüferin, als die drei nach einer halben Stunde das Begutachten abbrechen müssen. Wegen massiver Bildstörungen und desolater Tonspur. Und das ist besonders schlecht, wenn einem Film von der FSK gerade seine vulgäre und obszöne Sprache zur Last gelegt wird. Selbstkontrolle ist für die Sender halt eine lästige Pflicht, und so kümmern sie sich auch nicht allzusehr um die Qualität der vorgelegten Videokassetten. Der Prüfantrag für „Das Kondom des Grauens“ wird verschoben. (Puh, Schwein gehabt!)

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