Flut der Originale

■ Eine Ausstellung im Wilhelm Wagenfeld Haus soll unter anderem zur Ehrenrettung des Salatseiers beitragen

Zwischen einem Salatseier aus Kunststoff und einem schicken Objekt wie – sagen wir – der sogenannten Bauhaus-Lampe von Wilhelm Wagenfeld liegen Welten. Legt man zum Beispiel am Mittagstisch bei Fischhändler Koch-Bodes an der Bischofsnadel ein Bild der Bauhaus-Lampe auf den Tresen, wird garantiert jemand kommen und seufzen: „Oh, das ist ja die Bauhaus-Lampe.“ Für einen Salatseier hatte bislang kaum jemand so viel Zuneigung übrig. Doch das will jetzt der Designer und Ausstellungsgestalter Jakob Gebert im Wilhelm Wagenfeld Haus ändern. Sozusagen zur Ehrenrettung von Salatseiern, Salzstreuern und Wandlampen hat er im Bremer Museumssommer „Wir haben die Originale“ eine Ausstellung namens „Original und Serienprodukt“ inszeniert. Und wer für Designfragen wenigstens ein bißchen übrig hat, wird die Schau vielleicht mit geschärftem Blick verlassen.

Während in der Kunsthalle der Originalbegriff in der Kunst relativiert wird und das Paula-Modersohn-Becker-Museum zeigt, welcher Aufwand sich hinter der Erhaltung von Originalzuständen von Originalen verbirgt, kann die Fraktion Gebrauchskunst gelassener bleiben. „Was“, fragt die Chefin der Wagenfeld-Stiftung Beate Manske in einfacher Rhetorik, „ist das Original? Ist es die Skizze? Der Entwurf? Das erste Stück vom Fließband?“ Und schon antwortet sie sich selbst: „Das erste Stück vom Band ist ein Original. Und das letzte auch.“ Originale sind also überall. Man könnte geradezu von einer Inflation von Originalen sprechen.

Gleich im Eingangsbereich des kleinen, oft mit schrecklich einfältigen Ausstellungen zugestellten Museums, hängen sie zu Dutzenden von der Decke. Glühbirnen, Salzstreuer und Salatseier des Hauskünstlers und gebürtigen Bremers Wilhelm Wagenfeld gleichen einander scheinbar wie ein Ei dem anderen. Doch genauso wie Eier einander nicht wirklich gleichen, weist das Elektronenmikroskop nach, daß es sich auch beim Salz-streuer buchstäblich um ein Individuum handelt.

Aber auch ohne kriminaltechnischen Werkzeugkoffer ist zu erkennen, daß die Menschen an ihrem Ideal von der Identität in der Gebrauchskunst oft scheitern. Es ist nahezu unmöglich, Tülle und Griff von Wagenfelds berühmter und ebenfalls beseufzt schöner gläserner Teekanne zweimal gleich aussehen zu lassen. Bei der Herstellung gehen also Originale buchstäblich in Serie, was möglicherweise von einem Spion beoabachtet wird. Denn mehr noch als in der bildenden Kunst wird in der Gebrauchskunst abgekupfert, variiert und geklaut. Eine Großvitrine mit Objekten aus den Sammlungen von Flohmarktstreunern liefert dazu das Kuriositätenkabinett.

Außerdem zeigen Reihen von anderen Objekten, wie Wagenfeld seiner Lindner-Wandleuchte und seiner noch berühterem Bauhaus-Lampe eine im Lauf der Jahre immer wieder andere Original-Form gegeben hat. Und am Beispiel der vierten Auflage des Vitra-Stuhl von Verner Panton – der pop-farbige Plastikstuhl aus einem Guß – erfährt der frisch bekennende Fan seines kücheneigenen Salatseiers, daß die Möglichkeit zur Herstellung der Idee oft um Jahrzehnte hinterherhinkt. Denn erst jetzt kann der Stuhl so günstig und in der Form produziert werden, wie es sich Verner Panton schon 1959 ausgedacht hat. Es sei denn, ein nicht vorhersehbarer Materialfehler macht aus dem Original ein originelles Bruchstück. ck

„Original und Serienprodukt“ bis 22. August; Führungen: sonntags um 13 Uhr; Vortrag „Original und Fälschung“ mit Hansjerg Maier-Aichen (Geschäftsführer der Design-Firma authentics) und Werner Rabus (Patentanwalt): 30. Juni, 17.30 Uhr