: Grandseigneur des Museumswesens
Noch einmal Luft: Zum Tod des Kunsthistorikers und Museumsgründers Heinrich Klotz ■ Von Jürgen Berger
Es war wohl eine der überraschendsten Meldungen aus dem deutschen Kulturbetrieb des letzten Jahres, als das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) bekanntgab, Heinrich Klotz gebe die Leitung des in seiner Art einzigartigen Hauses zur Erforschung und Präsentation neuer Medientechnologien ab. Überraschend deshalb, weil das Mammutprojekt ohne Heinrich Klotz nie zustande gekommen wäre und sein Lebenswerk nach achtjähriger Aufbauphase kurz zuvor eröffnet worden war.
Ein unentwegter Projektebastler
Wie er bei der anschließenden Pressekonferenz auf dem Podium saß und auch im persönlichen Gespräch fast schon zornig die grassierenden Mutmaßungen über seine Amtsmüdigkeit dementierte, legte eher den Verdacht nahe, das Gegenteil von Müdigkeit sei ausschlaggebend für seinen Schritt gewesen. Vielleicht bastelte Heinrich Klotz ja schon an einer neuen Idee! Vielleicht würde die Fachwelt sehr schnell über ein neues Projekt oder einen neuen von ihm initiierten kunsthistorischen Diskurs über „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Digitalisierung“ staunen. Dafür war er bekannt.
Anfang der achtziger Jahre prägte er den Begriff der „Zweiten Moderne“, dessen Urheberschaft später auch der Münchner Soziologe Ulrich Beck für sich beanspruchte. Der „Zweiten Moderne“ zufolge habe sich der Künstler nach der Postmoderne wieder auf Grundpfeiler der klassischen Moderne wie die Abstraktion besonnen, daneben aber auch multimediale Kunstformen weiterentwikkelt.
Müde jedenfalls wirkte er keineswegs, sondern eher wie ein Grandseigneur des zeitgenössischen Museumswesens, der seine Projekte bis zur Selbstaufgabe durchsetzt, das Kind aber wieder loslassen kann, wenn es laufen gelernt hat. Daß er selbst Peter Weibel als Nachfolger vorschlug und den anerkannten Medienkünstler und -theoretiker nach Karlsruhe holte, bestärkte nur den Eindruck, daß man es im Falle von Heinrich Klotz mit einem der wenigen Mächtigen im deutschen Kulturbetrieb zu tun hatte, bei dem institutionelle Macht nicht zum Selbstzweck verkommt.
1984 etwa gründete und leitete er das Deutsche Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main, konzipierte Publikumsmagnete wie die Ausstellung „Revision der Moderne“ – die über 100.000 Besucher anzog und um die Welt reiste – und wurde wegen seiner kontroversen Theorieansätze sehr schnell selbst wie ein Kunstobjekt der Postmoderne gehandelt. Titel wie „Buhmann und Wundermann“ belegen, daß die Kunstwelt nie so genau wußte, wie sie diesen Mann einordnen sollte, der Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre Kunstgeschichte, Archäologie, Philosophie studiert hatte, als Yale-Gastprofessor seine akademische Karriere einläutete und 1972 den Marburger Lehrstuhl für Kunstgeschichte erhielt.
Die Leitung des Architekturmuseums gab er 1989 wieder ab. Aber nicht etwa, weil er mit seinen Kritikern haderte, sondern weil Baden-Württembergs damaliger Ministerpräsident Lothar Späth ihn zum Gründungsdirektor des Karlsruher ZKM sowie der angegliederten Hochschule für Gestaltung inklusive der Fachrichtung „Medienkunst“ berufen hatte. Im Zusammenhang mit dem ZKM war schnell vom „Bauhaus des Computerzeitalters“ die Rede. Hier sollte, so Klotz, der Steinway-Flügel mit der Videoinstallation zusammentreffen. Die politische, finanzielle und konzeptionelle Durchsetzung des Mammutprojekts dürfte ihn viel Kraft gekostet haben.
Kein Machtgebrauch als Selbstzweck
Als er sich Ende vorletzten Jahres kurz vor dem bevorstehenden Eröffnungskraftakt aber die Zeit für eine Führung nahm, enthusiastisch wie ein kleiner Junge über dem Umbaustaub des ZKM schwebte und jedes Türmchen seiner multimedialen Sandburg erläuterte, hätte man jeden, der von einer Krankheit Heinrich Klotz' sprach, für verrückt erklärt.
Als das ZKM dann eingeweiht wurde, sah es so aus, als hole er zwei Jahre nach seinem sechzigsten Geburtstag noch einmal Luft, um die Kärrnerarbeit einer inhaltlichen Belebung seines multimedialen Raumschiffes sowie einer weiteren Neugründung zu leisten: des Aufbaus eines Sammlermuseums mit Kunst-Stücken von Polke bis Lüpertz und Warhol bis Beuys aus dem Besitz baden-württembergischer Privatiers zur Vervollständigung des Karlsruher Forschungs- und Museumsensembles. Das sei auch der Grund für seinen Rücktritt von der Leitung des ZKM gewesen, hatte er gesagt. Bis zum Herbst 1999 wolle er den letzten Teil des Ensembles fertigstellen. Wie sich die neue Sammlung in den Raum der ehemaligen Munitionsfabrik einfügen wird, erlebt er nicht mehr. Am Dienstag ist Heinrich Klotz im Alter von 64 Jahren an Krebs gestorben.
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