: „Die Polizei soll arbeiten müssen“
■ Phil Zimmermann hat das Verschlüsselungsverfahren „Pretty Good Privacy“ entwickelt und weltweit verbreitet. Aber PGP war nur der Anfang. Zimmermann glaubt, daß sich mit dem Internet auch die Freiheit durchsetzen wird
taz: Verschlüsseln Sie alle Ihre Mails?
Phil Zimmermann: O ja, ich verschlüssele schon eine ganze Menge. Sobald wir die Entwicklung eines sicheren Internetprotokolls erleben, das jedes Datenpaket verschlüsselt, wird das gesamte Internet undurchsichtig sein. Alles wird verschlüsselt, egal welcher Inhalt.
Wozu?
Nicht nur für Firmen und Behörden, auch für gewöhnliche, private Bürger, die ihr Leben in der digitalen Welt führen, ist es wichtig, daß sie in das Ohr eines anderen flüstern können, auch wenn das Ohr tausend Meilen entfernt ist. Die Kryptographie erlaubt ihnen das Flüstern über tausend Meilen. Unser Unternehmen hat gerade ein Produkt herausgebracht, das genau das leistet, und andere Unternehmen arbeiten ebenfalls daran.
PGP ist bislang ein Minderheitenprogramm geblieben. Wann wird sich das ändern?
Es gibt bereits einen Standard, „IPsec“ genannt, für Secure Internet Protocol. Dieses Protokoll wird jedes einzelne Datenpaket verschlüsseln, nicht nur E-Mails, sondern auch Webseiten, Videokonferenzen, Internettelephonie, einfach alles. Da wir alle zusammenarbeiten, weil wir uns alle an einen Internetstandard anpassen, werden wir wohl schon in wenigen Jahren erleben, daß alle wichtigen Elemente des Internetverkehrs verschlüsselt sind.
Nur nicht für die Polizei. Die Regierungen fast aller Staaten wollen ihr einen Zugang zu unseren privaten Schlüsseln verschaffen.
Auf die Regierung der USA wird seit Jahren von der Computerindustrie Druck ausgeübt, und sie wird meiner Ansicht nach ihre Haltung ändern. Sie hat in den letzten Jahren bereits nachgegeben. Lediglich das FBI hält an der Hoffnung fest, Kryptographie zu kontrollieren, aber meiner Ansicht nach steht die Bundespolizei damit in der Regierung allein da.
Eine wirklich zuverlässige Kryptographie soll aber nach dem sogenannten Wassenaar-Abkommen nur in den USA erlaubt sein.
Jedes Land kann das Abkommen von Wassenaar nach eigenem Gutdünken auslegen und seine eigene Gesetzgebung einbeziehen. Das bedeutet, daß die meisten Länder ihre Einstellung zur Kontrolle von Kryptographie – sei es beim Export oder bei der Nutzung – nicht zu ändern brauchen. Insofern wird das Abkommen von Wassenaar nur wenige Auswirkungen haben.
Auch nicht in den USA?
Ja, sogar dort nicht. Es gibt keine Kontrollen im Land. Wir haben Exportbeschränkungen, aber Gerichte und der Kongreß bemühen sich seit Jahren darum, sie abzuschaffen.
Wie wirksam sind die Exportkontrollen?
Wir haben unseren Quellcode für PGP in Buchform veröffentlicht. Damit können wir auch starke Kryptographie im Ausland verkaufen. Wir verkaufen sie in Europa, in Japan, in Australien, überall auf der ganzen Welt, denn es gibt keine Ausfuhrbeschränkungen der US-Regierung für Quellcode in Buchform.
Ein Trick?
Mag sein, aber ich sehe kein Problem darin, daß Bücher exportiert werden dürfen, sondern darin, daß Software nicht exportiert werden darf. Das Internet ist das demokratischste Medium, das die Menschheit je hervorgebracht hat. Wir sollten uns im Internet genauso ausdrücken können wie in Büchern oder in Magazinen oder wenn wir an einer Straßenecke stehen und zu einer Menge sprechen.
Hat die US-Regierung nur Angst vor dem internationalen Verbrechen, oder will sie sich mit den Exportbeschränkungen nicht auch Wettbewerbsvorteile für die heimische Softwareindustrie verschaffen?
Nein. Das FBI will Verbrechen bekämpfen, das ist sein Job. Daran habe ich nichts auszusetzen, aber leider denkt das FBI nur in den Kategorien der Probleme, mit deren Lösung es beauftragt ist. Ihm fehlt der Blick für die Probleme, die auf die gesamte Gesellschaft zukommen. Ich betrachte ebenjene Fragen, denen die Gesellschaft gegenübersteht, wenn sie durch den Fortschritt in der Überwachungstechnologie ihre Privatsphäre verliert. Meiner Ansicht nach sind das größere Probleme als die paar Verbrechen mehr, die das FBI aufklärt, weil es die elektronische Kommunikation mithören kann. Das FBI ist auch ohne diesen Zugriff in der Lage, mit traditionellen forensischen Methoden und allen anderen Untersuchungstechniken Verbrechen aufzuklären.
Die Strafverfolgungsbehörden bestreiten das – nicht nur in den USA. Sie sagen, daß sie die elektronische Überwachung brauchen, um das Organisierte Verbrechen zu bekämpfen.
Natürlich sagen sie das. Sie wollen sich ihre Arbeit so einfach wie möglich machen. Aber es ist nicht gut für eine Gesellschaft, wenn Polizeiarbeit zu einfach ist. Überwachungstechnologie hat sich bis zu einem Punkt weiterentwickelt, daß wir Gefahr laufen, eine Schwelle zu überscheiten, nach der die Polizeiarbeit so einfach wird wie in einem Polizeistaat. Ich meine, daß die Polizei für ihren Lebensunterhalt etwas tun sollte. Es darf nicht so einfach wie ein Mausklick sein, Telefone abzuhören. Überwachung sollte so arbeitsintensiv sein, daß sie nicht überall eingesetzt werden kann. Das FBI und andere Strafverfolgungsbehörden sollen zwar die Möglichkeit haben, das Recht, Überwachung einzusetzen, aber nur, wenn sie einem Verdächtigen auf der Spur sind, und nicht ge- gen die ganze Gesellschaft.
Sie selbst haben die Entwicklung von PGP als ein Bürgerrechtsprojekt bezeichnet. Warum?
Techniken wie das Internet oder auch seine Überwachung verbreiten sich überall, sie machen nicht an Grenzen halt. Das ist die Ironie in der Kontroverse darüber, daß die Regierung unglücklich war, weil PGP nicht an der amerikanischen Grenze haltmachte, sondern sie überquerte. Auch PGP ist Information. Das gilt für Technik im allgemeinen.
Die Überwachungstechnik, die der Polizei zuviel Macht verleiht, macht ebenfalls nicht an der amerikanischen Grenze halt. Auch sie verbreitet sich auf der ganzen Welt, auch in repressiven Staaten wie dem Irak, dem Iran, in Serbien, China, Burma oder irgendeinem anderen. Wenn wir darüber entscheiden, welche Techniken verbreitet oder entwikkelt werden, treffen wir nicht nur Entscheidungen für die Demokratien, in denen wir leben, sondern auch für jene repressiven Systeme, unter denen andere Menschen leben. Mit PGP versuche ich, Werkzeuge zu entwickeln, die es Menschen auch unter einer repressiven Regierung erlauben, einen Teil ihrer Privatsphäre und ihre bürgerlichen Freiheiten zurückzugewinnen, und die ihnen gegen die Macht der Regierung mehr eigene Macht verleihen.
In China, im Iran oder im Irak hat kaum jemand Zugang zu einem Computer, auf dem PGP installiert ist. Ist Ihre Hoffnung da nicht ein wenig idealistisch?
Das glaube ich nicht. In einigen dieser Länder sind heute noch zu wenige Computer verfügbar, aber das wird sich mit der Zeit ändern. Techniken werden diese Gesellschaften durchdringen, und PGP wird dabeisein. Einige Leute haben beobachtet, daß MTV das Ende der Sowjetunion herbeigeführt hat – metaphorisch gesprochen. Mit MTV meine ich alle westlichen Einflüsse. Ich denke, das nächste MTV, das diesen Effekt hat, ist das Internet. Es wird das Internet sein, das die Freiheit nach China bringt.
Interview: Werner Pluta
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