: Eisiges Abrüsten im Ärztekrieg
Die grüne Gesundheitsreformerin Fischer kommt unbewaffnet zum Ärztetag. Aber Verbandschef Vilmar polemisiert weiter. Nur eine Minderheit übt Kritik ■ Aus Cottbus Tina Stadlmayer
Angespannte Stille herrscht in der Stadthalle von Cottbus, als Gesundheitsministerin Andrea Fischer ans Mikrophon tritt. Sie wagt einen Scherz: „Ich bin unbewaffnet gekommen.“ Keiner lacht. Mit fester Stimme fährt sie fort: Sie würde gerne auf einen „Showdown“ verzichten und „zu einem Abrüstungsprozeß“ beitragen.
Zuvor hatten die 250 Delegierten des Deutschen Ärztetages der Ministerin einen kühlen Empfang bereitet. Der Höflichkeitsapplaus, als sie den Saal betrat, währte nur wenige Sekunden. Ihren Präsidenten, den Chef der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar, begrüßten die versammelten Ärztinnen und Ärzte dagegen mit tobendem Beifall. Vilmar hatte die Ministerin am Tag zuvor aufgefordert, sich für den „ungeheuerlichen Vorwurf“ zu entschuldigen, die Ärzte hätten im vergangenen Quartal mehr Medikamente als nötig verschrieben, um die Gesundheitsreform auszuhebeln.
Vilmar bekommt seine Entschuldigung. Ministerin Fischer will den Konflikt nicht schüren. Sie bedauere, daß der Eindruck entstanden sei, sie wolle die Ärzteschaft „eines unethischen Verhaltens“ bezichtigen, sagt sie mit heiserer Stimme. Die Ministerin ist mit dieser Entschuldigung über ihren eigenen Schatten gesprungen. Die Ärzte quittieren es mit eisigem Schweigen.
Es bleibt ihr nichts anderes übrig, als gefaßt im Text fortzufahren. Geschickt nimmt sie die bekannten Einwände der Ärzteschaft gegen die einzelnen Schritte der geplanten Gesundheitsreform auf und versucht die Ängste zu zerstreuen. Doch auch damit beißt sie auf Granit. Immer wieder unterbrechen Buhrufe und demonstratives Gelächter ihren Vortrag.
Viele Ärzte befürchten, das neue Gesetz werde ihre Arbeit zu sehr reglementieren und die Therapiefreiheit einschränken. Lautes Lachen ertönt, als die Ministerin sagt, ein besseres Qualitätsmanagement in den Krankenhäusern werde die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhöhen.
Die grüne Reformerin bekennt, daß ihr Gesetzentwurf in bestimmten Bereichen „stark reglementiert“. Zum Beispiel müsse festgelegt werden, in welchen Fällen in Zukunft ambulante Behandlung die Regel sein sollte. Sie gibt zu, daß in den Krankenhäusern Stellen abgebaut werden müssen. Das bedeute für die Beschäftigten nicht unbedingt die Entlassung. Sie könnten eine neue Stelle im ambulanten Bereich finden.
Beim Thema „Hausarzt“ versucht die Ministerin ein Mißverständnis auszuräumen. Eine stärkere Rolle des Hausarztes bedeute nicht, daß jeder Patient immer zuerst einen Allgemeinmediziner aufsuchen müsse. Der „Arzt des Vertrauens“ könne auch ein Spezialist sein.
Andrea Fischer versucht die Angst der Ärzte vor der Allmacht der Krankenkassen zu zerstreuen. Die Kassen könnten auch in Zukunft Verträge mit einzelnen Kliniken nur mit dem Einverständnis der Länder kündigen. Sie verspricht, auf keinen Fall würden den Menschen in Zukunft „medizinisch notwendige Leistungen vorenthalten“. Die Gesetzliche Krankenversicherung beinhalte jedoch nur „das Notwendige“ und nicht „alles, was vielleicht wünschenswert wäre“.
Ärztechef Vilmar geht mit keinem Wort auf die Erläuterungen der Ministerin ein. Statt dessen spult er seine bekannten Vorwürfe ab und setzt an manchen Stellen noch eins drauf. Der langjährige Kammerpräsident wirft der Regierung vor, Kranke müßten die geplante Ausgabenbegrenzung „mit dauerhaften Gesundheitsschäden oder sogar dem Leben bezahlen“. Die Ministerin leite „mit voller Absicht ein Experiment mit fatalem Ausgang ein“. Die Mehrheit der versammelten Medizinerschaft reagiert begeistert auf die überzogenen Vorwürfe. Vilmar fühlt sich bestätigt und wiederholt noch einmal sein böses Wort vom „sozialverträglichen Frühableben“ – obwohl er sich für dieses „Unwort des Jahres 1998“ schon einmal entschuldigen mußte. Tosender Applaus – in der grauen Stadthalle von Cottbus kommt Bierzelt-Atmosphäre auf.
Die Ministerin läßt dies alles mit stoischer Miene über sich ergehen. Am Ende der Veranstaltung steht sie auf und überreicht dem Ärztechef seine Aktentasche: „Ich hab' schon mal Ihre Tasche aufgehoben. Das ist der Beginn der Zusammenarbeit.“ Die Spannung ist von ihr abgefallen, und ihr typisches, fröhliches Lachen erklingt. Karsten Vilmar, der ihr eben noch unterstellt hatte, sie setze Leib und Leben der Patienten aufs Spiel, spart nun nicht mit väterlichem Rat: „Ich meine es nicht boshaft: Sie sollten das Gespräch mit kompetenten Leuten suchen.“ Die Stimmung ist plötzlich locker und freundschaftlich. War da was?
Karsten Vilmar hat die Erwartungen der Delegierten erfüllt und ordentlich auf den Putz gehauen. Die verbale Bolzerei gehört seit Jahrzehnten zur gesundheitspolitischen Streitkultur. Die Mitglieder der Standesorganisation sind wieder von der Schlagkraft ihres Verbandes überzeugt. „Er hat eine tolle Rede gehalten“, schwärmt eine Allgemeinärztin aus Hamburg beim kalten Buffet. Die umstehenden Kollegen stimmen ihr zu.
Vereinzelt gibt es auch Kritik an den scharfen Tönen des Obergurus. Ein Delegierter aus Bayern sagt, die geplante Gesundheitsreform sei im Kern richtig. Es sei notwendig, die Ausgaben zu begrenzen, denn im bisherigen System sei „viel zuviel Geld drin“.
Bis Ende der Woche wollen die Delegierten des Ärztetages eigene Vorschläge ausarbeiten und sie den Bonner Reformplänen entgegensetzen. Am Freitag steht in Cottbus die Neuwahl des Präsidenten der Bundesärztekammer an. Der 69jährige Vilmar wird voraussichtlich nicht wieder kandidieren. Frank Ulrich Montgomery, 46, der seine Nachfolge antreten will, sagte zur taz, er sei froh, daß die Ministerin ihren „ungeheuerlichen Vorwurf“ zurückgenommen habe: „Endlich ist wieder eine gesittete Atmosphäre eingekehrt.“
Der Ärztechef wirft der Ministerin vor, sie befördere „das sozialverträgliche Frühableben“ – und die Mediziner johlen und klatschen wie im Bierzelt
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