: Liebestolle Elefanten
In Bremen wird am Sonntag eine neue Bürgerschaft gewählt. SPD-Bürgermeister Scherf würde am liebsten die Große Koalition fortsetzen ■ Von Christoph Dowe
Bremen (taz) – Der Mann hat Hände wie Bratpfannen. Er ist 2,04 Meter groß. Zur Arbeit ins Rathaus kommt er mit einem Rad – rahmenverstärkt. Der Mann heißt Henning Scherf. Der Sozialdemokrat hat einen legendären Hang zu innigen Umarmungen und er regiert – nein: er ist Bremen.
Am Sonntag sind Bürgerschaftswahlen im kleinsten Bundesland (Bremen und Bremerhaven). Scherf würde am liebsten vier Jahre weiter mit der CDU großkoalieren. „Ich halte im Sinne Bremens mehr von einer Koalition mit der CDU als von einer absoluten Mehrheit für meine Partei“, hatte er gleich zu Beginn des Wahlkampfes erklärt. Die sozialdemokratischen Befürworter einer Koalition mit den Grünen reagierten beleidigt wegen der frühen Koalitionsaussage. Scherf blieb bis heute bei seiner Einstellung.
Glaubt man der einzig existierenden Wahlprognose, würden beide Wahlwünsche verfehlt: Der SPD droht die absolute Mehrheit im 100köpfigen Bremer Parlament. Um satte 13 Prozent werde das 95er Ergebnis überschritten – damals kam die SPD auf 33,4 Prozent. Koalitionspartner würden nach einem solchen Wahlausgang nicht mehr gebraucht. Der erwartete Zugewinn der SPD erklärt sich vor allem damit, daß der SPD-Abspaltung „Arbeit für Bremen“ (AfB) der Sturz in die Bedeutungslosigkeit prognostiziert wird.
Die CDU könnte laut Prognose ihren derzeitigen Stimmanteil von 32,6 Prozent halten, die Grünen würden von 13,6 auf unter zehn Prozent abrutschen.
SPD und CDU sind auf Schmusekurs pur. „Die beiden Koalitionäre benehmen sich wie zwei liebestolle Elefanten, die sich knutschen und umarmen“, klagt der AfB-Fraktionsvorsitzende Andreas Lojewski. Absoluter Wahlkampfhöhepunkt bisher war eine öffentliche Beschwerde der SPD. In Zeitungsanzeigen mokierten sich die Genossen, daß die CDU Großflächenplakate aufstellte – das sei gegen die Verabredung. Die CDU schwieg, die Sache war erledigt.
Mit einem Spatenstich nach dem anderen demonstriert der Senat derzeit rege Bautätigkeit. „Die Große Koalition ist der Tod von Natur und gesunder Stadtentwicklung“, findet Bremens oberster Natürschützer Gerold Janssen. Seit zwanzig Jahren kämpft Janssen für die Erhaltung des Feuchtgebietes Hollerland. Ausgerechnet in der Unteren Rathaushalle zeigt er derzeit eine Ausstellung, die mit der Flächenpolitik des ein Stockwerk höher tagenden Senats abrechnet. Als Wahlkampferfrischung freilich taugte auch diese Provokation nicht.
„Wenn die Große Koalition sich so schont, dann lähmt das auch“, erklärt die Spitzenkandidatin der Grünen, Helga Trüpel, warum auch ihre Partei praktisch keinen Wahlkampf macht. Mehr noch als die Große Koalition hat der Kosovo-Krieg gelähmt. Wochenlang verharrte man in Kaninchenstarre. Aber auch mit ihren unbestrittenen Pfunden – etwa der Bildungspolitik – wuchern die Grünen nicht. Hinter vorgehaltener Hand wird sogar geäußert, die Grünen könnten die Fünf-Prozent-Hürde verfehlen – weil die Sympathisanten nicht zur Wahl gehen.
Die größte Überraschung kommt womöglich von einer Partei, die im Westen bisher kein Land gesehen hat. Die PDS hat Bremen zum Brückenkopf in den alten Bundesländern ausgebaut. Vor vier Jahren bekam sie schon 2,4 Prozent der Stimmen. Heute hofft man darauf, in die Bürgerschaft einzuziehen. „Grün war die Hoffnung. Aus. Vorbei. Kriegspartei“, hat die PDS in der ganzen Stadt plakatiert. „Hilfreich“ sei die Bedeutung von Bundesthemen im Wahlkampf, sagt der PDS-Spitzenkandidat und Landesvorsitzende Herbert Thomsen. Aber auch die rechten Parteien schielen auf einen Wahlerfolg. Die NPD konnte zwar trotz Nazi-Aufmarsch in Bremen nicht punkten, die die DVU jedoch hofft, in Bremerhaven wieder über fünf Prozent und damit ins Parlament zu kommen.
Im Bremer Plenarsaal sind indes alle Tische abmontiert. Wenn die Mehrheit zugunsten von Rot-Grün umschlägt, hätte die Bonner Koalition wieder eine Mehrheit im Bundesrat. Ob der Bürgermeister feiern wird?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen