: Bürgerschaftswahl als Bewährungsprobe
■ Der Urnengang in Bremen entscheidet über eine mögliche rot-grüne Mehrheit im Bundesrat
Mit der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft an diesem Sonntag steht auch die Politik der rot-grünen Bundesregierung vor einer erneuten Bewährungsprobe. Bei einem Sieg der SPD und einem Ende der Großen Koalition in Bremen könnten die sozialdemokratisch geführten Länder die nach der Hessen-Wahl verlorene Mehrheit im Bundesrat zurückerobern.
Rund 500.000 Wahlberechtigte in Bremen und Bremerhaven sind aufgerufen, die 15. Bürgerschaft zu wählen. Um die 100 Sitze bewerben sich neun Parteien mit 294 Kandidaten. Der ausgesprochen ruhige Wahlkampf wurde vom Kosovo-Konflikt überlagert. Bei jedem Auftritt bundespolitischer Spitzenpolitiker nahm der Krieg einen breiten Raum ein. Die Bremer Wahl ist die erste eines Parlamentes seit Ausbruch des Konfliktes.
Bei der zweiten Landtagswahl seit dem Regierungswechsel in Bonn will die SPD mit ihrem Spitzenkandida-ten und Bürgermeister Henning Scherf erneut stärkste Partei im kleinsten Bundesland werden. Ein gutes Ergebnis werde Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) den Rücken stärken, sagte Scherf im Vorfeld.
Der Regierungschef machte bei zahlreichen Gelegenheiten aber keinen Hehl daraus, daß er am liebsten die Koalition mit der CDU fortsetzen würde. Rot-Grün erteilte Scherf eine Absage. Das brachte ihm erheblich Kritik aus seiner eigenen Partei ein, in der viele ein rot-grünes Bündnis bevorzugen würden. Als Alternative nannte Scherf zuletzt auch die Möglichkeit einer SPD-Alleinregierung.
In der bisher einzigen offiziellen Wahlumfrage von Politikwissenschaftlern der Bremer Universität bei über 1.000 Wahlberechtigten kam die SPD auf 46 Prozent. Das wäre die absolute Mehrheit. Die CDU erreichte 32,5 Prozent, Bündnis 90/Die Grünen 9,5 Prozent. AfB (Arbeit für Bremen und Bremerhaven) und FDP würden an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. 68,3 Prozent der Befragten erwarteten eine Große Koalition, 14,1 Prozent ein rot-grünes Bündnis und 10,2 Prozent eine SPD-Regierung.
Der CDU-Spitzenkandidat, Finanzsenator Hartmut Perschau, geht davon aus, daß zwei von drei Bürgern für die Große Koalition sind. Die CDU will der SPD den ersten Platz in Bremen streitig machen und setzt dabei auf von der Bonner Regierung enttäuschte Wähler.
Die Grünen befürchten, daß sich die Zerrissenheit ihrer Partei in der Kosovo-Politik negativ auf das Wahlergebnis in Bremen auswirkt. Sie rechnen mit einem einstelligen Ergebnis. Die von unzufriedenen Sozialdemokraten 1995 gegründete AfB kämpft nach eigenen Angaben „schwer“ um den erneuten Einzug in die Bürgerschaft. In politischen Kreisen wird die Chance als gering eingeschätzt. Auch der FDP werden kaum Möglichkeiten eingeräumt, nach vier Jahren ins Parlament zurückzukehren. Als Geheimtip gilt die PDS, die ein Sammelbecken für enttäuschte Grüne werden könnte.
Bei der Wahl 1995 hatten sich die Sozialdemokraten trotz hoher Verluste mit 33,4 Prozent als stärkste Partei behauptet. Die CDU lag mit 32,6 Prozent nur knapp hinter der SPD. Die Grünen kamen auf 13,1 Prozent. Die AfB erreichte überraschende 10,7 Prozent. Die FDP scheiterte mit 3,4 Prozent. Die rechtsextreme DVU kam auf 2,5 und die PDS auf 2,4 Prozent.
Gleichzeitig mit der Bürgerschaft wird auch die Stadt-Bürgerschaft, das Bremer Kommunalparlament, gewählt. Dabei dürfen erstmals etwa 7.500 in der Stadt Bremen lebende EU-Bürger abstimmen.
In Bremerhaven gibt es bereits jetzt vor der Wahl einen absoluten Minusrekord. Die Anzahl der Wahlberechtigten sinkt zu dieser Wahl deutlich unter 90.000. Beim letzten Urnengang zur Bürgerschaft lag diese Zahl noch bei 95.000 Personen. Grund ist der Bevölkerungsrückgang von fast 130.000 auf 123.000 BürgerInnen.
Einen weiteren Minusrekord wird es bei der Ermittlung des endgültigen Wahlergebnisses geben. Da bereits eine Woche nach der Bürgerschaftswahl die Europawahl ansteht, rechnen die Wahlämter aus Bremen und Bremerhaven mit dem Endergebnis erst für den 25. Juni.
taz/dpa
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen