: „Das alles gehört zu mir“
■ Die Belgrader Dramatikerin Biljana Srbljanovic wehrt sich gegen das schlichte Bild der Serben als blutrünstiges Volk. Ein Gespräch mit der Autorin über die gegenwärtige Stimmung in Belgrad, die Kosten des Wiederaufbaus und den Anachronismus ethnischer Grenzziehungen
„Mit der ersten Bombe verlor ich meine Arbeit, und zwar nicht nur an einer, sondern gleich an mehreren Stellen, an denen allen ich hartnäckig festhielt, um hier leben zu können. Mit der ersten Explosion schloß meine amerikanische Agentur, schloß meine leergefegte Fakultät, schlossen die Theater, an denen meine Stükke gespielt wurden, wurde die Unabhängigkeit der Zeitung beendet, für die ich geschrieben hatte. Mit der zweiten Explosion endete meine Bewegungs- und Meinungsfreiheit. Mit der dritten schwand mein Wunsch, weiterhin hier zu leben. Dann fing der Krieg an.“
Seit dem ersten Tag des Nato-Bombardements notiert die 30jährige Belgrader Dramatikerin Biljana Srbljanovic ihre täglichen Beobachtungen, Gefühle, Gedanken in Form eines öffentlichen Tagebuchs. Erste Folgen wurden im Spiegel publiziert, momentan erscheinen die Notizen in der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“ (im Internet nachzulesen unter www.repubblica.it ). Srbljanovic beschreibt ihren Kriegsalltag, Schwierigkeiten der Nahrungsmittelbeschaffung ebenso wie Kaffeehaus-Gespräche über nunmehr passende und unpassende Hundenamen (darf der Cocker „Charlie“ heißen?) und Grübeleien in leeren Stunden über die Mitschuld der Intellektuellen, die das heutige Regime nicht verhindern konnten. Gedanken an Flucht, der gepackte Koffer. Der Entschluß, dazubleiben, auszuharren bei der Familie, den Freunden.
Später dann Eindrücke von ihrer Abreise aus Belgrad und ihrem Aufenthalt in Wien, wo sie sich zur Zeit als Gast der Festwochen aufhält. Aus all diesen Mosaiksteinen rundet sich das Bild eines anders erlebten Serbien, fern der Einheitsberichterstattung, die auch in unseren Medien häufig von Individuen absieht, um den Blick auf Massen, Massaker und Blut zu richten. Vor Beginn der Nato-Bombardements arbeitete Biljana Srbljanovic als Lektorin im „Drama department“ der Belgrader Universität. Ihre Stücke – zwei hat sie bisher veröffentlicht, „Belgrader Trilogie“ und „Familiengeschichten Belgrad“ – wurden an den größten Bühnen der Stadt uraufgeführt und laufend gespielt.
Heute sind sie abgesetzt – zu kritisch. Das Theater spielte in den letzten Wochen bei freiem Eintritt, „leichte Muse“ ist angesagt, Komödien, einige Operetten, traditionelle Balletts. Ablenkung vom Alltag. Statt dessen reißen sich deutsche Theater um die Aufführung ihrer Dramen. Vier Premieren sind im Juni geplant, in Essen, Berlin, an den Kammerspielen in München, in Schwerin. In Amsterdam und Rom werden sie ebenfalls gespielt. Vor allem aber auch im National-Theater Slowenien, in Ljubljana, was ihr selbst am meisten bedeutet.
Auf Einladung der Festwochen wagte Biljana Srbljanovic nun die Ausreise nach Wien, um Pläne für die Zukunft zu besprechen – einen Stückauftrag, dessen Uraufführung für das kommende Jahr geplant ist. Anschließend wird sie weiterreisen nach Mülheim an der Ruhr, wo das Belgrader Dramatische Theater mit seiner Inszenierung der „Belgrader Trilogie“ ein Gastspiel absolviert. In Wien wird sie herumgereicht, hetzt von Interviewtermin zu Interviewtermin, die sie sich pflichtbewußt wahrzunehmen zwingt, um das Bild zu korrigieren, das sich das Ausland von Serbien erstellt hat. Das folgende Gespräch wurde in dieser Woche, noch vor der Annahme des G 8-Friedensplans durch Miloevic und das serbische Parlament geführt. C.N.
taz: Frau Srbljanovic, in den serbischen Medien werden Sie aufgrund der Tagebuchberichte, die Sie im „Spiegel“ und in „La Repubblica“ veröffentlichen, als „Vaterlandsverräterin“ gebrandmarkt. Dennoch haben Sie vor, zurück nach Belgrad zu reisen und weiterhin von dort aus für „La Repubblica“ zu schreiben.
Biljana Srbljanovic: Ja. Man kann sich das ja nicht aussuchen. Im Grunde wünsche ich mir nur Ruhe. Und Angst habe ich so oder so. Ich möchte nur jedem meiner Leser verständlich machen, daß wir Serben keine blutrünstigen Wilden sind, sondern Menschen wie andere auch, daß wir leiden, daß wir ein schlechtes Gewissen haben und über das nachdenken, was passiert. Daß es nicht nur dieses eine Bild Serbiens von blutrünstigen Wilden in der Öffentlichkeit gibt, die alle das jetzige Regime unterstützen. Das stimmt absolut nicht. Die Gegner sind mittlerweile sogar in der Mehrheit. Absolut. Aber die Menschen haben Angst, sie schweigen in der Öffentlichkeit.
Man merkt es, wenn man Taxi fährt. Taxifahrer sind wie das Lackmus-Papier der öffentlichen Meinung. Will man wissen, welche Stimmung in der Bevölkerung Belgrads gerade herrscht, muß man sich nur in ein Taxi setzen. Anfangs waren sie pro Miloevic, dann gab es eine Zeit, da wollten sie nicht darüber sprechen. Heute muß man nur einsteigen und fragen, wie es ihnen so geht, und schon poltern sie los: „Wie es mir geht? WIE ES MIR GEHT? Ich bin gerade dabei, in die Luft gesprengt zu werden, und ER ist schuld!“ Sie sind nun in aller Öffentlichkeit gegen ihn. Und es gibt viele, die wie ich Pazifisten sind. Wir sehen die Lösung nicht in den Waffen, und keiner kann von ihnen erwarten, daß sie zu den Waffen greifen und kämpfen. Und darüber bin ich froh.
Ist es möglich, heute in Serbien einen pazifistischen Artikel zu publizieren?
Absolut nicht. Es herrscht Zensur. Ich glaube auch nicht, daß man momentan irgend etwas von innen heraus verändern kann. Was wir benötigen, ist solide Hilfe. Nicht mit Bomben und nicht mit Drohungen, sondern mit rationalem Denken, durch den Aufbau unabhängiger Medien, unabhängiger Organisationen, humanitärer Organisationen, mit etwas mehr Geld. Serbien ist ein sehr armes Land, und die ärmsten Menschen sind momentan die, die sich ihre politische Unabhängigkeit bewahren.
Eine „intelligente Bombe“ kostet zwei Millionen Dollar, und es sind schon Hunderte von diesen intelligenten Bomben auf uns gefallen. So werden wir mit Hunderten Millionen Dollar bombardiert. Und wir benötigten nur ein Prozent von diesem Geld, um wieder ein unabhängiges Mediennetz aufzubauen, oppositionelle Organisationsstrukturen wiederzubeleben. Aber das kriegen und haben wir nicht.
Sie sind Pazifistin. Haben die Nato-Bombardements zur Lösung der Probleme beigetragen?
Ich denke, die Nato sollte die Bombardierung stoppen und versuchen, diplomatische Lösungen zu finden. So könnte sie Menschen wie mich unterstützen und – was noch wichtiger ist –, sie könnte helfen, daß die Kosovo-Albaner zurückkehren können. Denn wenn sie nicht sofort damit anfangen, beginnt in Kürze ein heißer Sommer in diesen Camps – und das wird ein gesundheitliches Desaster. Und danach, wenn sie jetzt nicht sofort den Krieg stoppen und beginnen, das Land wieder aufzubauen, danach wird ein kalter Winter kommen ohne Häuser für sie, in die sie zurückkehren könnten, selbst wenn sie wollten.
Wenn die internationale Staatengemeinschaft also tatsächlich diesen Menschen helfen möchte, sollte sie alle Mittel in Bewegung setzen, um zu verhandeln, um diese Leute zurückzubringen, ihnen ihre kulturelle Autonomie zurückzugeben und was immer sie brauchen, Geld, Wiederaufbauhilfe, eine politische Lösung. Die jetzige Situation destabilisiert die ganze Region. Was wir brauchen, ist Stabilität.
Doch der im Krieg entfachte Haß zwischen den ethnischen Gruppen wird sich nicht so schnell beilegen lassen.
Seit der Auflösung Jugoslawiens gab es das Rezept, ethnische Staaten zu konstruieren, nicht bürgerliche Staaten – Staaten nicht mit Bürgern, sondern mit Völkern. Wenn man eine solche Form von Zukunft errichtet, kann man nicht erwarten, daß Menschen friedlich zusammenleben. Und wer im Krieg Teile seiner Familie durch eine andere ethnische Gruppe verloren hat, dem kann man schwer erklären, daß er nun wieder mit dieser zusammenleben soll. Man hält sie für verantwortlich.
Ich denke also, momentan wird es Grenzen geben müssen. Aber keine militärischen Grenzen, zivile Grenzen. Und ich glaube, die nächste Generation wird aufbauen, was wir zerstört haben. Denn schließlich ist dieses wunderschöne, große Land, das Jugoslawien einst war, doch ein gemeinsamer Kulturraum. Und es sollte ein gemeinsamer Wirtschaftsraum werden. Fährt man heute von Griechenland nach Österreich, muß man viermal die Währung wechseln. Und alle sprechen dieselbe Sprache. Gerade jetzt, wo in der Europäischen Union alle Grenzen eingerissen werden, ist das doch zutiefst anachronistisch.
Wäre es demnach die Aufgabe der EU, die Staaten in Exjugoslawien so bald wie möglich einzubeziehen und auf diese Weise dem nationalen Denken entgegenzuwirken?
Ja. Doch davon sind wir leider noch weit entfernt.
Ihr neuestes, noch unveröffentlichtes Stück setzt sich ebenfalls mit nationalistischem Denken auseinander.
Ja. Ich habe es vor zwei Monaten beendet. Und momentan erscheint es mir problematisch. Denn es setzt sich sehr kritisch mit jeder Form von Nationalismus und Chauvinismus auseinander. Ich möchte aber nicht, daß das Theaterstück nur als Kommentar zur aktuellen politischen Lage aufgefaßt wird. Es ist Theater, es ist Fiktion, es befaßt sich mit diesen Dingen jenseits der augenblicklichen politischen Situation. Deshalb möchte ich nicht, daß es momentan aufgeführt wird. Ich habe auch ein Aufführungsangebot aus Deutschland, aber da es sich so kritisch mit meinem eigenen Land auseinandersetzt, möchte ich es zuerst dort aufführen oder gar nicht.
Ich möchte nicht außerhalb stehen und meine eigene Stadt kritisieren, die ich liebe. Ich habe zwar das Problem mit Patriotismus, daß ich ihn schlicht nicht nachvollziehen kann. Ich liebe meinen Freund, meine Mutter, aber kein Stückchen Erde. Aber trotzdem hänge ich an meiner Stadt, den Menschen, mit denen ich lebe, meinen Freunden. Das alles gehört zu mir. Wenn es irgendeinen Patriotismus in mir gibt, dann diesen. Und ich glaube, ich liebe mein Land mehr als die Leute, die es regieren. Viel mehr.
Interview: Cornelia Niedermeier
Dieses Gespräch wurde für die österreichische Tageszeitung „Der Standard“ geführt und erscheint dort in der heutigen Ausgabe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen