: Einmal jährlich Vorfahrt für das Rad
■ Mehr als 20.000 RadlerInnen protestieren mit einer Sternfahrt für eine fahrradfreundliche Politik und Velorouten. Für viele TeilnehmerInnen aber stand der „Spaßfaktor“ ganz oben
Am Pariser Platz erlebte gestern eine Autofahrerin, was gewöhnlich das Leid der RadfahrerInnen ist: Ausgebremst steckte sie im Brandenburger Tor und kam dort weder vor noch zurück. Denn Tausende RadlerInnen kamen ihr vom Großen Stern entgegen. „Machen Sie doch wenigstens den Motor aus“, forderte eine Radfahrerin, sichtlich erfreut darüber, einmal bestimmen zu können, was sich im Straßenverkehr abspielt.
Trotz Absperrungen der Polizei war die Autofahrerin in die traditionelle Fahrrad-Sternfahrt geraten, die der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) gestern erneut veranstaltet hat. Unter dem Motto „Berlin fährt Rad – Velorouten statt Betonschneisen“ radelten mehr als 20.000 RadfahrerInnen auf 13 Routen mit 50 Treffpunkten vom Stadtrand zum Großen Stern und von dort zum Brandenburger Tor, wo ein Ökomarkt zum Mittagessen einlud. Höhepunkt war die 4-Kilometer-Fahrt über den Autobahn-Südring von der Grade- bis zur Alboinstraße.
Unterwegs war dabei alles, was sich auf zwei – und manchmal auch drei – Rädern bewegen kann: Fahrradfreaks auf Liege- und Lastenrädern, mittelalterliche Frauen nebst Gatten auf quietschenden Hollandrädern, schnittige Rennradfahrer in Profitrikots und ganze Familien mit Tigerentenrädern und Kinderanhängern. Dazwischen ein Jogger, Inlineskater und zwei Hunde, die ihren Besitzerinnen hinterherhechelten.
„Wir wollen zeigen, daß Fahrradfahren ein Bedürfnis der Berliner Bevölkerung ist, das endlich gefördert werden muß“, sagte Michael Föge, der Landesvorsitzende des ADFC. Deshalb fordert der Fahrradclub einen eigenen Haushaltstitel von 50 Millionen Mark für den Fahhradverkehr. Außerdem müsse das Veloroutenkonzept für überbezirkliche Strecken, das das Land bereits 1994 verabschiedet hat, endlich umgesetzt werden. Bike-and-Ride-Anlagen sollen errichtet, U-und S-Bahnhöfe fahrradfreundlich umgebaut werden.
Die meisten Sternfahrt-TeilnehmerInnen unterstützen dies zwar, doch für sie stand gestern das Vergnügen im Vordergrund. „Es ist einfach geil, mal über die Autobahn fahren zu können“, sagte die 17jährige Jeannette Schneider. Und Petra Wendt, mit zwei Knirpsen auf Kinderfahrrädern unterwegs, sagte: „Da kann ich mit den Kindern in der Stadt endlich mal fahren, ohne Angst haben zu müssen, daß etwas passiert.“ Auch ADFC-Mann Föge weiß, daß es vielen TeilnehmerInnen vor allem um „den Spaßfaktor“ ging. Doch für ihn ist die Sternfahrt weit mehr als ein „Happening“: „Sie zeigt, daß viele Leute unzufrieden sind mit der fahrradfeindlichen Politik in Berlin.“ Sabine am Orde
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen