„Milosevic hat das Heft aus der Hand gegeben“

■ Der Schriftsteller, langjährige Diplomat und Tito-Dolmetscher Ivan Ivanji meint, daß Milosevic zwar Serbiens starker Mann bleibt, im Verhandlungsprozeß aber jetzt Moskau das Sagen hat

taz: Die Verhandlungen zwischen Generälen der Nato und Jugoslawiens zur Umsetzung des Kosovo-Friedensplans sind im ersten Anlauf gescheitert. War das vorhersehbar?

Ivan Ivanji: Eigentlich nein. Noch am Wochenende konnte man davon ausgehen, daß die jugoslawische Armee die Weisung hat, die technischen Einzelheiten des Abzuges zu erörtern und festzulegen. Doch jetzt folgt Überraschung auf Überraschung. Mal ist von Abbruch der Gespräche, dann wieder nur von einer Unterbrechung die Rede.

Wie erklären Sie die Verzögerungen? Ist das wieder einmal ein taktisches Manöver von Slobodan Milosevic?

Der Hauptakteur befindet sich in Moskau. Denn der umstrittenste Punkt ist immer noch das sogenannte gemeinsame Oberkommando der internationalen, unter der Fahne der UNO auftretenden Truppe mit starker Nato-Präsenz. Am Sonntag hat es im Laufe des Tages zwei russische Interventionen in Serbien gegeben. Der russische und der jugoslawische Außenminister haben miteinander telefoniert. Der russische Militärattaché, General Jewgeni Barmjanzew, ist in Kumanovo aufgetaucht und hat plötzlich an den Gesprächen zwischen den Militärs teilgenommen. Das läßt darauf schließen, daß Moskau Druck macht. Moskau will erreichen, daß der UN-Sicherheitsrat eine Resolution beschließt, bevor die Nato-Truppen einmarschieren, und daß die Struktur des Oberkommandos im Sinne Rußlands geklärt wird. Das heißt, daß Moskau in Belgrad vorstellig geworden ist, mit dem Ziel, die Verhandlungen zu verzögern, bis diese Forderungen auf der Ebene der Außenminister in Bonn abgesichert werden.

Das klingt fast so, als sei den Serben samt Milosevic jetzt das Heft aus der Hand genommen?

Ja, das glaube ich. Mit dem Beschluß des serbischen Parlaments, der natürlich auf den Wunsch von Milosevic hin zustande gekommen ist, hat er das Heft aus der Hand gegeben und die Bereitschaft gezeigt, die UNO-Resolution zu befolgen. Jetzt ist Moskau am Zug, wo die verschiedenen Fraktionen untereinander zerstritten sind. Die Russen wurden zu Recht wieder ins Boot geholt. Doch jetzt könnte es sein, daß sich Moskau über Bord gestoßen fühlt. Da sehen die deutschen Außenpolitiker derzeit klarer als die amerikanischen.

Nach der Annahme des Friedensplans durch Belgrad haben nicht nur China und Rußland, sondern auch manche Politiker im Westen ein sofortiges Ende der Bombardements gefordert. War die Fortsetzung der Angriffe ein Fehler?

Die Angriffe haben Rußland die Sache nicht erleichtert. Es fordert energisch den Bombenstopp. Und daß nur mit halber Kraft bombardiert worden ist, wiegt den Schaden nicht auf, der politisch und diplomatisch angerichtet wurde. Davon abgesehen war das ganze Bombardement ein gewaltiger Fehler, weil es Milosevic gestärkt hat. Ohne die Nato wäre Milosevic vielleicht bis zum Ende des Jahres politisch erledigt gewesen. Jetzt besteht die Gefahr, daß er uns bis an sein seliges Ende erhalten bleibt.

Der Friedensplan ist in einigen Punkten sehr unpräzise. Wo könnten noch Probleme auftauchen?

Die Frage, die etwas untergegangen ist, weil sich Milosevic wieder als Bösewicht angeboten hat, ist die UÇK. In dem Papier ist, in der serbischen Fassung nicht von Entwaffnung, sondern von Entmilitarisierung die Rede – was auch immer das heißen mag. Darüber gibt es bei den Kosovo-Albanern große Meinungsverschiedenheiten zwischen der Gruppe, die Thaci folgt, und den Anhängern von Rugova und Bukoshi. Das ist ein sehr wesentliches Problem, denn die jugoslawische Armee wird die Grenze nach Albanien künftig nicht mehr sichern, und die UÇK hat sich ja schon bis jetzt bewegt, wie sie wollte. Auch eine Nato-geführte Gruppe kann diese Grenze nicht überwachen. Das heißt, die UÇK wird auch künftig agieren können, wie sie will. Und diese Organisation hat, folgt man ihren Erklärungen, andere Ziele, als die westliche Staatengemeinschaft vorgibt zu haben.

Welche Rolle wird Milosevic jetzt weiter spielen?

Milosevic ist der Mann, der in Belgrad das Sagen hat, daran besteht nach wie vor kein Zweifel. Die letzte Entscheidung liegt bei ihm. Trotzdem: Was den Friedensplan und die Umsetzung angeht, da wird Milosevic das tun, was ihm Moskau empfiehlt. Der Gesprächspartner ist für den Westen vor allem Igor Iwanow in Bonn und nicht Slobodan Milosevic in Belgrad. Interview: Barbara Oertel