: Auszeit für Abdullah Öcalan
Die Verteidiger des PKK-Chefs dürfen sich 15 Tage auf ihr Plädoyer vorbereiten. In der Zeit könnte auch der Militärrichter per Gesetz ausscheiden ■ Aus Istanbul Jürgen Gottschlich
Zumindest die Staatsanwaltschaft im Prozeß gegen Abdullah Öcalan weiß, was sie will. Nach nur zwei Stunden Schlußplädoyer forderte sie gestern erwartungsgemäß die Todesstrafe für den Chef der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK). Der Angeklagte habe sich des Hochverrats nach Paragraph 125 der türkischen Strafprozeßordnung schuldig gemacht, weil er die territoriale Integrität des Landes angegriffen habe und die Türkei spalten wollte. Die beiden Staatsanwälte gingen in ihrem Plädoyer nicht näher auf die Erklärungen Öcalans ein, der während des Prozesses immer wieder behauptet hatte, bereits seit 1993 das Ziel eines eigenen kurdischen Staates aufgegeben und eine friedliche und demokratische Lösung innerhalb der Türkei angestrebt zu haben.
Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft erfolgte nach einer dreitägigen Unterbrechung des Prozesses. In der ersten Prozeßwoche hatten bereits die Anwälte der Nebenklage, die Angehörige gefallener Soldaten vertreten, die Todesstrafe für Öcalan gefordert. Gestern mittag beantragten dann die Verteidiger Öcalans eine Auszeit von 15 Tagen, um sich gemeinsam mit ihrem Mandanten auf ihre Schlußplädoyers vorzubereiten. Turgut Okyay, der Vorsitzende Richter, stimmte dem Antrag zu, nachdem er bereits vor Tagen deutlich gemacht hatte, daß er der Verteidigung des Angeklagten mehr Zeit einräumen will.
Für das Entgegenkommen Okyays gibt es allerdings noch einen weiteren Grund. Die neue türkische Regierung unter Ministerpräsident Bülent Ecevit hatte kurz vor dem Prozeß angekündigt, daß sie das Gesetz über die Staatssicherheitsgerichte mit dem Ziel ändern will, Militärrichter aus den Gerichten zu entfernen. In den 1983 gebildeten Staatssicherheitsgerichten ist einer der drei Richter ein Militär. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschrechte mehrfach gerügt, weil die Unabhängigkeit der Justiz damit nicht gewährleistet sei. Um einer Verurteilung in Straßburg zuvorzukommen, soll noch während des Öcalan-Prozesses das Gesetz geändert werden. Damit der Prozeß nicht neu aufgerollt werden muß, sitzt im Gerichssaal von Anfang an ein Ersatzrichter mit auf der Bank, der dann für den Militärrichter einspringen kann.
Nachdem das sogenannte Präsidium der PKK vor einer Woche in einer schriftlichen Stellungnahme den Friedensappell Öcalans vor Gericht unterstützt hatte, meldete sich gestern noch einmal der militärische Flügel der Partei, die ARGK, zu Wort. Im Gegensatz zur derzeitigen politischen Führung betont die ARGK die andauernde Kampfbereitschaft der PKK. Mit der Drohung, „ein Todesurteil für Öcalan wäre Selbstmord für den türkischen Staat“, versucht die Militärführung vor der Schlußphase des Prozesses noch einmal auf das Urteil Einfluß zu nehmen. Sollte Öcalan dennoch zum Tode verurteilt werden, werde , so die ARGK in ihrer Erklärung, „das kurdische Volk von seinem legitimen Recht Gebrauch machen, seine nationale Ehre zu verteidigen“.
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