: Wettbewerb elektrisiert die Börse
Heute wird entschieden, wo die deutsche Strombörse entsteht: Künftig regeln Angebot und Nachfrage den Strompreis. Umweltschützer fürchten Öko-Dumping ■ Von Bernhard Pötter
Berlin (taz) – Die Tage im Sommer 1997 waren besonders heiß, Kühlschränke und Klimaanlagen liefen auf vollen Touren – und der Strombedarf stieg kräftig. Gleichzeitig waren an diesem Tag im Osten der USA so viele Kraftwerke stillgelegt oder ausgefallen, daß der Preis für den elektrischen Saft kräftig in die Höhe schoß: Statt der üblichen 3 bis 4 Cent pro Kilowattstunde mußten Energiekonzerne und Händler an der Börse plötzlich bis zu acht Dollar für die gleiche Menge bezahlen.
Das könnte theoretisch auch bald in Deutschland passieren. „Das Risiko auf einem liberalisierten Strommarkt steigt enorm“, bestätigt Petra Uhlmann vom zweitgrößten deutschen Stromkonzern PreussenElektra. Weil auch der hiesige Strommarkt seit Frühjahr 1998 für den Wettbewerb freigegeben ist, soll jetzt eine Strombörse Anbieter, Zwischenhändler und Großabnehmer zusammenbringen. Heute fällt in Bonn eine Vorentscheidung darüber, wo und wie diese Börse ihre Arbeit aufnehmen soll. Vor einer Kommission der Energiewirtschaft präsentieren sich Veranstalter aus Hannover, Leipzig, Frankfurt und Düsseldorf. Sie wollen den lukrativen Handel auf dem größten europäischen Elektrizitätsmarkt nicht der Strombörse in Amsterdam überlassen.
Es gehe nicht so sehr um den Ort, sagt der Sprecher der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW), Uwe Kirsche, sondern um das damit verbundene Konzept. An der Börse soll vor allem auf zwei Arten gehandelt werden: Über Optionen können sich Stromkunden ihre Versorgung in der Zukunft zum Festpreis sichern. Und an einem „Spot-Markt“ kann Strom zu täglichen und aktuell schwankenden Preisen gekauft werden – mit hohem Risiko, wie das Beispiel aus denUSA zeigt.
„Die Strombörse rundet die Liberalisierung des Strommarktes ab“, meint Kirsche. Denn anders als etwa bei der Telekommunikation gibt es für den seit Frühjahr 1998 liberalisierten Strommarkt keine Regulierungsbehörde. Die Börse soll nun vor allem die Versorgung sicherstellen und die Preise offenlegen. Experten erwarten, daß die Strompreise für Großverbraucher um etwa ein Drittel sinken. Für den Kleinverbraucher wird Strom um 10 bis 20 Prozent billiger, schätzt Greenpeace-Energieexperte Sven Teske.
Doch an der Strombörse hat der Kleinabnehmer nichts verloren. Etwa 80 Prozent des Stromhandels werden laut VDEW weiterhin über Verträge zwischen Kunde und Stromerzeuger abgewickelt. An der Strombörse tummeln sich dann Stromhändler, die für ihre Kunden besonders günstige Konditionen suchen, oder die Energieversorger für die Zeiten, wo es billiger ist, zusätzlich Strom einzukaufen, als ihn selbst in eigenen Kraftwerken zu produzieren. Wallstreet-Atmosphäre wird dort nicht aufkommen: Den Handel regeln erst einmal etwa 20 Angestellte per Computer.
Die Strombörse wird die Energie-Landschaft kräftig aufmischen. Seit Anfang der neunziger Jahre stagniert der Stromabsatz in Deutschland, gleichzeitig stieg das Angebot durch den Anschluß an die Netze in Ost- und Nordeuropa. Die Folge: Die deutschen Stromversorger haben nach Schätzungen der Freien Universität Berlin etwa 20 bis 30 Prozent Überkapazitäten am Bein. „Eindeutig ineffiziente Kraftwerke“, bisher als Reserve nötig, würden „ganz schnell stillgelegt“, sagt PreussenElektra-Sprecherin Uhlmann.
Doch die Strombörse bedroht auch die ökologisch wünschenswerte Kraft-Wärme-Kopplung oder regenerative Energien, fürchtet Greenpeace-Experte Teske, denn abgeschriebene Braunkohle- oder Atomkraftwerke lieferten extrem billigen Strom. In den USA seien nach der Freigabe des Marktes Energiesparmodelle „massiv abgeschaltet“ worden. Auch sei an der Börse nicht mehr zu unterscheiden, welcher Strom wie erzeugt werde. „Theoretisch öffnet das die Tür etwa für den Import von billigem ukrainischen Atomstrom“, sagt Teske.
Die Börse wird aber auch den freien Zugang zu den Stromleitungen garantieren. Denn ohne das Recht, Strom immer und überall zu einem vorher feststehenden Preis durch die Netze zu leiten, werde eine Strombörse nicht funktionieren, sagt die grüne Bundestagsabgeordnete Michaele Hustedt. In der Tat soll eine neue „Verbändevereinbarung“ im Herbst den Zugang zu den Netzen der einstigen Monopolkonzerne regeln. Auch Anbieter von Ökostrom könnten sich nach Hustedts Ansicht über die Börse die Versorgung von Spitzenlasten garantieren lassen. „Möglich wäre auch eine eigene Börse für Öko-Strom“, hofft Hustedt. Dann hätten die Verbraucher die freie Wahl zwischen dem Billigstrom unbekannter Herkunft und dem teureren Ökostrom. „Immerhin geben 60 Prozent der Menschen an, daß sie bereit sind, für sauberen Strom auch mehr zu bezahlen.“
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