: Findorffer Tortur am Wahlsonntag
■ Neuaufteilung der Wahlbezirke hatte für Anwohner der Neukirchstraße herbe Folgen
Es ist schon ein Kreuz mit den (Wahl-) Kreuzen. Von Pontius zu Pilatus wurde Lotte Behrens am vergangenen Wahlsonntag geschickt, um ihre Stimme abzugeben. Der Wahlgang der 79jährigen endete in einer Tour de Force durch Findorff. Drei Stunden lang lief die alte Dame von Findorffer Wahllokal zu Findorffer Wahllokal. Erst gegen 18 Uhr, kurz vor Torschluß, konnte sie schließlich ihr Kreuzchen machen.
Der Grund für die Odyssee der Wählerin: Im zuständigen Wahllokal stand sie in der Wählerliste auf dem falschen Platz und wurde deshalb übersehen. Schuld war die kurz zuvor erfolgte Neuaufteilung der Findorffer Wahlkreise. Nachbarin Martha Meyer, zwei Häuser weiter, ging es ebenso. Auch die gehbehinderte 81jährige wurde von Wahllokal zu Wahllokal geschickt – wie mindestens eine weitere Anwohnerin der Neukirchstraße.
„Normalerweise hat die Wahl zehn Minuten gedauert, dann war ich wieder zuhause“, sagt Lotte Behrens. Doch in der Kirche, in deren Gemeindezentrum die Urne in den vergangenen Jahren stand, wird renoviert. Die WählerInnen aus der Neukirchstraße sollten diesmal in der Schule am Weidedamm wählen. Dort allerdings „waren unsere Namen gestrichen“, schimpfen die beiden Nachbarinnen. Ratlose Wahlhelfer schickten sie deshalb weiter.
Doch auch der Gang zum Wahllokal Augsburger Straße blieb vergebens. „Aber diese Strecken kann man in unserem Alter zu Fuß nicht mehr schaffen“, schimpfen die beiden Frauen nachträglich über die Strapazen. „Die können uns doch nicht hin und her schicken“, klagten die beiden Damen, bevor sie trotzdem zum nächsten Ziel aufbrachen: ins Wahllokal im Schulzentrum Leipziger Straße. Martha Meyer erinnert sich: „Ich wollte keinen Schritt mehr tun. Ich wollte nur noch nach Hause.“ Die irregeleiteten Wählerinnen wissen bis heute nicht, wie es zu diesem Malheur kommen konnte.
Auch Sylvia Doyen vom Wahlamt ist der Vorfall eigentlich unerklärlich. „Möglicherweise könnten die Frauen mit ungültigen Wahlbenachrichtigungskarten zur Wahl gegangen sein.“ Tatsächlich hatten die BewohnerInnen von acht Fin-dorffer Straßenzügen zwei unterschiedliche Wahlbenachrichtigungen erhalten, nachdem das Wahlamt einen internen Fehler erkannt hatte.
Ob es purer Zufall war, daß die Frauen schließlich wieder am Ausgangspunkt landeten und dort auch wählen durften, ist nicht geklärt. Nur eins verspricht Doyen: Bei den Europawahlen in zwei Tagen soll das nicht mehr vorkommen. „Hoffentlich“, sagen Martha Meyer und Lotte Behrens. Sie werden wieder zur Wahl gehen. Diesmal schon am vormittag. pipe
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