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Probelauf für den Herbst

■  Die Ergebnisse lassen sich kaum übertragen, trotzdem gilt die Europawahl als Test für die Berlin-Wahl im Oktober. Bei einem schlechten SPD-Resultat wird die Aufholjagd mühsam

Walter Momper suchte den Schaden schon im Voraus zu begrenzen. Die Ergebnisse der morgigen Europawahl, erklärte der SPD-Spitzenkandidat gestern, müsse man „mit Vorsicht und mit Einschränkungen bewerten“. Schon wegen der traditionell niedrigen Wahlbeteiligung ließen sie sich nicht auf die Wahl zum Abgeordnetenhaus im Oktober übertragen, schließlich folge „jede Wahl einem anderen Gesetz“.

Glaubt man den jüngsten Umfragen, dann werden die Berliner Sozialdemokraten von diesen Floskeln eifrig Gebrauch machen müssen. Jene 37,8 Prozent der Stimmen, die sie bei der jüngsten Bundestagswahl errangen, sind mittlerweile in weite Ferne gerückt. Mit „starken Einbrüchen“ für die Kanzlerpartei rechnet der Berliner Meinungsforscher Manfred Güllner, Chef des Forsa-Instituts. Zwar gaben zu Pfingsten noch 34 Prozent der befragten BerlinerInnen an, sie würden bei einer Bundestagswahl die SPD wählen. Doch gingen zu einer Europawahl erfahrungsgemäß „nur die Treuesten der Treuen“, und gerade die Anhänger der Sozialdemokraten seien derzeit „durch die Bundespolitik stark irritiert“.

Am Wahlabend werden es aber alle Berliner Politiker dem SPD-Kandidaten gleichtun und sich die Ergebnisse zurechtreden. Je nachdem, ob sie Vergleiche zur Europawahl vor fünf Jahren, zur Berlin-Wahl vor vier Jahren oder zur Bundestagswahl im vergangenen Jahr anstellen - „jeder hat eine Chance, zufrieden zu sein“, glaubt der Bielefelder Emnid-Wahlforscher Oliver Krieg. Die CDU wird ihre mageren 23,7 Prozent aus dem Herbst mühelos überbieten, und die SPD kann sich durch einen Vergleich mit den 23,6 Prozent bei der Berlin-Wahl vor vier Jahren in die Gewinnzone argumentieren.

Schwierig werden könnte es höchstens für die Grünen, die nach Resultaten zwischen elf und 14 Prozent in Berlin ein einstelliges Ergebnis befürchten müssen. Das Formtief führen die Demoskopen aber nicht in erster Linie auf den Streit um den Krieg in Jugoslawien zurück. Der „Enttäuschungsprozeß“ rühre insgesamt daher, daß in der Bundesregierung „die grüne Handschrift zu wenig ausgeprägt“ sei, sagt Matthias Jung von der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen. Der Krieg sei dagegen eher ein „Medienthema“, Außenpolitik interessiere die Mehrheit der Wähler „in sehr untergeordnetem Maße“. Auch vom Friedensschluß könne die Fischer-Partei daher nur eingeschränkt profitieren.

An ein Comeback der FDP glaubt kaum ein Beobachter. Für „völlig absurd“ hält Wahlforscher Güllner jene sechs Prozent, die eine Umfrage zuletzt für die Liberalen ermittelte: „Da muß jemand den falschen Knopf gedrückt haben.“ Auch den rechtsradikalen Parteien räumen die Demoskopen kaum Chancen ein. Das ist ungewöhnlich, weil Europawahlen traditionell als Protestwahlen gelten.

Auf dieses Phänomen setzt hingegen die PDS. Parteichef Gregor Gysi riet den Wählern, ihren Protest lieber auf die Mühlen der demokratischen Sozialisten zu leiten. Deren Chancen stehen nicht schlecht. Schließlich können sie wegen der engeren Parteibindung ihrer Wähler von der niedrigen Wahlbeteiligung profitieren - zumal im Osten die Kriegsgegner zahlreicher sind als im Westen.

Auch die Berliner CDU darf hoffen. Parteisprecher Matthias Wambach setzt darauf, daß die Partei die Ergebnisse der Bundestagswahl wie auch der letzten Europawahl übertrifft und wieder „stärkste Partei in der Stadt“ wird. Das Resultat vom Sonntag werde eine „Wasserstandsmeldung auf dem Weg zum Oktober“ sein - wobei die CDU ihren Pegel bis zum Herbst „noch steigern“ will.

Einen CDU-Zuwachs bis zum Herbst hält auch Wahlforscher Güllner für möglich. Schließlich haben gerade die großen Parteien Probleme, ihre Anhänger für die Europawahl zu mobilisieren. Schon 1994/95 verbesserte sich die CDU von 28,4 Prozent bei der Europawahl auf 37,4 Prozent bei der Berliner Wahl.

Bei der SPD hingegen wird dieser Effekt von einem Phänomen überlagert, den Güllner den „Berlin-Malus“ nennt: Sieben Prozent der Befragten gaben bei der Forsa-Umfrage im Mai an, sie wollten die SPD zwar in den Bundestag, nicht aber ins Berliner Abgeordnetenhaus wählen. Daß ausgerechnet Walter Momper diese Wähler bis zum Herbst noch mobilisieren kann, glaubt der Meinungsforscher nicht. „Die Westberliner haben ihr Urteil über Momper 1990 gefällt und bis Juni 1999 nicht revidiert“, sagt Güllner, „warum sollten sie es bis Oktober tun?“ Inzwischen mag es Güllner nicht mehr ausschließen, daß die SPD ihr mageres Ergebnis von 1995 im Herbst sogar noch unterbietet. „Wenn die Menschen enttäuscht sind“, sagt er, „dann bleiben von den Leuten, die damals SPD gewählt haben, vielleicht noch ein paar zu Hause.“

Auch sein Kollege Richard Hilmer vom Berliner Institut Infratest dimap glaubt, es werde für die SPD-Wahlkampfstrategen „langsam schwierig“, ihrem Spitzenkandidaten noch eine dynamische Ausstrahlung zu verschaffen: Je länger der Wahlkampf andauere, desto mehr verfestige sich Mompers Negativimage. Auch die Landtagswahlen im September, so alle Wahlforscher unisono, bergen noch Unwägbarkeiten. Und die für Ende Juni angekündigten Bonner Sparbeschlüsse, weiß selbst Momper, werden „nicht unbedingt zum Jubel des Landes führen“.

Doch den Kandidaten, der schon 1989 von einer scheinbar aussichtslosen Startposition eine rot-grüne Mehrheit errang, ficht das nicht an. Penibel listete er gestern noch einmal alle Versäumnisse der CDU-Senatoren auf - von den Polizeipannen bis zum Chaos in der Kulturverwaltung. Und pflichtschuldig beteuert er, allen Rückzugslinien zum Trotz: „Ich erwarte am Sonntag ein gutes Ergebnis für die SPD.“ Ralph Bollmann

Daß Momper gegen das Negativ-Image der Berliner SPD ankommt, glauben die Wahlforscher kaum. Neuer Aufbruch für Rot-Grün „immer schwieriger“

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