Einer, der immer Wunder liefern muß

Andreas Lebert wird immer dann geholt, wenn Verlagen die Ideen ausgehen. Im Augenblick will er den „Zeit“-Lesern das farbige Leben zeigen    ■ Von Stefan Kuzmany

Andreas Lebert beugt den Kopf nach vorne, preßt die rechte Hand an die Stirn, seine Denkerpose. „Wenn zum Beispiel die Idee da ist ...“ Er zögert, dann fixiert er eine Thermoskanne mit Schraubverschluß, die vor ihm auf dem Schreibtisch steht.

Es ist eigentlich ein Konferenztisch, um Andreas Lebert herum stapeln sich die Unterlagen. Er nimmt die Thermoskanne, gießt sich einen Kaffee ein und erklärt seine Idee: „...die Idee, daß man die fünf besten Literaten Deutschlands über das Problem schreiben lassen möchte, eine Thermoskanne aufzuschrauben und sich Kaffee einzugießen, wer sind die fünf besten? Und wer sagt das?“ Lebert sieht aus, als wäre er auf dem Weg ins Kaffeehaus, der Pullover ist leger über dem Hemd zusammengebunden, das jungenhafte Gesicht ist braungebrannt.

Für seltsame Ideen und für spinnerte Fragestellungen gilt Andreas Lebert als die Adresse im deutschen Journalismus: Weil ihm irgend so etwas Eigensinniges, Modernes vorschwebte, beauftragte Zeit-Chefredakteur Roger de Weck zuletzt auch Andreas Lebert mit seinem jüngsten Projekt. Das eingestellte Zeitmagazin (siehe Kasten rechts) und das altbacken gewordene Ressort „Modernes Leben“ sollten durch etwas ganz Neues ersetzt werden. Ein schwieriger Fall: Denn Veränderungen, zudem solche, die so kühne Neuerungen wie Farbe im Blatt mit sich bringen, lösen bei der reservierten Zeit- Klientel stets zwiespältige Gefühle aus.

Ein Fall für Lebert: Der ließ in der Beilage, als sie Mitte Mai gestartet wurde, zum Beispiel eine riesige Gurke neben der Gourmet-Kolumne von Wolfram Siebeck prangen und schaffte in der Mitte seiner neuen Beilage Platz für ein Poster in doppelter Zeit-Größe. Manche Texte in „Leben“ sind dagegen nur zwanzig Zeilen lang.

Das abseits der Zentralredaktion der Zeit in Berlin produzierte neue „Leben“ ist ein Sammelsurium von Kolumnen, Kurztexten, riesigen Bildern, Reportagen und Rätseln. Es gibt eine Rubrik, in der die Geschichte eines Hauses forterzählt wird, und eine für den „Mitarbeiter der Woche“.

Während ein paar Seiten zuvor in Grau der Ernst des Lebens verhandelt wird, hat Lebert hinten eine bunte Spielwiese aufgemacht.

Seit Andreas Lebert 1990 für die Süddeutsche Zeitung eine wöchentliche Beilage erfunden hat, gilt er als der „Wunderheiler der Branche“ (Berliner Zeitung). Niemals vorher hatte jemand Schriftsteller ein ganzes Heft über eine blaurote Luftmatratze vollschreiben lassen oder einmal im Jahr die Gestaltung ganz in die Hände eines Künstlers gegeben.

Das SZ-Magazin versprach jede Woche eine Überraschung, und Lebert galt im Verlag als Garant dafür. Daher durfte er nebenher auch noch die SZ-Jugendbeilage Jetzt aus dem Ärmel schütteln.

Die Wundertaten des Mannes aus München blieben anderen Verlagen nicht verborgen. Als 1996 der damalige Stern-Chefredakteur Werner Funk merkte, daß die einstige Wundertüte des Zeitschriftenmarktes recht leer geworden war und daß es besonders mit den „Weichanteilen“ (Funk) im Blatt haperte, holte er sich genau dafür Andreas Lebert.

Der Erfinder des SZ-Magazins sollte dem Stern wieder eine emotionale Seite geben, sollte Unterhaltung, Reportage, „Modernes Leben“ ein neues Leben einhauchen.

Doch im Hamburger Gruner+Jahr-Haus wird viel mehr auf Rendite als auf überraschende Ideen geguckt, dort gibt es viel mehr Redakteure, die auch noch mit Grabenkämpfen beschäftigt sind, und zudem muß sich der Stern jede Woche am Kiosk bewähren und nicht wie das SZ-Magazin nur am Freitag eine willkommene Überraschung bieten. Lebert scheiterte.

Er habe immer mit den Armen gestikuliert und gefordert, die Texte müßten „frischer“ werden, „luftiger“, erzählt ein Redakteur. Damit konnten die eine harte Hand gewohnten Stern-Macher wenig anfangen.Dabei war der Stern Andreas Leberts Traum gewesen: Der habe bei seinen Eltern immer auf dem Küchentisch gelegen, erzählte er gern.

Dem Stern blieb er auch nah, als er nach Physikstudium und Vertreterkarriere im Hause Gruner+Jahr bei Brigitte anheuerte, wo seine Mutter lange Jahre Redakteurin war. Andreas Lebert entstammt eben einer Journalistenfamilie, sein Bruder Stephan ist Reporter beim Tagesspiegel und seit neuestem wird sein 17jähriger Sohn Benjamin als Buchautor und Kolumnenschreiber durch die Redaktionen gereicht.

Die Erfahrung beim Stern war schmerzlich: „Ich habe dort gelitten“, sagt Lebert, vor allem unter dem hohen Erwartungsdruck. Entgegen allen Ratschlägen sei er alleine, ohne eigene Mannschaft, nach Hamburg gegangen: „Das war vielleicht blauäugig und sicher ein Fehler. Aber alles andere hätte ich als Mißtrauensvotum gegenüber der Redaktion empfunden.“

Er zog sich zurück und betreute einige Fernsehprojekte, bis er Anfang des Jahres für die Zeit als als Lebensretter geholt wurde.

Lebert wehrt ab, wenn man fragt, wie er als Mann für die bestellten Wunder mit dem Erwartungsdruck lebe. Als „Ideengeber“ sehe er sich gar nicht so stark – eher als „Ideenhörer oder Ideenvermittler“.

Seine besten Arbeiten hat Lebert freilich ganz ohne Erwartungen entwickelt: zum Beispiel das SZ-Magazin. Auch heutewürde Andreas Lebert am liebsten nur einer sein, der Geistesblitze sammelt.

Immer wieder verweist Andreas Lebert auf die Teamarbeit, auf Kollegen, mit denen er seine Ideen gemeinsam weiterentwickeln will. „Ich bin jemand, der stark auf sein Umfeld angewiesen ist“, jemand, der gemeinsam mit Menschen, mit denen er gerne zusammenarbeitet, Konzepte macht.

Diese Arbeitsweise hat ihm oft den Vorwurf eingebracht, daß er vor allem von einer gut eingespielten Seilschaft profitiere. Selbst der Roman seines Sohnes, schrieb die Welt, habe sich nur dank seiner guten Kontakte als Bestseller plaziert.

„Das nervt mich“, sagt Lebert: „Ich bin kein Cliquentyp, und das war ich auch nie.“ Dazu sei er auch viel zu unstet: „Manchmal hören Leute jahrelang nichts von mir.“ Richtig sei allerdings, daß er im Laufe der Jahre viele Menschen kennengelernt habe, mit denen er die Zusammenarbeit als sehr angenehm empfunden habe. Warum diese Zusammenarbeit also nicht erneuern oder vertiefen, so etwa funktioniert die Methode Andreas Leberts.

Die Tür geht auf, und herein kommt ein junger Mann mit einer Frage: „Andreas, öffnest du dein schwarzes Büchlein und gibst mir die Nummer vom Sloterdijk?“ Der Philosoph, so die Idee, könne doch zum Thema „Strandurlaub – ja oder nein?“ etwas schrieben, hat sich Andreas Leberts Redaktion gerade überlegt.

„Sloterdijk“, fragt Lebert, „wir brauchen einen, der sagt: Ich will nichts anderes als Ruhe, am Strand liegen, und schützt uns vor den Menschen, die immer aktiv sein müssen. Bindet sie fest am Strand, damit die Sonne ihr Hirn verbrennt.“ Warum Lebert den Text nicht selbst schreibt, sagt er nicht.

„Wir brauchen einen, der sagt: Ich will nichts als am Strand liegen; schützt uns vor Menschen, die immer aktiv sein müssen“