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Flüstern & Schweigen

■  Abschied von einem Auslaufmodell: Die Auflösung der Gruppe Sandow bedeutet auch das späte Ende des DDR-Undergrounds

„Wohin soll denn die Reise geh'n?/ Ich weiß es nicht/ Und will's nicht wissen“, heißt es in einem Sandow-Song. Ein wenig wehte noch einmal der Hauch der DDR durch den Sommergarten des Berliner Pfefferbergs, als die Band dort am Wochenende ihr Abschiedskonzert gab. Sandow haben ihre Auflösung angekündigt. Und alle kamen sie zum letzten Geleit: mit grünen und mit roten Haaren, mit kaputten Hosen, Rosen und Rosenthaler Kadarka, dem bulgarischen Billigwein. Abschied von einem Auslaufmodell. Denn das Ende von Sandow besiegelt auch das späte Ende des DDR-Undergrounds.

Die vier Jungs auf der Bühne beginnen, als würden sie zur Morgengymnastik ansetzen. „Wir bauen auf und tapezieren nicht mit“, dringt es aus ihren in Raumanzüge verpackten Körpern, während auf der Filmleinwand hinter ihnen Häuser einstürzen. In Schwarzweiß natürlich. „Ihr wißt Bescheid, lehnt euch zurück für den letzten Flug“, raunt der Sänger. Nach 8 œ Jahren DDR und 8 œ Jahren Bundesrepublik ein letzter Flug in das „Tal der Toten“, eine letzte Reise in den Raum der Wünsche.

„Sandow ist Reise“, beschreibt Sänger Kai-Uwe Kohlschmidt seine Band beim Interview in einem sommerlichen Gartencafé im idyllischen West-Bezirk Friedenau. Hier lebt er heute, als leicht rundlich gewordener Familienvater. Gesetzt sieht er aus, ganz anders als auf der Bühne, wo er mit freiem Oberkörper zum Stachanow wird. Die Reise begann 1982, als der damals 14jährige Kohlschmidt und der 13jährige Chris Hinze die Gruppe gründeten. Sandow, eine Cottbuser Plattenbausiedlung, stand für Wachstum und Aufbau, für Neuheit und Zukunft. „Im Gegensatz zu den Einstürzenden Neubauten“, sagt Kohlschmidt – eine Anspielung auf die Band aus West-Berlin, mit der Sandow der Vorwurf des Plagiats verbindet.

„Verspätete Rezeption von Punk und Wave“, gibt Kohlschmidt zu, war ein Wesensmerkmal der Ost-Szene. Sandow reiste damals durch die DDR, sang von den „anderen“ und wurde so zu einer Gegen-das-System-Band – einer Kategorie, in die sie, so Kohlschmidt, eher „hineingerutscht“ sind. Die DEFA-Dokumentation „Flüstern und Schreien“ machte sie 1988 zum Symbol der DDR-Gegenkultur. Doch mit der Wende kam das Feindbild abhanden, und die Sandow-Hörerschaft verlor sich im neueröffneten Musikrausch. Statt Sandow gab es nun die Pixies, statt der Ost-Klubs die West-Raves. Sandow indes reiste weiter, nach Rußland und Frankreich, ins Hörspiel, in die Oper und in die Filmmusik. Nur wenige folgten. Ihren einzigen Hit landeten Sandow mit „Born in the G.D.R.“, vom letzten Album „Stachelhaut“ dagegen wurden nur 2.000 Stück verkauft. Der düstere Sandow-Lärm lief ins Leere. Ihr Geld verdienen sich die vier Musiker heute mit ABM-Stellen und Arbeitslosengeld. „Wir waren auch zu alt, um nach der Wende noch mal neu anzufangen“, glaubt Kohlschmidt rückblickend.

Sandow, der typische Fall einer Wendeband? „Dem Westen sind wir immer verschlossen geblieben“, sagt Kohlschmidt, und scheint es nicht wirklich zu bedauern. „Dort hat unser Pathos nur Ekel hervorgerufen.“ Aber „der Westen ist jetzt überall“, auch in Neufünfland. Weswegen Kohlschmidt der Kontakt zur nachwachsenden Ostjugend abgerissen scheint. Oft redet er von „meiner Generation“, DDR-sozialisiert und entfremdet. Die lost generation des Ostens.

Der (westdeutschen) Musikkritik waren Sandow stets zu deutsch, zu martialisch und zu unironisch. Doch gerade gegen diesen Ernst und diese Theatralik wirken die meisten westdeutschen Bands seltsam geschichtslos – eben wie der Soundtrack zur Spaßgesellschaft, der sie sind. Sandow hantierten dagegen mit schweren Zeichen, mit Krieg und Frieden und Apokalypse, und es war ihnen durchaus ernst damit. Der Kindheitsautor Brecht warf noch seinen Schatten, war jedoch nur noch eine Folie unter vielen – neben Artaud, Nietzsche, Blake, Foucault. Oder Tarkowski, mit dessen Film „Stalker“ das letzte Sandow-Werk „Stachelhaut“ korrespondiert. Konzeptkrach mit Hörspielcharakter.

Ein Treppenwitz der Musikgeschichte, daß die Kollegen von Rammstein vor fünf Jahren noch im Vorprogramm von Sandow spielten. Denn in deren plattem Heroismus feierte Sandows vieldeutiges Spiel mit deutscher Ästhetik Auferstehung in eindimensionalem Bravo- und Viva-Format. „Rammstein ist eine Boygroup. Vom Reißbrett konstruiert. Deutscher Kitsch“, sagt Kohlschmidt. Es klingt nicht einmal neidisch. Denn obwohl Sandow das R genausogut rollen können wie Rammstein, haben sie doch nie nach deren Massenpublikum geschielt. Weswegen ihnen auch der große Erfolg versagt blieb. Im Spiegelbild ihres Größenwahns waren Sandow vor allem eins: egozentrisch und elitär. Nahezu hermetisch abgeriegelt, machten sie nur Musik „für sich selbst“. Das schützte sie nicht vor Mißverständnissen. Weil er sich bei einer Podiumsdiskussion in Potsdam mit dem Münchner Pop-Theoretiker Ulf Poschardt in die Haare bekommen hatte, geriet Kai-Uwe Kohlschmidt in den Ruch eines rechten Revisionisten (taz vom 4. 2. 99). Kohlschmidt, der sich falsch verstanden fühlt, ist dennoch amüsiert: „So viel Presse wie zu dieser Veranstaltung habe ich mit Sandow schon lange nicht bekommen.“ Den Generalverdacht ist er gewohnt, haftete Sandows Ost-Obskurantismus doch stets etwas Antiaufklärerisches an.

Das Ende hat jedoch andere Gründe, persönliche. Der Einsturz kam ganz plötzlich. Während in Österreich die Lawinen heruntergingen, beschloß die Band in der Berliner Kneipe „Zum Innsbrukker“ ihre Auflösung. Sandow rollte den Berg hinab wie eine Schneekugel, die zerbarst und nicht mehr zusammenfand. „Eine Achse ist zerbrochen“, meint Kohlschmidt. In einer Art „Road-Movie-Roman“ will er die Sandow-Jahre reflektieren, eine Oper beenden und Sinfonien schreiben wie Avet Treterjan, armenischer Komponist und erklärtes Vorbild. Chris Hinze will Plastiken machen und im Ausland arbeiten. „Sandow ist tot“, steht auf der Homepage. Aber die „Reise voller Sehnsüchte, Leidenschaft und Kampf wird nie zu Ende gehen“. Na denn. Katja Hübner/Daniel Bax

Letztes Konzert heute, 22 Uhr, Haus Leipzig, Leipzig; 20 Uhr Film „Flüstern und Schreien 2“.

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