: Schwitzen und warten an der Grenze zum Kosovo
Ziehen Milosevic' Truppen wirklich ab? Die Nato jedenfalls will allen Minderheiten im Kosovo, auch der serbischen, Schutz bieten. Die UÇK verspricht, es werde keine Racheakte geben, aber vereinzelt gab es auch schon Lynchjustiz ■ Aus Tetovo Erich Rathfelder
Unter der Sonne Makedoniens wird die metallene Außenhaut der Panzer und Fahrzeuge der Nato-Truppen sehr schnell glühend heiß. Die Mannschaften, die auf dem Flughafen von Skopje zusammengezogen wurden, warten schon seit Stunden schwitzend in ihrer kiloschweren Kampfausrüstung auf Befehle, die nicht erteilt werden. Nur das Dröhnen der Apachee-Hubschrauber, die wie überdimensionierte Hornissen den Flughafen ansteuern, bringt etwas Abwechslung ins nervenaufreibende Nichtstun.
Als dann die Nachricht verbreitet wird, Soldaten der russischen Truppen hätten sich schon von Bosnien aus in Richtung Kosovo in Bewegung gesetzt, wird die Situation noch unerträglicher.
Sollte es den russischen Truppen gelingen, vor den westlichen Panzern im Kosovo einzutreffen? Das könnte Folgen für die gesamte Operation haben und zu politischen Verwicklungen führen, wird befürchtet. Denn dann könnten die jugoslawischen Truppen versuchen, das Einrücken der in Makedonien und Albanien stationierten Nato-Truppen zu verzögern. Ist das wieder ein Trick von Miloevic?
Das Dementi folgt sogleich. Im Morgengrauen des Samstags werden sich mindestens 10.000 Mann der multinationalen Friedenstruppen aus allen Richtungen in Bewegung setzen und die Grenzen Kosovo überschreiten, ist die beruhigende Erklärung der Nato-Presseoffiziere.
Am Grenzübergang Blace, der an der Straße Skopje – Prishtina liegt, sollen von Makedonien aus dann unzählige Militärfahrzeuge der Briten, Deutschen, Franzosen und Amerikaner in Richtung Prishtina, Prizren und Pec losfahren. Eine weitere, kleinere Kolonne von deutschen und niederländischen Truppen wird dann über albanisches Gebiet zu der nordalbanischen Stadt Kukes geführt, von wo aus sie voraussichtlich am Sonntag über den Grenzübergang Morina in Richtung Prizren einrücken wird.
Soweit der Plan. Seine Verwirklichung setzt aber voraus, daß die jugoslawischen Truppen sich tatsächlich wie vereinbart zurückziehen. Zwar wird der Abmarsch allerorten und aus verschiedensten Quellen vermeldet, doch direkt an dem Grenzübergang Jashince ist davon noch nichts zu sehen, obwohl die Soldaten hier längst abgezogen sein müßten, um der Nato nicht in die Quere zu kommen.
In dem gegenüberliegenden Dorf machen sich noch jugoslawische Soldaten an Autos zu schaffen, die laut Flüchtlingsberichten vertriebenen kosovo-albanischen Zivilisten abgenommen worden sein sollen. Außerdem würden die Häuser vermint, behaupten Anwohner, die mit Ferngläsern die Szenerie beobachten.
Sicher ist also nur, daß Miloevic' Truppen seit Donnerstag den Norden des Landes verlassen. Die Grenztruppen im Süden und Westen sollten sich zwischenzeitlich ins Zentrum des Kosovo begeben, um dann schließlich in den Norden nachzurücken. Ob dies wirklich geschieht, ist bisher sehr schwer zu beurteilen. Kommt es zu Verzögerungen, könnten die westlichen Schutztruppen gezwungen sein, ihren Vormarsch zu unterbrechen, um den Abzug der jugoslawischen Truppen abzuwarten.
Der Kommandeur der KFOR-Truppen, Michael Jackson, ist jedoch nach wie vor überzeugt, daß die Friedenstruppen bis zum 21. Juni die Kontrolle im Kosovo vollständig übernommen haben werden. In einer Pressekonferenz stellt er noch einmal klar, daß es sich bei dem Einsatz der internationalen Truppen nicht um einen Kampfeinsatz handele, sondern um die Durchsetzung eines Friedensabkommens. „Wir sind dazu da, die Sicherheit für alle Bürger Kosovos und die sichere Rückkehr der Vertriebenen zu gewährleisten“, sagt er.
Der schlaksige 55jährige General, der als einer der erfahrensten Militärstrategen der Nato gilt, wird im Punkte Minderheitenschutz allerdings noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Denn serbische Zivilisten verlassen nach Augenzeugenberichten in Scharen das Kosovo. Weder der Aufruf des Erzbischofs von Metohija, Artimije, zu bleiben, noch die Zusicherung des UÇK-Führers Bujar Bokoshi, es werde keine Racheakte an Serben geben, konnte sie davon abhalten.
Auch Roma und serbische Muslime verlassen nach Berichten aus Belgrad das Land. Viele Roma haben die Wut der Kosovo-Albaner auf sich gezogen, weil sie nach dem 24. März Uniformen der serbischen Freischärler angezogen, sich an dem Raub des Eigentums und zuweilen auch an Mord und Vertreibung beteiligt haben sollen.
In den Flüchtlingslagern kam es vereinzelt sogar schon zu Lynchjustiz. Am 6. Juni konnte nur der persönliche Einsatz des US-Botschafters Christopher Hill im Flüchtlingslager Stankovac Übergriffe auf eine Roma-Familie verhindern, die beschuldigt wurde, sich im Kosovo an Greueltaten der Serben beteiligt zu haben,
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