: Erst nachdenken, dann bauen
Bürgerbegehren zum Bauboom auf St. Pauli gestartet ■ Von Gernot Knödler
Es dürfte Hamburgs Bürgerbegehren mit dem bisher längsten Antragstext sein: Auf einer dichtbedruckten A4-Seite führen die Initiatorinnen des BürgerInnen-Begehrens zum Bauboom auf St. Pauli aus, was sie sich unter dem geforderten „integrierten Entwicklungskonzept“ für den Stadtteil und der „BürgerInnenbeteiligung“ bei dessen Erarbeitung vorstellen. Heute wird das Begehren angemeldet.
St. Pauli sei regelrecht umzingelt von großen Bauprojekten, die nicht aufeinander abgestimmt sind und den Stadtteil radikal zu verändern drohen, sagte Anmelderin Sabine Stövesand gestern im Stadtteilkulturzentrum am Hein-Köllisch-Platz. Dazu gehören: das Unterhaltungszentrum „Kleine Freiheit“, dessen Geschäfte, Discothek und Varieté täglich 15.000 Leute ins Niebuhr-Hochhaus locken sollen; das festungsartige Urban Entertainment Center gegenüber vom Millerntorhochhaus mit Imax- und Multiplex-Kino; ein weiteres Imax-Kino am Nobistor, der Neubau eines größeren Stadions für den FC St. Pauli und viele mehr.
Das Problem bestehe weniger in der Qualität einzelner Projekte als in deren Masse, sagte die Stadtplanerin Dagmar Bremer. Für einen Stadtteil, der von einer kleinteiligen Mischung aus Wohnungen, Kneipen und Milieu geprägt sei, seien die großen Bauvorhaben „völlig überdimensioniert“; mit St. Pauli hätten sie „nichts zu tun“.
Er kenne niemanden, der, außer vielleicht einmal aus Neugier, ein Urban Entertainment Center besuchen würde, ergänzte Werner Geyer, Betreiber der „Bar Rossi“ und der „Lounge“. Auf dem Kiez, der aus sich heraus attraktiv geworden sei, hätten diese für den Massengeschmack konzipierten Projekte nichts zu suchen: „Das zieht Leute an, die auch nach Eidelstedt fahren würden“, schimpfte Geyer.
Bereits vor Jahresfrist habe der Arbeitskreis Stadtplanung der Architektenkammer die Konzeptionslosigkeit von Stadt und Bezirk kritisiert, erinnerte Stadtplanerin Bremer. Überdies fehle beim jetzigen Wildwuchs der Dialog mit den St.PaulianerInnen. Das BürgerInnen-Begehren sei „die Chance, zu retten, was zu retten ist“.
Das darin geforderte Entwicklungskonzept soll die Übel zähmen helfen, unter denen die AnwohnerInnen wegen des Ansturms Vergnügungssüchtiger schon heute leiden: Verkehr, Müll, Freiflächenmangel und künftig verstärkte Verdrängung finanzschwacher AnwohnerInnen und Gewerbetreibender durchs einströmende Kapital.
Um die Beteiligung des Viertels zu sichern, soll ein Stadtteilrat aus AnwohnerInnen und VertreterInnen gesellschaftlicher Gruppen gebildet werden. Seine Beschlüsse gelten als Empfehlungen an die Bezirksversammlung Mitte und sollen dazu beitragen, daß der Bezirk seinen Spielraum in den Verhandlungen mit den Investoren ausnutzt.
Die Ini ist montags und mittwochs zwischen 16 und 19 Uhr unter 317 969-37 zu erreichen; Fax 317 969-71.
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