26 Prozent: Momper kurz vor Wahlsieg

■  Die SPD muß kräftig zulegen, damit es bei der Abgeordnetenhauswahl im Herbst für eine rot-grüne Mehrheit reicht. Grüne erzielten mit 12,9 Prozent ein überraschend stabiles Ergebnis. CDU-Liepelt spürt „Rückenwind“

SPD-Spitzenkandidat Walter Momper hat das magere Europa-wahl-Ergebnis der Berliner SPD gestern als einen „Ansporn, noch draufzulegen“ bezeichnet. In der Tat muß die SPD kräftig zulegen, wenn es bei der Abgeordnetenhauswahl am 10. Oktober für eine rot-grüne Mehrheit reichen soll: 26,7 Prozent erzielte die Berliner SPD bei der Europawahl. Das ist gegenüber der Europawahl 1994 ein Verlust von 0,4 Prozent. Gegenüber der Bundestagswahl 1998 büßte die SPD in Berlin jedoch 11,1 Prozent ein.

„Die Europawahl ist keine Testwahl für irgend etwas, auch keine Probeabstimmung für Rot-Grün“, meinte Momper. Die Wahl sei durch andere Themen überdeckt worden. Er sprach von einer „herben Niederlage“ für die SPD. Die rot-grüne Koalition in Bonn müsse zu den Themen zurückkehren, wegen deren sie gewählt worden sei. Dazu zähle die Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik.

Auch kritische Köpfe in der SPD sahen in dem Abschneiden der SPD kein Desaster. „Wir liegen im Sollbereich“, meinte der Kreuzberger Kreisvorsitzende Andreas Matthae. Dennoch überwogen am Wahlabend bei der SPD die langen Gesichter. Die Hoffnung, mit der Europawahl eine bessere Ausgangsbasis für die Abgeordnetenhauswahl zu erzielen, habe sich nicht erfüllt, sagte Landesvorstandsmitglied Thomas Härtel. „Die Stimmung ist ein bißchen fatalistisch“, stellte der Wilmersdorfer Kreisvorsitzende Christian Gaebler fest. „Wir müssen überlegen, wie wir wieder drive reinbringen.“ Die SPD müsse die Vorteile Mompers gegenüber dem CDU-Spitzenkandidaten Eberhard Diepgen stärker herausarbeiten, sagte Gaebler. Im SPD-Landesausschuß sollte am frühen Abend darüber beraten werden, wie die SPD in Berlin einen Aufwärtstrend erzeugen könne.

Als „klare Absage an Rot-Grün“ wertete CDU-Generalsekretär Volker Liepelt den Ausgang der Europawahl. Wer im Vorfeld der Abgeordnetenhauswahl an diesem Modell weiter stricke, habe die PDS mit auf der Rechnung. Liepelt zeigte sich mit dem CDU-Ergebnis von 35 Prozent zufrieden. Dies bedeute „Rückenwind“ für die Abgeordnetenhauswahl.

SPD-Fraktionschef Klaus Böger kündigte an, die SPD werde in den verbleibenden vier Monaten bis zur Wahl deutlich machen, daß sie die besseren Lösungen für die Probleme der Stadt habe.

An den Grünen wird eine rot-grüne Mehrheit bei der Abgeordnetenhauswahl jedenfalls nicht scheitern. Sie erzielten ein überraschend stabiles Ergebnis, obwohl viele Grünen-Anhänger der Wahl aus Protest gegen die Haltung der Partei zum Kosovo-Krieg fern blieben. Mit 12,5 Prozent schnitten die Grünen etwas schlechter ab als bei der letzten Europawahl, als sie 14,3 Prozent erhielten. Sie büßten allerdings 70.000 Stimmen ein, was einem Drittel ihrer WählerInnen entspricht. Doch konnte der Berliner Landesverband das bundesweit beste Ergebnis der Grünen verbuchen.

Das Berliner Ergebnis sei „besser als erwartet“, freute sich die grüne Spitzenkandidatin Renate Künast. Für die Abgeordnetenhauswahl wollen die Grünen die zahlreichen grünen Nichtwähler mobilisieren. Künast zeigte sich optimistisch, daß dies gelingen könne. Das Wahlergebnis sei aber kein rot-grünes Signal, denn rein rechnerisch würde es derzeit nicht für eine rot-grüne Koalition in Berlin reichen.

Die außerordentlich geringe Wahlbeteiligung von 39,9 Prozent bedauerten gestern alle Parteien. SPD-Spitzenkandidat Momper räumte selbstkritisch ein: „Wir haben unsere gesamten Anstrengungen auf die Abgeordnetenhauswahl konzentriert.“ Der SPD-Landesvorsitzende Peter Strieder sprach von einem „Wählerstreik“. Die Parteien hätten kein ausreichendes Bewußtsein darüber geschaffen, daß ein Großteil der politischen Entscheidungen inzwischen auf europäischer Ebene falle. Dorothee Winden