piwik no script img

Schröder hat verstanden. Die Partei auch?

Am Wahlabend wirkte der Kanzler merkwürdig zufrieden. In der SPD geht derweil nackte Panik um. „Wir sind einfach nicht fit“, lautet das Fazit. Und: „Die Partei ist tot“  ■   Aus Bonn Markus Franz

Die Stimmung ist lau in der SPD-Zentrale, eine Stunde vor der ersten Hochrechnung. Politiker und Journalisten parlieren voller Genugtuung über die Niederlage von Bayern München im Pokalendspiel, werden sorgenvoll, als sich herumspricht, daß deutsche Soldaten Serben erschossen haben. Die Europawahl? Ach, wen interessiert denn die? Doch das ändert sich rasant.

Nachher will allen vorher klargewesen sein, daß die Europawahl nicht gut für die SPD enden würde. Der parlamentarische Geschäftsführer Wilhelm Schmidt glaubte sogar an ein „Debakel“. Mit wieviel Prozent? „35!“ Bekanntlich wurden es nur 30,7.

Einer aus der Führungsriege ledert los: Das Bild der SPD ist zu uneinheitlich. Jeder schießt gegen jeden. Selbst der Präsident des Sozialverbandes VdK, ein Sozialdemokrat, macht wegen der Rente Stimmung gegen die SPD. Die Gewerkschaften lassen uns im Stich. Wie kann man nur so blöd sein, das Schröder-Blair-Papier (zum Umbau des Sozialstaates) drei Tage vor der Europawahl zu präsentieren. In der SPD spitzt sich der Streit zwischen Traditionalisten und Modernisierern zu .Wenn der nicht bald vom Tisch ist, dann gibt's eine Katastrophe. Das Fazit des Spitzenpolitikers lautet: „Wir sind einfach nicht fit.“ Worin nicht? „Sind wir überhaupt irgendwo fit?“

Resignation greift um sich. Diesmal will sich kaum jemand mit billigen Ausreden abgeben. Sicher, da war die schlechte Wahlbeteiligung. Aber an der sei eben der Zustand der SPD schuld. Da sind zum einen die vielen handwerklichen Mängel, insbesondere beim 630-Mark-Gesetz. Aber die Sozialdemokraten befürchten auch, daß die Bundestagswahl ein einmaliger Erfolg war. Daß die SPD die Wähler nicht mehr mit dem Wort von der „neuen Mitte“ über den Spagat zwischen der Stammwählerschaft und dem Mittelstand hinwegtäuschen kann.

Von der traditionellen Wählerschaft, lautet die bevorzugte Analyse bei den Sozialdemokraten, haben sich viele enttäuscht abgewandt, weil sie sich nicht mehr in der Regierungspolitik wiedergefunden haben. Und Überläufer aus dem Mittelstand seien wieder zur Union geschwenkt, weil Schröder sich nicht als der Modernisierer erwiesen habe, als der er bei der Wahl angetreten war.

Als der Bundeskanzler aus Hannover in die Bonner Runde zugeschaltet wird und merkwürdig zufrieden wirkt, da murren einige Sozialdemokraten. Die Miene des Kanzlers scheint ihnen nicht angepaßt. Der Kanzler sagt, die Botschaft der Europawahl sei: „So gut wie in der Außenpolitik habt ihr gefälligst auch in der Innenpolitik zu werden.“ Der Satz kommt so an: Das, worum ich mich in letzter Zeit gekümmert habe, der Kosovo-Krieg, hat toll geklappt. Jetzt helfe ich euch bei der Innenpolitik auf die Sprünge, und wehe, ihr zieht nicht mit.

„Wir haben verstanden“, hat der Kanzler außerdem gesagt, und das wird so interpretiert, daß Schröder nun im Sinne des Schröder-Blair-Papiers erst recht auf unternehmerfreundliche Politik setzt. Allerdings streiten sich die Gemüter, ob Schröder nach dem Ergebnis der Europawahl damit durchkommen wird. Ein führender Sozialdemokrat hält das Schröder-Blair-Papier nun für erledigt. Es sei zwar nicht ursächlich für die Niederlage gewesen, habe aber dazu beigetragen, weil die Stammwähler verunsichert seien. Normalerweise, sagt der Politiker, kommen Grundsatzpapiere von unten nach oben. Diesmal sei es der Basis von oben aufgedrückt worden. Das provoziere Widerstand.

Ein anderer Sozialdemokrat befürchtet das Gegenteil. Schröder werde argumentieren, daß die Wähler davongelaufen seien, die ihn wegen seines Modernisierungskurses gewählt hätten. Die müsse man wiedergewinnen. Und wer solle ihm Widerstand entgegensetzen? „Die Partei ist tot.“ Man brauche sich doch nur anzugucken, wer im Päsidium sitze. Selbst Fraktionschef Peter Struck habe ja schon Beifall geklatscht. Ja, der Struck, sagen sie, und verdrehen die Augen.

Sündenböcke werden gebraucht. Köpfe werden gefordert. Immer wieder ist von Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner die Rede. Ein netter Kerl, ja. Aber nicht durchschlagkräftig genug. Hat das Wahlergebnis ja gezeigt. Wo war denn der Wahlkampf? Die Plakate wirkten, als seien sie vom Bundestagswahlkampf übriggeblieben. „Es war noch nie leichter als jetzt“, sagt ein Genosse, den Bundesgeschäftsführer loszuwerden.

Aber auch Schröder bekommt sein Fett ab. Schröder sei zu wenig im Wahlkampf aufgetaucht. Der bayerische Spitzenkandidat für die Europawahl, Gerhard Schmid, spricht es offen aus: „Ich habe noch keinen Wahlkampf erlebt, in dem sich der Bundeskanzler und seine Minster so hinter ihren Schreibtischen versteckt haben wie beim jetzigen.“ Verteidigungsminister Rudolf Scharping wird gefragt, wie hoch der Anteil des Kanzlers an der Wahlniederlage sei. „Es würde zu weit gehen“, sagt Scharping, „das Wahlergebnis als Mißerfolg des Kanzlers zu werten.“ Die Unterstützung für einen Kanzler ist auch schon mal überzeugender ausgefallen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen