: „Jetzt sind wir endlich frei!“
Die Mission der deutschen KFOR-Soldaten ist schwer. In Prizren müssen sie mit allen Mitteln die beiden verfeindeten Bevölkerungsgruppen voneinander trennen, Plünderungen verhindern und den massenhaften Auszug der Serben aus der Stadt regeln. ■ Aus Prizren Erich Rathfelder
Die Gesichter waren verkniffen. Trotzig zeigten einige den Gruß der Tschetniks, die drei gespreizten Finger, als sie ihr Auto durch eine jubelnde Menge fuhren. Die Serben Prizrens, der zweitgrößten Stadt des Kosovo, zogen gestern mittag unter dem Schutz deutscher Soldaten aus der Stadt. Hinter den Fenstern vollgepackter Autos und Busse drückten sich verängstige Kindergesichter, alte Frauen zeigten den Stinkefinger, Männer streckten die Zunge heraus. Und die Menge skandierte immer wieder: „Mörder“, „Diebe“, „UÇK“, „Geht doch nach Serbien“, in Anspielung auf die Worte, „Haut doch ab nach Albanien“, die von Serben gegen Albaner bei der Vertreibung vor zwei Monaten gerufen worden waren.
Tragikomisch Szenen spielten sich ab, wenn Kosovo-Albaner ihr eigenes Auto erkannten und die Diebe aufforderten, sie sollten sofort das Fahrzeug verlassen. Die Diebe senkten jedoch nur den Kopf und fuhren weiter. Deutsche Soldaten standen an den Straßenrändern und hatten alle Hände voll zu tun, die erbosten Autobesitzer zurückzudrängen. Jetzt könnten keine juristischen Rechnungen aufgemacht werden, sagte ein deutscher Offizier, das wichtigste sei, daß die serbischen Truppen das Kosovo verlassen.
Doch nicht nur Truppen waren es, sondern fast die gesamte serbische Zivilbevölkerung, die unter dem Schutz deutscher Soldaten die Stadt verließ. Dies ist eine Konstellation, die sich noch vor kurzem niemand hatte vorstellen können. 70 bis 80 Prozent der Serben hätten die Stadt verlassen, meinte eine Lehrerin, selbst Serbin, die sich zu der jubelnden Menge der Kosovo-Albaner gesellt hatte. Sie wolle in der Stadt bleiben, sie könne mit den anderen Volksgruppen gut zusammenleben. Vor allem jene verließen die Heimat, die sich während der letzten Monate an den Albanern bereichert hätten. „Schauen Sie sich die Gesichter an, viele von ihnen haben ein schlechtes Gewissen.“ Selbst die orthodoxe Kirche war machtlos. Sie hatte die Menschen zum Bleiben aufgefordert, indem sie betonte, die Nato müsse die Sicherheit der Serben garantieren.
Die deutschen Truppen, die erst am Sonntag in die Stadt gekommen waren, taten ihr Bestes, das Gefühl der Sicherheit für alle herzustellen. Selbst serbische Einheiten der Sonderpolizei, die sich während der vergangenen Monate der meisten Verbrechen schuldig gemacht haben, werden bei ihrem Rückzug von deutschen Panzern beschützt. „Wir können nichts anderes tun, als den Menschen zu versprechen, daß unsere Aufgabe der Schutz aller ist, gleich welcher Religion und Nationalität“, erklärte Oberstleutnant Jeserich. Als schon kurz nach dem Eintreffen der deutschen Truppen am Sonntag zwei serbische Jugendliche deutsche Soldaten beschossen hatten und dabei waren, eine Handgranate zu werfen, schossen die zurück. Die beiden Serben sind tot, ein deutscher Soldat wurde leicht verletzt.
Diese Aktion machte Eindruck in der Stadt. Bis dato kam es zu keinen Angriffen von seiten der Serben mehr. Von den in Prizren noch verweilenden Kosovo-Albanern wurden die deutschen Truppen als Befreier begrüßt. Immer wieder skandierte die Menge „Nato, Nato“, wenn sich Panzer an den strategischen Plätzen der Stadt zeigten. Als die serbischen Polizisten, die Milizionäre und Teile der Sondertruppen die Stadt verlassen hatten, umarmten sich die Menschen. „Jetzt sind wir endlich frei, ich kann Ihnen meine Gefühle nicht beschreiben“, erklärte eine junge Frau.
Noch bis zum Auszug der Polizisten herrschte Angst in der Stadt. Nicht einmal ein Zimmer wollte man den Journalisten vermieten: Die Polizei könnte nächtens kommen, sie bestrafen oder zumindest Geld verlangen. In der Nachbarschaft eines gutbürgerlichen Viertels fürchteten die Bewohner noch bis zuletzt eine Aktion der Sonderpolizei: den Raub ihres noch verbliebenen Eigentums.
Die einstmals liebenswerte, multikulturelle Stadt, mit ihrer Silhouette aus orthodoxen Klöstern, Moscheen und katholischen Kirchen, hat mit dem Auszug der Serben ihr Gesicht verändert. Hunderte von Jahren bildeten die Serben neben Albanern und Türken das dritte Element in dieser Stadt. Würdeloser hätte die oftmals glanzvolle gemeinsame Geschichte nicht enden können.
„Ich bin traurig und froh zugleich“ angesichts dieses historischen Ereignisses, erklärte der katholische Erzbischof der Stadt, Mark Sopi. Er wünsche sich, daß ein tolerantes Zusammenleben wieder möglich werde. Er sei aber froh, daß endlich die Unterdrükkung der Bevölkerungsmehrheit ein Ende fände. „Jetzt kann neu begonnen werden.“ Die Macht des serbischen Staatsapparats ist durch den Einmarsch der Nato-Truppen gebrochen worden. Die meisten der serbischen Polizisten haben zwar die Polizeifahrzeuge, die eigentlich der Stadt gehören, für den Abzug benutzt, dies nehmen die Bewohner jedoch nicht mehr krumm. Etwas anderes hatte man von der Polizei ohnehin nicht erwartet. Als ein als Folterer bekannter Polizist an dem Hotel der Stadt vorbeifuhr, skandierte die Menge noch einmal „Mörder, Mörder“.
Gänzlich gebannt ist die Gefahr jedoch noch nicht. Ab und zu hört man in der Stadt noch Schüsse. In der Umgebung gibt es noch Truppen der Sonderpolizei und der Armee. Die Straßen sind noch weitgehend unsicher. Es kommt zu Überfällen und auch zu Mordanschlägen. Auf einer 30 Kilometer entfernten Paßstraße nach Stimlje wurde ein grauenvoller Mord begangen. In der Nacht zum Montag sah ich die Leiche von Volker Krämer, einem Mitarbeiter des deutschen Magazins Stern. Er war mit einem Kopfschuß getötet worden, lag am Straßenrand. Am Sonntag nachmittag muß der Mord geschehen sein. Ein Hubschrauber hatte noch den schwerverletzten Gabriel Grüner, ebenfalls Journalist des Stern, nach Stimlje gebracht. Der wegen seiner frotzelnden Art beliebte Kollege starb kurze Zeit darauf. Ein Ärzteteam, das vor Ort gewesen war, erklärte gegenüber der taz, eine weitere Person sei auf der Paßstraße ermordet worden. Die Leiche liege jedoch abseits der Straße, so daß sie wegen der Minengefahr nicht geborgen werden könne. Über die Mörder wurden keine Angaben gemacht, nur daß es keine Albaner waren. Daß serbische Extremisten Jagd auf Journalisten machen, befürchten nun vor allem jene Kollegen, die im März persönliche Erfahrungen mit der serbischen Polizei machen konnten. Vielleicht haben diese Kriegsreporter den Haß auf sich gezogen, weil die Macht des Wortes der Macht der Extremisten Grenzen setzte, weil die Exzesse der Vertreibungen und der Massaker von der Weltöffentlichkeit nicht mehr hingenommen worden ist.
Würdeloser, als jetzt geschehen, hätte die oftmals glanzvolle gemeinsame Geschichte der Bevölkerung der Stadt Prizren wohl nicht enden können
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