: „Warum muß man so etwas fördern?“
Die Hälfte aller Subventionen in Deutschland verteilt sich auf fünf Branchen, die wenig zur Beschäftigung und noch weniger zur Wertschöpfung beitragen. Andere entbehren seit Jahrzehnten jeder Begründung ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) – Wer in einer Brauerei arbeitet, kann sich preisgünstig betrinken: Er bekommt sein Bier, ohne daß er dafür etwas an den Fiskus abgibt. Immerhin 12 Millionen Mark im Jahr läßt sich der Staat die „Biersteuervergünstigung für Haustrunk“ kosten. Auch die Besitzer von Weinbrennereien dürfen sich Jahr für Jahr über öffentliche Unterstützung freuen – seit 1922. Damals beschlossen die Gesetzgeber das Branntweinmonopol, für das die deutschen SteuerzahlerInnen heutzutage immerhin jährlich 300 Millionen Mark bezahlen. Zugmaschinen sind von der KfZ-Steuer befreit, um die „Motorisierung und Rationalisierung der Land- und Forstwirtschaft“ zu fördern – das Gesetz stammt aus dem Jahre 1935.
Dabei hatte Ex-Finanzminister Theo Waigel stets proklamiert, daß Subventionen in der Marktwirtschaft „grundsätzlich nur als Hilfe zur Selbsthilfe gewährt werden“ sollten und keinesfalls ein Dauerzuschuß sein dürften. Der Meinung ist auch der neue Finanzminister Hans Eichel von der SPD. Doch ob es ihm gelingt, das in Jahrzehnten gewachsene Gestrüpp an Hilfen und Unterstützungszahlungen stärker zu lichten als sein Vorgänger von der CSU, wird sich erst nach dem 30. Juni herausstellen, wenn Eichels Sparpläne veröffentlicht sind und Öffentlichkeit und Abgeordnete reagieren.
Im Prinzip herrscht beim Thema Subventionen klare Einmütigkeit: Der Staat geht mit dem Instrument, das eigentlich ein Marktversagen korrigieren soll, viel zu verschwenderisch um. „Ein umfassender Subventionsabbau tut not“, leitet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) seine Empfehlungen ans Bonner Wirtschaftsministerium ein. Und Alfred Boss vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) meint gar: „Die Subventionen haben ein Ausmaß erreicht, das die Frage der Kompatibilität mit einer marktwirtschaftlichen Grundordnung aufwirft.“
Was allerdings überhaupt unter Subvention zu fassen ist, darüber sind sich Politiker, Beamte und Wissenschaftler keineswegs einig. Während das statistische Bundesamt lediglich Zuschüsse auflistet, „die der Staat im Rahmen der Wirtschafts- und Sozialpolitik an Unternehmen für laufende Produktionszwecke gewährt“, kalkuliert das Finanzministerium immerhin auch Steuervergünstigungen mit ein. Die führenden wirtschaftswissenschaftlichen Institute rechnen ebenfalls unterschiedlich: Für das als marktliberal geltende IfW gehören auch Begünstigungen für Museen, staatliche Krankenhäuser und Kindergärten dazu, während das Berliner DIW diese Posten außen vor läßt.
So kommen extrem unterschiedliche Zahlen zustande. Das statistische Bundesamt hat für 1998 Subventionen in Höhe von 70,5 Milliarden Mark ausgewiesen, knapp zwei Milliarden mehr als im Jahr zuvor. Der Subventionsbericht der Bundesregierung von 1997 – die neuen Zahlen sind erst für August angekündigt – weist immerhin 115 Milliarden Mark aus. Und in Kiel kam man für den gleichen Zeitraum auf 291 Milliarden Mark – das entspricht weit über einem Drittel des Steueraufkommens.
Darin noch nicht einmal enthalten sind Vergünstigungen wie die Kilometerpauschale. Und auch überhöhte Preise, die beispielsweise die Rüstungsindustrie dem Staat in Rechnung stellt, tauchen hier nicht auf. „Ich vermute, daß hier häufig viel zu viel gezahlt wird. Beweisen kann ich das freilich nicht“, bedauert Alfred Boss.
Doch alle Subventionsbilanzen kommen wieder gemeinsam zu dem Schluß, daß nur wenige Branchen massiv von den staatlichen Hilfen profitieren – für die dann andere zahlen müssen. Die Landwirtschaft, der Kohlebergbau, die Werften, der Luft- und Raumfahrzeugbau und die Eisenbahnen bekommen in Westdeutschland mehr als 50 Prozent aller Subventionen, erwirtschaften zusammen aber nur 2,5 Prozent der Wertschöpfung aller Unternehmen, hat das DIW errechnet. Auch das Arbeitsplatzargument ist nicht stichhaltig: Nur fünf Prozent der Beschäftigten verdienen ihr Geld in den unterstützten Branchen. „Die Subventionspolitik hat offenbar nicht zur Kenntnis genommen, daß die von ihr hauptsächlich begünstigten Sektoren in ihrer gesamtwirtschaftlichen Bedeutung nicht einmal mehr halb so groß sind wie zu Beginn der achtziger Jahre“, kritisiert das DIW. Im Klartext: Vor allem Altindustrien profitieren vom Geldsegen aus der Steuerkasse; der dringend notwendige Strukturwandel wird verschleppt.
Ein weiterer großer Brocken ist die Hilfe für Wohneigentum: Rund 13 Milliarden Mark gingen 1998 dafür drauf. „Warum muß man so etwas fördern?“ provoziert Alfred Boss die Eigenheimbauherren. Hinzu kommen noch drei Milliarden Mark allein aus dem Bundeshaushalt für sozialen Wohnungsbau.
Vergleichsweise „peanuts“ sind dagegen die offiziell ausgewiesenen Hilfen für Windenergieanlagen: Jährlich 45 Millionen Mark Betriebs- und Investitionskostenzuschüsse gibt es hier. Allerdings kommt die Einspeisevergütung noch hinzu. Auch hier empfiehlt das DIW eine kritische Bestandsaufnahme, weil aufgrund von Anwohnerprotesten bis zum Jahr 2005 höchstens drei Prozent der Stromerzeugung durch Windräder abgedeckt werden könnten. Zumindest aber solle die Bundesregierung die indirekten auf offene Subventionen umstellen.
Längst nicht an jede staatliche Stütze darf Hans Eichel die Schere ansetzen: Viele Hilfen sind längerfristig zugesagt. Und wo zustätzlich EU-Gelder drinstecken, kann der Finanzminister auch nicht einfach ran. Was immer er vorschlägt: Der Proteststurm der Lobbyisten ist programmiert. Den Vertretern der Landwirtschaft ist es beim Steuerentlastungsgesetz vom Anfang dieses Jahres gelungen, fast sämtliche schon damals anstehenden Kürzungen aus dem Programm zu tilgen. Die Bergarbeiter werden argumentieren, daß sie in den vergangenen Jahren schon genügend Opfer gebracht haben – und Unterstützung von den SPD-Regierungen aus Düsseldorf und Saarbrücken bekommen. Und mit Sicherheit haben auch die Zahntechniker, die Wasserkraftwerker, die Bierbrauer und Schnapsbrenner gute Gründe parat, warum ihre Steuervergünstigungen fortbestehen müssen.
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