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„Der mit den blauen Augen ist echt süß“

■  Die Läden sind leer, aber die Stimmung unter den Albanern in Prizren ist gut. Die UÇK maßt sich Polizeifunktionen an und behauptet, die serbische Bevölkerung hätte nichts zu befürchten

Die Ausgelassenheit will kein Ende nehmen. Bekim fällt allen Menschen, die sich im Zentrum der Stadt versammelt haben, in die Arme. Der 19jährige Student hat sich über zwei Monate lang verstecken müssen. „Hätten sie mich erwischt, wäre ich wohl im Gefängnis gelandet oder noch schlimmer.“

Viele sind überrascht, Freunde vorzufinden, die sie längst auf der Flucht nach Albanien wähnten. 5.000 bis 10.000 Albaner haben es trotz allem geschafft, in der Stadt zu bleiben. Viele sind an diesem Abend ins Zentrum geströmt, um zu feiern. Die Restbestände an Schnaps und Wein werden umstandslos geplündert. Ein junger unbewaffneter UÇK-Mann wird beklatscht, als er mit seiner Freundin zu dem Gelage stößt. Plötzlich tauchen Autos auf, fast neue Mercedes-Limousinen, die voller Stolz vorgeführt werden. Die Besitzer haben es offenbar geschafft, diese Autos vor den Serben zu verstecken.

„Es gibt keine Polizei mehr, wir haben Anarchie“, ruft Anton Kastrati und läßt eine Flasche kreisen. Der gläubige Katholik ist ganz aus dem Häuschen.

Seit die meisten Serben die Stadt verlassen haben, sind Restaurants und die Läden geschlossen. Es gibt nichts mehr zu kaufen. Augenblicklich sind weder Hilfsorganisationen da, noch sind die Grenzen nach Albanien geöffnet. Auch die Zigaretten werden knapp. Frauen bringen Sandwiches aus selbstgemachtem Brot für die hungernden ausländischen Journalisten. „Danke euch allen, daß ihr uns befreit habt.“

Gegenüber an dem Ufer des Flusses werden die deutschen Panzer mit Blumen beworfen. Junge Mädchen und Kinder klatschen den Soldaten zu: „Danke Deutschland“. Die 17jährige Vjiosa guckt sich verträumt einen der deutschen Soldaten an und fragt: „Kannst du einen Kontakt für mich machen, der Junge da oben, der mit den blauen Augen, der ist echt süß.“

Enver Luma ist 55 Jahre alt, hat in Deutschland und in Belgrad gearbeitet. „Damals in der Tito-Zeit war alles gut.“ 1989, acht Jahre nach Titos Tod, haben die Serben die Stadtverwaltung wieder übernommen. „Für uns albanische Geschäftsleute wurde es schwierig.“ Jetzt ist er wieder draußen im Garten seines zweistöckigen Hauses und macht Pläne.

Vor dem Gebäude der Ambulanz stehen drei Ärzte, die bislang nur für den Notdienst arbeiten durften. Die serbischen Ärzte sind verschwunden. Jetzt müssen sie selbst den Gesundheitsdienst organisieren. „Bald sind unsere nach Albanien geflohenen Kollegen zurück“, freuen sie sich. Mit internationaler Hilfe wollen sie ein Gesundheitszentrum aufbauen.

Plötzlich dringt das Geräusch klirrender Scheiben aus der Altstadt herüber. Jugendliche haben die Scheiben eines Schuhgeschäftes eingeworfen und tragen Schuhschachteln aus dem Geschäft. Eine alte Dame ruft nach Hilfe. Sie ist Serbin und verwandt mit der geflohenen Besitzerin. Die Jungen scheren sich nicht um ihren Protest. Schließlich greifen ältere Passanten ein. Die Jugendlichen werden davongejagt, die aufgebrochene Tür wird vernagelt.

„So etwas soll nicht geschehen“, sagen die Helfer. Die alte Dame beruhigt sich. Alle Verwandten seien weggegangen, sie wolle aber bleiben. „Was soll ich in Serbien machen?“

Bewaffnete UÇK-Soldaten tauchen auf. Sie stellen sich vor den Eingang des Schuhgeschäftes. Nimmt die UÇK jetzt Polizeifunktionen wahr? „Es gibt jetzt keine Verwaltung, keine Polizei, niemanden, der aufpaßt“, sagt der bärtige Kommandeur mit dem Decknamen Hodscha, der einmal vor Jahren in Wien als Krankenpfleger gearbeitet hat.

Die UÇK sei bereit, der Nato in allen zivilen Belangen zu helfen, fügt er hinzu. Die Nato habe den Krieg gewonnen, nicht die UÇK, „obwohl wir zuletzt großartig gekämpft haben“. Die Nato werde also auch bestimmen, was zu geschehen hat.

„Wir sind bereit, sofort unsere Waffen zu übergeben“, behauptet er, obwohl vielerorts Gegenteiliges berichtet wird. Die serbische Bevölkerung würde von den Albanern nicht angegriffen. Daß sie Angst habe und geflohen sei, habe nichts mit den Albanern zu tun. „Sie wollen nicht in einem freien Kosovo leben“, so der Kommandeur. Alle hiergebliebenen Serben lebten in Sicherheit. „Wir müssen natürlich kontrollieren, ob sie noch Waffen haben oder nicht.“

Trotz der Bundeswehrpräsenz hat die UÇK Straßensperren aufgebaut und maßt sich Polizeifunktionen an. An einer kontrollieren etwa zehn Soldaten die Passanten. Das Stadtviertel oberhalb des zentralen Platzes wird durchsucht. Deutsche Soldaten ziehen vor dem orthodoxen Kloster auf und schützen den Eingang dort. 150 Serben sollen sich hier eingeschlossen haben. Nach einer halben Stunde wird die Straßensperre der UÇK wieder aufgehoben.

„Noch haben manche Kommandeure der UÇK nicht verstanden, worum es in dem Friedensabkommen geht“, sagt General Fritz von Korff, der die deutschen Truppen im Kosovo befehligt. Die Kommandeure der UÇK sollen noch am gleichen Abend zu einem Treffen eingeladen werden. „Wir werden jeden Buchstaben des Abkommens durchsetzen.“ Und von einem Polizeidienst der UÇK sei dort nicht die Rede. Ebensowenig davon, die Grenze zu Albanien zu überwachen. Deutsche Soldaten machen sich am Dienstag morgen auf den Weg, um die Grenzkontrollen zu übernehmen.

Erich Rathfelder, Prizren

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