: Sie sehen demnächst: Kinosterben am Ku'damm
■ Das geplante Multiplex-Kino am Bahnhof Zoo soll die abgewanderten Zuschauer vom Potsdamer Platz zurückholen. Doch was für den Bezirk neue „Standortpolitik“ bedeutet, gefährdet die bestehende Kinolandschaft. Die kleinen Off-Kinos rüsten zur letzten Schlacht
Manchmal fühlt sich Herbert Pfleger wie in den glorreichen siebziger Jahren, „als das Kino noch der Ort für Filmkunst“ war und neue cineastische Streifen zum Stadtgespräch avancierten. Der „Filmverrückte“ aus Charlottenburg hatte sich in die „Filmbühne am Steinplatz“ aufgemacht, um einen „ziemlich schönen, aber unspektakulären Film“ anzuschauen. Wie gewohnt war Pfleger erst kurz vor Beginn des Films zum Kino gekommen. Denn gut besuchte oder gar ausverkaufte Veranstaltungen hat die „Filmbühne“ kaum mehr zu verzeichnen.
Überrascht war Filmfreak Pfleger, sich plötzlich am Ende einer langen Besucherschlange zu finden. Moussa Tourés „TGV-Express“, ein kleines senegalesisches Road Movie, zog Zuschauer an wie zu Zeiten der Nouvelle Vague, des neuen deutschen Films oder des Free Cinemas. Sicher, urteilt Pfleger, der Film sei „auf Festivals gelaufen“. Aber Filmkunsttheater mit derartigen „Specials“ seien heute zu einsamen Spielstätten geworden. „Die Zuschauer sind in die Multiplexe abgewandert“, in die großen Kinofreizeitparks der City-Ost aus neuer Architektur, mit guter Ton- und Abspielqualität für die neuesten Großproduktionen aus Hollywood.
Während volle Sitzreihen wie bei „TGV-Express“ wohl die Ausnahme in Charlottenburger Programm-Kinos bleiben, könnte zur Regel dagegen der weitere Verlust des Publikums werden. Bedeutete für die Programm-Kinos rund um den Kurfürstendamm und den Bahnhof Zoo – wie die Filmbühne, das Delphi, der Royalpalast, das Cinéma Paris und Filmkunst 66, das Astor und der Filmpalast, das Olympia und das Mamorhaus – der Bau der Multiplexe am Potsdamer Platz in Mitte, in Friedrichshain oder Prenzlauer Berg schon eine schwer verkraftbare Konkurrenz, so wird den Häusern nun mit dem Bau eines Multiplex-Kinos vor der eigenen Haustür der letzte Besucher streitig gemacht. Mitten ins Herz der Charlottenburger Kinolandschaft, direkt am Bahnhof Zoo, ist geplant, ein längliches Multiplex-Ungetüm aus Glas und Stahl für 3.500 Plätze zu errichten. Zwischen Bahnhof und Theater des Westens, ein Steinwurf vom Delphi und Olympia entfernt und in Sichtweite der Filmbühne und des Filmpalastes wollen die Lübecker Kinobetreiber Kieft & Kieft 2001 den Kinomagneten platzieren.
Doch was etwa Franz Stadler, Pächter des „Filmkunst 66“, einen Horrorfilm nennt und als das „Ende der Ku'damm-Kinos“ prophezeit, weil die wirtschaftlichen Defizite „nicht verkraftbar“ seien, bedeutet für die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sowie den Bezirk Charlottenburg „Standortpolitik“ gegenüber dem östlichen Kinoaufschwung.
Denn während am Kurfürstendamm bereits Filmkunsttheater wie das Gloria, die Lupe 1 oder das Studio schließen mußten, eröffneten zwischen 1995 und 1998 im Ostteil der Stadt 72 neue Abspielstätten. In die 142 Kinosäle im Osten, gegenüber den 147 im Westteil der Stadt, wanderten 1998 von den rund 11 Millionen Besuchern knapp die Hälfte; Tendenz steigend. 1997 waren es noch rund 30 Prozent.
Der Finanzstadtrat des Bezirks, Helmut Heinrich, führt den Wechsel der Berlinale an den Potsdamer Platz sowie die Expansion der Multiplexe im Osten als Argument an, jetzt „gegensteuern“ zu müssen. Mit dem Bau eines Kinogiganten erhoffe man sich, „die abgewanderten Zuschauer wieder zurückzugewinnen“. Der „Aderlaß“ der vergangenen Jahren habe der wirtschaftlichen Entwicklung des Kurfürstendamms insgesamt geschadet. Zwar sieht Heinrich mit Sorge, daß der Bau des Multiplex-Riesen am Zoo „eine zu große Konkurrenz“ für die angestammten Filmtheater bilden könnte. Doch mittels eines „vernünftigen Managements“ werden bestimmte Standorte „den Angriff überleben“.
Im Kino-Darwinismus am Ku'damm rechnen sich einige Häuser eine Chance aus, sogar vom Multiplex zu profitieren. Kinos mit großem Sitzplatzangebot und genügend Kapital für die hohen Verleihkosten wollen um das Publikum buhlen. So bedeutet für die Kinobetreiber Hans Joachim Flebbe (Filmpalast, Astor) oder den Delphi-Chef Kloster der Neubau am Zoo nur, daß die kleinen Kinos „mit ihrem klassischen Programm den Betrieb einstellen müssen“. In Zeiten der Umstrukturierung auf dem Film- und Kino-Markt, so der Kino-Ketten-König, müsse eben mit großen Filmen einerseits und einem „speziellen Art-House-Programm“ das Publikum gehalten werden. Wer nur ein Kino hat, verliert.
Emotionslos betrachtet auch Manfred Bittmann, Geschäftsführer des Wirtschaftsverbandes der Berliner Filmtheater, die möglichen Strukturveränderungen der Kinoszene am Zoo. Klar sei, daß Multiplexe zu „erheblichen Zuschauerverlusten“ traditioneller Off-Kinos geführt haben. „Grundsätzlich ziehen die dort Besucher ab.“ Zugleich, folgert Bittmann mit Blick auf die Ost-Konkurrenten, „könnte es auch sein, daß die Ku'damm-Kinos beim Publikum wieder mehr Beachtung finden.“
Den „Wandel in der Kinolandschaft“, der nach Ansicht Bittmanns „akzeptiert“ werden müsse, wollen aber Franz Stadler und andere Off-Kino-Betreiber so nicht hinnehmen (siehe Interview). „Wir müssen etwas anderes spielen als die Multiplexe“, sieht Stadler als „einzige Chance des Überlebens“: mit „unbekannten Filmen“, neuen Konzepten zur Programmstruktur und der Hoffnung auf ein cineastisches Publikum, das kein „Popcornkino“ schätzt. Das klingt nach Nische; eine, um die es lohnt zu kämpfen. Rolf Lautenschläger
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