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Höppner nimmt die PDS an die Leine

■ Sachsen-Anhalts Ministerpräsident setzt sich durch: PDS stimmt Sozialkürzungen zu

Magdeburg (taz) – Bestnoten im sachsen-anhaltinischen Landtag: Die PDS hat gestern die perfekte Landung eines „dreifachen Rittbergers“ hingelegt. So jedenfalls nennt ÖTV-Chef Manfred Bartsch das Lavieren der Genossen beim sogenannten Kinderbetreuungsgesetz. Auf der letzten Parlamentssitzung vor der Sommerpause machten die Sozialisten den Weg für das Gesetz frei, daß nun wie geplant am 1. August in Kraft treten kann. Künftig werden die Erzieher mehr Kinder in ihrer Gruppe betreuen als bisher. Nach offiziellen Schätzungen verlieren dadurch 3.500 Erzieherinnen ihren Job. Trotz der gestandenen Landung der PDS sind die Sieger aber die Sozialdemokraten.

Ministerpräsident Reinhard Höppner hat eine Wende in der Zusammenarbeit von PDS und SPD geschafft. Es ist noch nicht einmal ein halbes Jahr her, da verwiesen die Genossen ausdauernd und stolz auf den anhaltinischen Kinderbetreuungsstandart, der „fast DDR-Niveau“ erreicht hat. Selbstverständlich vergaßen die Sozialisten nicht, darauf zu verweisen, daß diese Errungenschaft ihr Werk sei. Doch dann kam Finanzminister Wolfgang Gerhards (SPD) – und damit die erste Rittberger-Drehung. Gerhards rechnete im Herbst vor, daß sich das Bundesland mit der höchsten Arbeitslosenquote und einer Spitzenposition in der Pro-Kopf-Verschuldung derlei üppige Ausstattung nicht mehr leisten könne. Zähneknirschend führte die PDS ihre heilige Kuh zur Schlachtbank. Nach langen internen Debatten trug der Tolerierungspartner Gerhards' Spareinschnitte mit, im Februar wurde das Gesetz beschlossen.

Völlig unterschätzt hatten die Genossen allerdings den Druck, der sich gegen ihr Votum aufbaute, auch an der eigenen Basis. In nur drei Wochen sammelte eine Volksinitiative knapp 300.000 Unterschriften gegen das Gesetz – etliche PDS-Stadt- und Kreisverbände sammelten eifrig mit. Da setzte die Fraktion zum zweiten Rittberger an: Im Mai organisierten PDS-Abgeordnete mit den Stimmen der CDU eine Initiative für ein Aussetzen des Gesetzes. Das schließlich reichte Höppner. Sollte der Hick-hack nicht aufhören, werde er das Tolerierungsmodell beenden und Neuwahlen ausschreiben, drohte der Ministerpräsident. Eine Verschiebung des Gesetzes würde das hochverschuldete Sachsen-Anhalt 40 Millionen Mark mehr kosten.

Die Genossen beugten sich dem Druck und vollzogen gestern im Landtag die dritte Drehung – sie stimmten gegen den von ihnen selbst gemeinsam mit der CDU vorbereiteten Gesetzesstopp. Der Rückzug vom Rückzug wird bleibende Wirkung haben. Neben der Verantwortung für einen drastischen Sozialabbau müssen sich die Genossen jetzt auch mit dem Vorwurf rumschlagen, die Landesverfassung zu mißachten. Gestern wurde die von den 300.000 Unterzeichnern erzwungene Volksinitiative gegen das Gesetz in erster Anhörung behandelt. Die obligatorische zweite Lesung findet erst nach der Sommerpause statt – wenn das Gesetz bereits in Kraft ist. Die Volksinitiative kündigte dagegen gestern eine Klage vorm Verfassungsgericht an.

Gestärkt hat der „dreifache Rittberger“ der PDS vor allem die SPD und ihren Ministerpräsidenten. Seit Beginn des Tolerierungsmodells vor fünf Jahren war es der PDS immer wieder gelungen, einerseits Regierungsarbeit mitzubestimmen, andererseits aber alle unpopulären Entscheidungen der SPD anzulasten. Diesmal steht die PDS mit ihrer chaotischen Politik als Verhinderer da. Das gestrige Votum ist eine Zäsur. Höppner hat die PDS an die Leine genommen. Deutlich wird, daß sich in der anhaltinischen PDS-Fraktion zunehmend die pragmatischen Kräfte durchsetzen. Und nur das kann Höppners Zukunft sichern: Schon im Herbst stehen bei den Beratungen zum Haushalt weitere Einschnitte bevor. Nick Reimer

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