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„Immer so gern wollte ich nur ich sein“

In Hannover werden Werke Emil Noldes gezeigt, die das Ehepaar Sprengel vor den Nazis gerettet hat  ■ Von Aureliana Sorrento

Hitlers Kulturschergen ließen sich nicht lumpen. Von den insgesamt 1.052 Bildern Emil Noldes, die sie aus deutschen Museen beschlagnahmt hatten, hingen ganze 29 Werke in der Ausstellung „Entartete Kunst“ – „Das Leben Christi“ gar im Mittelpunkt. Unter den dort versammelten Expressionisten wurde so dem Einzelgänger, der sich in seinen wilden Jahren mit Max Liebermann bekriegt und nur kurz den „Brükke“-Malern angenähert hatte, um schließlich allein seinen Künstlerweg zu gehen, eine herausragende Rolle zugesprochen.

Kunstempfänglichen Augen durfte dies nicht entgehen; Nolde selbst aber wußte die Auszeichnung nicht zu schätzen. Und verstand sie auch nicht – hatte er doch mit den Nationalsozialisten sympathisiert und sich schon 1934 der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig angeschlossen. Der „nordische“ Maler, wie er sich selbst nannte, wurde jetzt als volksfremd, bolschewistisch und entartet verfemt.

Nolde wandte sich an Goebbels. Er bat den Propagandaminister um die Rückgabe seiner Werke und vor allem darum, der Diffamierungskampagne gegen ihn ein Ende zu setzen. „Meine Kunst ist deutsch, herb und innig“, schrieb er in einem berühmt gewordenen Brief. Es half nichts. Verfemung und Konfiszierung dauerten fort. Den Nationalsozialisten und namentlich ihrem Führer mußte aufgefallen sein, daß die Kunst des „nordischen“ Malers bildliche Motive ebenso in der Welt der Südsee wie im Nebel- und Nilfenhain Germaniens fand. Mit deren „Innigkeit“ verhielt es sich indessen so, daß sie auf keine Weise mit dem kleinlichen Neoklassizismus von Hitlers Gnaden in Einklang zu bringen war. Nolde brachte es später, 1943, auf den Punkt: „Was frei – ohne direktes Naturvorbild – gemalt wird, ist äußerlich bisweilen nicht ohne Fehler, aber innerlich wird es belebter und voller als nach der Natur entstandenes.“ Seiner eigenen inneren Natur wollte der Maler Farbe und Form geben, nicht den Muskeln deutscher Jünglinge. Das war seinen Bildern anzusehen, das sah auch Goebbels. Die ganze Produktion des Jahres 1940 wurde beschlagnahmt, der Künstler Nolde daraufhin mit Berufsverbot belegt. Fortan war ihm das Malen untersagt.

Nolde zog sich in sein Haus in Seebüll zurück und malte seine „Ungemalten Bilder“: Aquarelle, weil er die Kontrollen der Gestapo fürchtete – Ölfarben hätte man leicht an ihrem Geruch erkennen können –; dazu Entwürfe für figürliche Bilder. Zugleich waren seine früheren Werke im Berliner Atelier gefährdet. Auf Befehl des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda sollte alle entartete Kunst der deutschen Öffentlichkeit entzogen werden. Wären Nolde nicht Freunde und Verwandte zu Hilfe gekommen, hätten die Nazis wahrscheinlich sein ganzes Oeuvre aus der Welt oder zumindest aus Deutschland geschafft.

Unter den Helfern befanden sich Margrit und Bernhard Sprengel. Der Schokoladenfabrikant aus Hannover und seine Frau, eine Geigerin, waren auf Noldes Malerei 1937 aufmerksam geworden, als sie in der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München seine Bilder zum ersten Mal sahen. „Trotz schlechter Hängung“, erinnerte sich Sprengel später, „wirkte die 'Entartete Kunst' auf meine Frau und mich wie eine Fanfare.“ Eine Fanfare, die bei dem jungen Paar die Leidenschaft für zeitgenössische Kunst weckte und beide direkt ins „Hinterstübchen“ des Kunsthändlers Günther Franke führte. Dort kauften Sprengels ihre ersten Aquarelle Emil Noldes: „Schneeberge“ und „Feuerlilien und Iris“. Es war der Beginn der Sammlung Sprengel, die in den folgenden Jahren um etliche Werke „entarteter Künstler“ wuchs und letzlich 19 Gemälde, 56 Aquarelle und etwa 450 Blatt Druckgraphik von Emil Nolde umfaßte.

Nicht nur Bewunderung verband das Ehepaar Sprengel mit dem Maler und seiner Frau. Unter den Umständen der nationalsozialistischen Kunstverfolgung kamen sich das Sammler- und das Künstlerpaar sozusagen notgedrungen nahe. Nach einer ersten Begegnung mit Ada Nolde in Berlin wurden Sprengels zu unentbehrlichen Akteuren der Rettungsaktion, die das Werk des verfemten Malers den Fängen der Nazis entziehen sollte. Noldes Bilder wurden abgespannt und bei mehreren Bekannten ausgelagert. Sprengels übernahmen ein Konvolut mit 30 Ölgemälden und 870 Aquarellen, das sie zunächst in ihrer Schokoladenfabrik in Hannover versteckten; 1942, als die englischen Bomber näherrückten, wurden die Werke in Depots am Steinhuder Meer und im Ammertal am Starnberger See eingelagert. Auch half Bernhard Sprengel mit Rat und Tat bei der testamentarischen Verfügung der „Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde“, die auf Noldes Wunsch den Nachlaß des Malers verwalten und der Öffentlichkeit zugänglich machen sollte.

In diesem Jahr wäre Bernhard Sprengel hundert Jahre alt geworden. Das Sprengel Museum Hannover, dessen Bestände im Bereich der klassischen Moderne im wesentlichen auf die Sammlung Sprengel zurückgehen – 1969 schenkte das Ehepaar Sprengel der Stadt Hannover seine Sammlung und einen ansehnlichen Geldbetrag zum Bau eines Museums –, feiert das Jubiläum mit einer Nolde-Ausstellung. 90 Gemälde und Aquarelle und zirka 60 druckgraphische Werke haben die Kuratoren ausgewählt, um dem Besucher einen Überblick über Noldes zentrale Schaffensphase von 1910 bis 1940 zu gewähren. Dafür griffen sie zum Teil auf Museumsbestände zurück, sonst auf Anleihen von Privaten und von der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde. Unter anderem sind in Hannover Werke aus dem Konvolut zu sehen, das die Familie Sprengel 1941 bis 1945 für Nolde bei sich verbarg.

Besonders an diesen Bildern wird offensichtlich, welche Verdienste sich Sprengels durch ihren Beistand um die Kunst dieses Jahrhunderts erworben haben. Denn während die Ölbilder der Sprengel-eigenen Sammlung einen Nolde zeigen, der sich von den impressionistischen Vorbildern abgelöst hat, aber noch eine verhältnismäßig kontrollierte Pinselführung und realistische Farbgebung pflegt, erzählen die Gemälde und Aquarelle aus dem Konvolut – vor allem die aus den Jahren 1929 bis 1940 – von der völligen Befreiung der Farbe. Grosz berichtete, Nolde habe bereits 1910 wegen seiner Schmiertechnik, die auf den Pinsel zugunsten von Lappen, Lederfetzen und Daumen verzichtete, Aufsehen erregt. Wenn man sich nach „Herbstmeer IX“ von 1910 oder „Mann und Weib“ (1918) Noldes Ölgemälde ab 1929 anschaut, wird der Sprung in seiner Entwicklung klar: Es ist, als habe der Maler erst hier die Strahlkraft der Farbe entdeckt und ihre Fähigkeit, aus sich heraus Form entstehen zu lassen.

Ansonsten zeugt die Ausstellung von einer bemerkenswerten Treue Noldes zu seinen Themen: der Landschaft, Meer und Himmel, Blumen und Wolken, Bergen und immer wieder Menschen. Als einzelne und als Paare, in statischer Pose, tanzend oder gar als Traumbilder dahinschwebend (die „Phantasien“) lassen sich diese oft auf Motivkreise zurückführen, die Nolde in sämtlichen Techniken immer wieder variierte. So tauchen die Liebenden und die Tänzerinnen, die er auf seiner Südseereise in den Jahren 1913/14 gesehen hatte, als farbig verhaltene Aquarellskizzen auf, in sprödkantigen Holzschnitten und in kalligraphischen Radierungen.

Einen anderen Zyklus bilden die Darstellungen des Berliner Nachtlebens aus den Jahren 1910/11: Einige schwungvolle Striche und leuchtende, ausfransende Farbflecken reichen zu einer Radiographie der Flüchtigkeit. Es sind aber vor allem Noldes Naturschilderungen, deren Intensität einem in der Ausstellung entgegenschlägt, wenn die Farbe wuchtig den Raum besetzt, Tiefe und Atmosphäre einsaugt oder, auf dem Japanpapier gleitend, schlierenhafte Spuren hinterläßt.

Nolde hielt an der Schöpfung fest, Natur und Wirklichkeit entschwanden nie aus seiner Kunst. Vor allem aber ließ er sie in sich gären: „Immer so gern wollte ich nur ich sein“, liest man in seiner Autobiographie. Von diesem Kunst- und Selbstverständnis findet man an den Wänden des Sprengel Museums nun lebhafte Zeugnisse. Die Ernüchterung wartet an der Kasse in Form eines Katalogs, in dem zum ersten Mal mit philologischer Akribie das vorhandene Dokumentationsmaterial der Beziehung zwischen dem Sammlerpaar Sprengel und dem Künstlerpaar Nolde ausgewertet wurde.

„Emil Nolde und die Sammlung Sprengel 1937 – 1956. Geschichte einer Freundschaft“, bis 22. 8., Sprengel Museum Hannover. Katalog, 260 S., mit Texten von Ulrich Krempel und Markus Heinzelmann, 49 DM.

Noldes ganze Produktion des Jahres 1940 wurde beschlagnahmt, der Künstler mit Berufsverbot belegt

Nolde hielt an der Schöpfung fest, Natur und Wirklichkeit verschwanden nie aus seiner Kunst

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